Christine Heuer: Informationen von unserem NRW-Korrespondenten Moritz Küpper. Und am Telefon ist jetzt Nick Hein. Er war Bundespolizist, drei Jahre am Kölner Hauptbahnhof im Einsatz. 2015 war er das schon nicht mehr, da hatte er bereits bei der Polizei gekündigt. Aber als er von seinen früheren Kollegen hörte, was sich in der Nacht auf den 1. Januar ereignet hatte und wie Öffentlichkeit und Politik mit den Ereignissen umgehen, da war es Nick Hein, der einen dann sehr stark beachteten Facebook-Eintrag schrieb, in dem er die Polizisten im Einsatz, diejenigen, die an Ort und Stelle ihren Dienst tun, in Schutz nahmen. Nick Hein hat dann auch ein Buch geschrieben, "Polizei am Limit", über den Alltag von Polizisten, über die Rolle von Migranten auch in der Kriminalitätsstatistik und über politische Versäumnisse. Guten Morgen, Herr Hein!
"Das sicherste Silvesterfest aller Zeiten"
Nick Hein: Guten Morgen!
Heuer: Dieses Jahr rüstet sich Köln. Reichen die geplanten Maßnahmen aus, von denen wir gerade gehört haben?
Hein: Das ist natürlich extrem, was dort aufgefahren wird. Wenn man allein mal auf das Personal schaut, zehnmal so viele Polizisten wie die Jahre davor. Man kann schon davon ausgehen, dass dieses Jahr das Silvesterfest das Sicherste aller Zeiten sein wird, aber das kritisiere ich eben: Das ist jetzt ein Tag im Jahr. Die anderen 364 Tage hat man versäumt, dort personell vor allen Dingen aufzustocken, und das ärgert mich sehr.
Heuer: Sie haben nach wie vor viele Freunde bei der Kölner Polizei. Sehen die das genauso.
Hein: Ich hoffe.
Heuer: Haben Sie einen Grund, daran zu zweifeln?
Hein: Es ist so, dass die Kollegen durchaus mir den Rücken stärken, nicht nur in Köln, auch bundesweit, die sagen, meine Güte, warum hat das so lange gedauert, endlich sagt mal jemand was, endlich spricht uns jemand aus der Seele. Aber gleichzeitig ist es natürlich auch so, dass gerade auch die Führungsebene der Polizei Druck von der Politik bekommt und das natürlich nicht so gern sieht, dass da jetzt einer ihrer Ex-Beamten ich sag mal auspackt.
"Es hat sich nichts geändert"
Heuer: Wie empfinden Ihre frühere Kollegen ihren Arbeitsalltag in Köln?
Hein: Es hat sich nichts geändert. Es ist erdrückend. Es ist wirklich so, dass man sogar versäumt hat – ich fang mal da an, dass man bis zum Ende des Jahres neue Beamte an den Kölner Hauptbahnhof holen wollte. Das sind dann am Ende drei gewesen, die man auf fünf Dienstgruppen verteilt hat. Und durch diesen Abordnungswahnsinn werden aber permanent acht Beamte zum Beispiel an die bayerische Grenze und an den Flughafen nach Frankfurt am Main abgeordnet. Also es ist insgesamt sogar weniger geworden.
Jetzt sagt man natürlich, wir müssen zu dem Fest da besonders auffahren, und möchte nach außen zeigen, dass man Köln halt unter Kontrolle hat, aber die Kollegen werden dann woanders abgezogen und fehlen dann. Und das frustriert einfach. Das ist so ein bisschen so eine Show nach außen hin, dass man jetzt der Öffentlichkeit zeigt, so, wir haben hier alles unter Kontrolle, aber die Beamten werden, wie gesagt, das ganze Jahr über hängen gelassen, und die ärgern sich, die sind frustriert. Ich sag mal umgangssprachlich, das ist das Problem.
"Geld in die Hand nehmen für ein besseres Equipment"
Heuer: Der Mangel besteht also fort, Mangel an Personal, Mangel auch an der Ausstattung, auch das wird ja immer beklagt, Sie beklagen das auch. Wie wirkt sich das im polizeilichen Alltag aus, also zum Beispiel am Kölner Hauptbahnhof?
Hein: Es ist so, dass wir ganz große Probleme mit unserem Digitalfunk haben. Und es gibt Stellen am Hauptbahnhof, wo der Digitalfunk einfach nicht funktioniert. Jetzt ist es so, dass wir deswegen noch Analog-Funkgeräte mit uns führen müssen. Und weil die Dinger so alt sind, haben diese Streifen dann noch Ersatz-Akkus dabei für die Analog-Funkgeräte, und weil das aber auch keine absolute Garantie ist, noch die Diensthandys und privaten Handys. Und dann rennt man da mit acht Kommunikationskörpern rum, nur um kommunizieren zu können. Das ist dieser Irrsinn eigentlich. Man müsste da wirklich Geld in die Hand nehmen für ein besseres Equipment.
"Schlusslicht in Europa, was den Digitalfunk angeht"
Heuer: Und warum macht die Politik das nicht? Sagen die das auch gegenüber den Beamten?
Hein: Ja, schauen Sie, da sind wir jetzt schon zwei, die sich diese Frage stellen, und, glauben Sie, es werden noch mehr. Es ist vor allen Dingen ein Problem, das schon lange bekannt ist. Man wollte ja schon 2006 ein funktionierendes Digitalfunknetz haben. Wir sind mittlerweile ein paar Jahre weiter und immer noch das Schlusslicht in Europa, was den Digitalfunk angeht.
Heuer: Wie wichtig, Herr Hein, finden Sie, dass es jetzt mehr Videokameras am Kölner Hauptbahnhof geben soll? Weil das ist ja auch eine Debatte, die führen wir gerade auch mit Blick auf Berlin und jetzt auch mit Köln gerade auf Hochtouren in dieser Republik.
Hein: Gott sei Dank, Gott sei Dank, und noch mal Gott sei Dank, dass man da jetzt wenigstens nachlegen möchte. Was mich jedoch ärgert, ist, wie lange hat das gedauert, und wie viele Beschwerden und Anforderungen gab es, bis das sich endlich dann durchgesetzt hat. Aber Gott sei Dank hat man da jetzt nachgelegt.
Videokameras bringen etwas "in der Strafverfolgung"
Heuer: Die Kritiker sagen ja, das bringt gar nichts. Erleben Sie das anders aus der praktischen Erfahrung?
Hein: Natürlich bringt das was, und zwar in der Strafverfolgung, später, wenn man dann bei der Beweisaufnahme – und Videomaterial ist ein eindeutiges Beweismaterial, gerade, was Diebstahl und Raub angeht –, nachlegen möchte. Da haben wir oft Probleme gehabt, dass wir die Bilder, die wir hatten, eben gar nicht verwenden konnten, weil man konnte es eben nicht erkennen, ist da jetzt ein kleiner Mensch oder ein Rollkoffer.
Heuer: Mit welchen Delikten und Tätern haben Sie als Polizist im Einsatz vor allem zu tun gehabt?
Hein: Bei uns am Kölner Hauptbahnhof war es eindeutig der Taschendiebstahl und der Raub. Das war so intensiv, dass wir 2014 zur Hauptstadt der Taschendiebe getauft wurden. Und das war, muss man leider sagen, unser täglich Brot.
Heuer: Wir haben gelernt, dass in der Silvesternacht vor allem Nordafrikaner Straftaten verübt haben. Das war Ihre Klientel.
"Nordafrikaner im Asylverfahren - das war unser Problemklientel"
Hein: Das war im Taschendiebstahl das Hauptklientel, Nordafrikaner im Asylverfahren, die fast alle die gleiche Vita hatten, kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland schon straffällig wurden innerhalb der Prüfung, schon innerhalb der ersten Monate mehrere Vergehen, hauptsächlich eben mit Taschendiebstahl. Und das war unser Problemklientel. Das Problem war eben auch, dass man denen rechtlich einfach nicht habhaft werden konnte, das heißt, wir haben sie zwar gestellt, die waren aber am nächsten Tag wieder bei uns am Bahnhof fröhlich am Klauen, manchmal sogar noch am selben Tag.
Heuer: Warum?
Hein: Warum? Weil die Strafverfolgung es versäumt, gerade bei Wiederholungstätern einen Konsens zu finden, dass die eben zum Beispiel zur Verhinderung weiterer Straftaten in Gewahrsam genommen werden. Da gibt es so eine Regel in Deutschland, dass, wenn man einen festen Wohnsitz hat, man quasi habhaft ist. Da geht dann die Strafanzeige hin, man verlässt sich da auf den gesunden Menschenverstand, dass Menschen, die nicht flüchten können, quasi der Strafverfahren zugeführt werden können. Das Problem ist aber, wenn ich in irgendeinem Asylheim gemeldet bin und da schon seit Wochen gar nicht mehr bin, dann habe ich eigentlich keinen festen Wohnsitz. Das war für viele Richter aber egal, und deswegen mussten wir die, sobald wir sie hatten und die Strafanzeige geschrieben haben, wieder auf freien Fuß lassen.
Heuer: Das heißt, Strafen schrecken dieses Klientel überhaupt nicht ab. Wie sind diese Leute drauf, wie erleben Sie die?
Hein: Wir haben es hier mit einem absolut skrupellosen Täterklientel zu tun. Wir haben gemerkt, dass vor allen Dingen auch gegenüber Frauen dort keinerlei Respekt besteht, und wir hatten davor das Problem mit Sinti- und Roma-Banden, die am Hauptbahnhof geklaut haben. Das Problem ist aber, dass die Nordafrikaner wesentlich skrupelloser auch gegenüber diesen Banden waren und die dann wirklich mit Gewalt vom Bahnhof verdrängt haben. Also ein ganz neuer Tätertypus. Und dann in relativ kurzer Zeit da wirklich das Heft in die Hand genommen hat und dort den Hauptbahnhof mehr oder weniger beherrscht hat.
"Die Tätergruppe hat die Jahre davor an Silvester auch Probleme gemacht"
Heuer: Herr Hein, hat es Sie überrascht, dass dann in der Silvesternacht dieser Personenkreis vor allen Dingen sexuelle Übergriffe verübt hat?
Hein: Ja, das hat mich schon überrascht. Das hat es in den Jahren davor so nicht gegeben, auch nicht dieses intensive Täteraufkommen, dass wir also so viele Straftäter in einer Nacht aktiv am Bahnhof hatten. Das war neu. Fakt war aber, dass auch diese Tätergruppe die Jahre davor an Silvester auch Probleme gemacht hat. Das war bekannt, auch, dass die mit Raketen in die Menge schießen und sehr aktiv im Diebstahl bei allen Großveranstaltungen in und um Köln aktiv sind. Aber so, wie es sich im letzten Jahr dann gezeigt hat, das war neu.
Heuer: Sie haben in unserem Gespräch gesagt, Ihre Kollegen, die kotzen ab über die Politik. Welche Forderungen haben Ihre Kollegen und haben auch Sie an die Politiker? Was ist das Wichtigste, was Sie gern hätten?
Hein: Zwei Dinge: Das erste ist mehr Personal, denn man muss es einfach so sagen, manchmal hilft mehr auch mehr. Und das zweite, eine sinnigere Strafverfolgung, das heißt, Gesetze, die entweder – man hört immer "verschärfen, verschärfen". Das muss gar nicht sein. Manchmal müssen gewisse Sachen einfach nur geändert werden, zum Beispiel, dass Wiederholungstäter und Intensivtäter einfach mit der gesamten Breitseite des – mit dem vollen Ausmaß einer Strafe auch belegt werden und nicht immer nur mit dem mildesten Urteil. Genauso, dass Wiederholungstaten oder Straftaten, gerade Gewalttaten gegen Polizisten grundsätzlich bestraft werden. Denn das ist auch ein Problem, das wir gehabt haben, dass innerhalb eines Straftatbündels, das heißt, wenn jemand etwas begeht, quasi einen Polizisten gerade noch mit verletzt, das nimmt der noch mit, und deswegen einfach nicht bestraft wird.
Heuer: Der Ex-Polizist Nick Hein, Autor von "Polizei am Limit". Herr Hein, haben Sie vielen Dank für das Gespräch! Es war sehr interessant, Ihnen zuzuhören.
Hein: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.