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Silvester-Übergriffe in Köln
"Erst einmal alles auf den Tisch legen"

Der Kölner SPD-Chef Jochen Ott kritisiert, dass die Öffentlichkeit nach den Übergriffen in der Silvesternacht mehr Fragen als Antworten vorfand. Man habe vorschnell versucht, eine vermeintliche objektive Lage herzustellen, ohne schon alle Fakten zu haben. Er forderte im DLF Transparenz bei der Aufklärung der Ereignisse.

Jochen Ott im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jochen Ott
    Der Kölner SPD-Chef Jochen Ott, zugleich stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im NRW-Landtag. (imago / Rainer Unkel)
    Es gelinge offensichtlich nicht, "dass Landespolizei, Bundespolizei und Ordnungsamt der Stadt bei solchen Ereignissen so zusammen arbeiten, dass eine absolute Sicherheit gewährleistet werden kann", sagte Ott, der auch stellvertretender Vorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen ist.
    Von Polizei und Stadt forderte er Aufklärung, Transparenz und Offenheit. Das sei das Recht des Landtags. Ott kritisierte den Bundesinnenminister Thomas de Maizière für dessen negatives Urteil über die Kölner Polizei - zunächst müssten die Fakten auf den Tisch gelegt werden.
    Es könne keine Folge des Silvesterabends sein, dass Frauen und Männer ihr Verhalten verändern. Stattdessen müssten diejenigen, die sich nicht an unsere Gesetze halten, mit aller Härte des Rechtsstaates verfolgt werden: "Der Staat sollte deutlich machen, dass er solche Situationen in Zukunft verhindert", so Ott.
    Das Interview in voller Länge.
    Jasper Barenberg: Ganze Gruppen von Männern bedrängen und bestehlen Frauen, und zwar viele Stunden lang, buchstäblich mitten in Deutschland, in und um den Kölner Hauptbahnhof herum. Dutzende Zeugenberichte fördern immer neue Einzelheiten zutage über Gewalttätigkeit und sexuelle Angriffe. Außerdem legen Berichte über ein internes Protokoll der Polizei selbst nah, dass der Staat in der Silvesternacht nicht mehr Herr der Lage war.
    Und am Telefon ist Jochen Ott, der Fraktionsvize der SPD im Düsseldorfer Landtag. Schönen guten Morgen!
    Jochen Ott: Guten Morgen, Herr Barenberg!
    Barenberg: Hat die Polizei in Köln in der Silvesternacht versagt?
    Ott: Also, offensichtlich haben alle Beteiligten, sowohl die Bundes- als auch die Landespolizei große Schwierigkeiten gehabt, um es mal vorsichtig zu sagen. Und was da hört, ist desaströs. Insofern ist das Wichtige, jetzt herauszufinden ganz genau, was ist da eigentlich passiert, weil zu viele Berichte im Moment in der Öffentlichkeit sind, teilweise widersprechend, teilweise in eine Richtung, wo man sich jetzt erst mal ein Gesamtbild machen muss. Und das erwarte ich von den verantwortlichen Polizeichefs sowohl in Köln als auch von der Bundespolizei, dass sie das liefern.
    Ein Bericht muss alle vorliegenden Informationen beinhalten
    Barenberg: Nun hat ja die Polizei in Köln beschlossen bis hin zum SPD-Innenminister Ralf Jäger, dass nun erst mal keine Auskünfte mehr gegeben werden, bis sich der Landtag in Düsseldorf am Montag mit dem Thema befasst. Ist das eine kluge Entscheidung aus Ihrer Sicht?
    Ott: Ich glaube, das Wichtigste ist, nachdem man ja vorschnell mit dem Krisentreffen am Dienstag versucht hat, sozusagen eine vermeintliche objektive Lage herzustellen und erst mal alles zusammenzutragen, stellt sich ja im Nachhinein heraus, dass das vielleicht ein bisschen voreilig war, weil man noch nicht alle Fakten zusammen hatte. Und ich glaube, wenn es jetzt einen Bericht gibt, darf es da keine offenen Fragen mehr geben, da muss da alles beantwortet sein, da muss genau beschrieben sein, was ist da eigentlich passiert, welche relevanten Informationen lagen den Behörden im Vorfeld vor, welche Beamten waren im Grunde genommen im Einsatz, wo gab es Schwierigkeiten. Das muss alles auf den Tisch und das ist auch das vornehmste Recht des Parlaments, da einen umfänglichen Bericht zu erhalten, und das werden wir am Montag bekommen.
    Barenberg: Was spricht denn dagegen, jetzt noch über die laufenden Ermittlungen oder über das Auskunft zu geben, was laufend an weiteren Erkenntnissen dazukommt?
    Ott: Sehen Sie, ich kann das nicht im Einzelnen beurteilen. Ich weiß nur, dass die Gerüchtelage, also das, was man eben so hört, beispielsweise ist: Wie kann es sein, dass im Hauptbahnhof selber keine Züge mehr einfahren konnten und Leute quasi in Züge einsteigen konnten und damit auch abreisen konnten und damit diese ganz enge, bedrohliche Situation am Hauptbahnhof, was ja quasi – es ging ja gar nichts mehr nach vorne und zurück –, dass man diese gefährliche Situation hätte auflösen können.
    Angeblich sind ja Menschen über die Gleise zum Hansaring gelaufen, um sozusagen aus dem Hauptbahnhof dann wieder rauszukommen. Und auch die Frage, was ist vor dem Bahnhof auf dem Bahnhofsvorplatz eigentlich passiert? Was mit daran sehr, sehr nachdenklich macht, ist, dass es offensichtlich nicht gelingt, dass Landespolizei, Bundespolizei und Ordnungsamt der Stadt bei solchen Ereignissen so zusammenarbeiten, dass für die Bürger eine absolute Sicherheit auch gewährleistet werden kann. Und das sind die Fragen, die müssen auf den Tisch.
    "Es hilft nur absolute Transparenz und Offenheit"
    Barenberg: Das ist ja in der Tat, Herr Ott, bemerkenswert auch deswegen, weil es gerade in Köln eine gemeinsame Lageeinschätzung gibt vonseiten der Bundespolizei zusammen mit der Seite der Kölner Polizei. Und wenn wir uns vorstellen, was Augenzeugen jetzt berichten, beispielsweise dass verängstigte, bedrängte Frauen vom Vorplatz Polizisten um Hilfe bitten, die geleiten sie dann zum Eingang, zum Bahnhof, aber nicht weiter, und die müssen dann irgendwie im Inneren des Bahnhofs klarkommen. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie es zu solchen Situationen überhaupt kommen kann?
    Ott: Also, ich entnehme den Äußerungen der Gewerkschaft der Polizei auf Bundes- und auf Landesebene, alle, die ich dazu bisher gehört habe, dass ein Thema insbesondere auch der Personalmangel bei der Bundespolizei und der Einsatzkräfte, die im Süden sind, um die Grenzen in Bayern zu sichern, dass das eines der Probleme ist, was den inneren Bereich des Hauptbahnhofs angeht. Ob und wie die Zusammenarbeit auf dem Bahnhofsvorplatz funktioniert hat, das ist das, was ich gerne wissen möchte.
    Weil, offensichtlich hat die Bundespolizei im Interview im "Kölner Stadtanzeiger" ja noch darauf hingewiesen, dass sie für den Bahnhofsvorplatz auch zuständig ist. Gleichzeitig möchte ich wissen, wie es sein kann, dass die Kölner Polizei am Tag nachher sagt, es ist alles gut gelaufen, obwohl im Grunde genommen die Pressestelle mal mit einem Anruf hätte klären können, dass das scheinbar nicht der Fall war, oder offensichtlich nicht der Fall war. Das heißt, diese Fragen müssen auf den Tisch und ich erwarte auch als Politiker im Land Nordrhein-Westfalen, dass diese Dinge auf den Tisch gelegt werden, weil, dann kann man das bewerten, dann muss man es auch bewerten und muss über die notwendigen Konsequenzen nachdenken. Aber das ist jetzt erst mal die Pflicht. Denn es ist ja unerträglich, dass die Leute Sorge haben, sich jetzt Menschenmengen oder Ähnlichem zu nähern. Und ich glaube, da hilft nur eins: Absolute Transparenz und Offenheit über das, was passiert ist.
    Barenberg: Sie haben die Frage aufgeworfen, obwohl genug Beamte der Bundespolizei vor Ort waren, das Bundesministerium für Inneres sagt, da sind genügend Beamte vor Ort gewesen, das ist also eine offene Frage. Auf der anderen Seite verweisen jetzt viele darauf, dass gerade in Nordrhein-Westfalen das Personal weiter runtergekürzt worden ist in den ganzen vergangenen Jahren, und dafür trägt nun ein SPD-Innenminister Verantwortung.
    Ott: Ja, diese Diskussion ... Ich glaube, das ist ja genau das Problem, dass de Maizière sich auch keinen Gefallen damit getan hat, als Erstes mal die Kölner Polizei anzugreifen. Weil, ich glaube, dass die Bevölkerung jetzt kein Verständnis dafür hat, dass gegenseitig irgendwelche Verantwortlichen benannt werden, sondern jetzt geht es darum, dass die Verantwortlichen ihren Job machen und alles auf den Tisch legen. Und dann kann man anschließend sagen, an welchen Stellen sind welche Fehler passiert. Ich bin im Übrigen auch der festen Überzeugung, dass all die recht haben, die sagen, dass die Polizei keine Hellseher sind. Also, sie können natürlich nicht alle Gefährdungslagen im Vorfeld wissen. Aber wenn es – und das möchte ich gerne auch wissen –, wenn an diesem Abend klare Anzeichen gekommen sind und Anforderungen gekommen sind, dass das hier so nicht mehr zu bewerkstelligen ist, dann muss darauf eben entsprechend reagiert werden. Deshalb, ich glaube, eine sorgfältige Aufarbeitung ist das Gebot jetzt dieser Stunde, damit auch die ganze Lage sich wieder insofern beruhigen kann, als man den Leuten sagen kann: Das tun wir jetzt, wir werden jetzt konkret folgende Schritte unternehmen, damit so was in Zukunft nicht mehr passiert.
    "Das war keine glückliche Krisenkommunikation"
    Barenberg: Es gibt ja auch Berichte darüber – ich weiß nicht, ob Sie das bestätigen können –, dass der Innenminister Ralf Jäger weitere zusätzliche Beamte vor Ort verweigert hat. Es lag wohl eine Bitte vor über eine zusätzliche Hundertschaft und die ist dann nicht gewährt worden, eben aus Personalmangel.
    Ott: Das kann ich nicht beurteilen, das habe ich auch nur den Zeitungen entnommen. Auch das wird sicherlich ein Thema im Innenausschuss sein. Ich glaube, dass wir folgende Situation haben: Wir haben eine Kommunikationslage gehabt am Dienstag, wo offensichtlich bei einem Krisentreffen die Öffentlichkeit mit Dingen informiert worden ist sowohl von der Polizei als auch von der Stadt, die im Nachhinein immer mehr Fragen aufgeworfen haben als Antworten.
    Dann gab es die Diskussion um die Armlänge Abstand und die Verhaltensregeln, dann gab es die Frage, wo kommen die Täter eigentlich her. Das alles zusammengenommen war keine glückliche Krisenkommunikation und ich glaube, dass es jetzt darauf ankommt deutlich zu machen: Wo sind die Fehler gewesen – die müssen schonungslos benannt werden –, dann muss über die Konsequenzen geredet werden und dann sollte der Staat deutlich machen, dass er eben solche Situationen in Zukunft auf jeden Fall verhindert.
    Und was mir besonders wichtig ist: Es kann nicht sein, dass die Frauen oder auch Männer jetzt sozusagen ihr Verhalten ändern müssen, wenn sie sich frei in der Stadt bewegen wollen, sondern das Verhalten derjenigen, die sich nicht an unsere Gesetze halten, das muss verändert werden, und zwar mit aller Härte des Rechtsstaates, denn das ist vollkommen inakzeptabel.
    Barenberg: Sagt Jürgen Ott, der Fraktionsvize der SPD im Düsseldorfer Landtag. Danke für das Gespräch heute Morgen!
    Ott: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.