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Silvester-Übergriffe in Köln
"Wer nach Deutschland kommt, muss eigentlich wissen, nach welchen Regeln hier gelebt wird"

Eine Beurteilung der Frau als minderwertiges Wesen dürfe die Gesellschaft in Deutschland keinesfalls akzeptieren, sagte die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün im Deutschlandfunk. "Wenn die Täter von Köln konsequent bestraft würden, würde sich das genauso schnell rumsprechen wie auch die Einladung von Frau Merkel sich rumgesprochen hat."

Lale Akgün im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Die nordrhein-westfälische SPD-Politikerin Lale Akgün
    Lale Akgün: "Wenn islamistische Gruppierungen der Meinung sind, sie hätten die Moral gepachtet und könnten mit diesen Moralvorstellungen auch unser Leben mitbeeinflussen, dann denke ich, müssen wir als Gesellschaft aufstehen." (imago )
    Christoph Heinemann: Bestrafen, ausweisen, abschieben – nach der Gewaltorgie in Köln und in anderen deutschen Städten berichten wir gleich aus Berlin und sprechen mit der Psychologin und ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Lale Akgün. Nach den Übergriffen von Köln sind zwei mutmaßliche Trickdiebe festgenommen worden, die auch in der Silvesternacht am Bahnhof gewesen sein sollen. Bei den 16 und 23 Jahren alten Männern aus Marokko und Tunesien seien Handys sichergestellt worden, das sagt ein Polizeisprecher. Nach Angaben von WDR und "Kölner Stadtanzeiger" zeigen Videos Ausschreitungen und Übergriffe auf Frauen, außerdem sei ein Zettel mit arabisch-deutschen Übersetzungen von sexistischen Begriffen sichergestellt worden. Unterdessen debattiert die Politik über Folgen der Straftaten, berichtet Volker Finthammer aus unserem Hauptstadtstudio.
    Am Telefon ist die Psychologin und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün. Guten Tag!
    Lale Akgün: Guten Tag!
    Heinemann: Frau Akgün, Sie haben in einem Zeitungsartikel geschrieben, Sie erwarten jetzt eine kraftvolle Reaktion, kein Süßholz – was fordern Sie?
    Akgün: Nun, ich habe das Gefühl, dass seit Jahren Integrationspolitik immer entweder eine Bauchpolitik ist, also wir sollen nett zueinander sein, wir müssen das machen, oder eine Reaktionspolitik wie jetzt, wenn irgendwas passiert, setzen die Rituale ein, es gibt, wie Sie eben auch gehört haben, einen Katalog von Maßnahmen, oder alle verlangen, die Strenge des Gesetzes müssten die Menschen spüren. Ich denke, wir müssen grundsätzlicher mal darüber diskutieren, was ein Überbau sein muss für eine Integrationspolitik und was auch die Bringschuld der Einwanderer ist, die in unser Land kommen.
    Heinemann: Nämlich?
    Akgün: Ich denke, zuerst einmal Respekt vor der aufnehmenden Gesellschaft und ihren Werten, der Wunsch, dieser Gesellschaft dazuzugehören und nicht nur diese Gesellschaft als ein Ertragen von bestimmten Dingen zu nehmen, um eben einfach hier auch zu existieren oder zu leben. Wir müssen das Miteinander in dieser Gesellschaft noch mal anders und neu diskutieren.
    Heinemann: Wie kann man das den jungen Männern erklären, die in der Silvesternacht Frauen angegrapscht, ausgezogen und ausgeraubt haben?
    Akgün: Ich glaube, denen muss man erst einmal ganz klar machen, dass wir ein Grundgesetz haben, und in diesem Grundgesetz gibt es eben ganz wichtige Grundrechte. Dazu gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau, dazu gehört die freie Entfaltung der Person und auch die körperliche Unversehrtheit. Man kann nicht sagen, ich will in Deutschland leben, Frau Merkel hat mich eingeladen, und ist nicht in der Lage, die wichtigsten Grundlagen des Lebens in Deutschland einzusehen, und ich glaube, an der Stelle müssen wir auch das wirklich sehr viel direkter machen, als es bis jetzt getan worden ist. Ich denke, eine bestimmte Nachsicht ist immer angebracht, aber nicht in diesen für uns wichtigen Werten.
    "... die ganz bestimmte Vorstellungen haben von der Rolle von Mann und Frau"
    Heinemann: Gehört eine Gewaltbereitschaft Frauen gegenüber zur Kultur eines Teils der Menschen, die in den letzten Monaten nach Deutschland gekommen sind?
    Akgün: Man muss ganz klar sagen, dass eine bestimmte patriarchale Gesellschaft auch bestimmte männliche Vorstellungen mit sich bringt und wir leider eben auch damit konfrontiert sind, dass hier Menschen zu uns kommen aus arabischen, orientalischen Kulturen, die ganz bestimmte Vorstellungen haben von der Rolle von Mann und Frau, und da ist ganz klar, dass da der Mann der fordernde ist, derjenige die Freiheiten hat und die Frau diejenige ist, die das akzeptieren muss. Wenn ich mir anschaue die Bilder von den Menschen, die zu uns kommen, da sehe ich eigentlich sehr viele Frauen mit Kopftüchern und fast gar keine Frauen, die eben ohne Kopftücher kommen. Das ist auch schon ein kleines Zeichen, aber wenn ich das sage, heißt es immer, wir müssen das respektieren, und die Frage ist immer, was können und müssen wir respektieren und wo müssen wir anfangen, auch eigentlich von einem gemeinsamen Leben zu reden.
    Heinemann: Was heißt das jetzt konkret für die Ankunft weiterer Flüchtlinge? Sollte man sagen, bestimmte Leute kommen nicht mehr ins Land?
    Akgün: Nein, wir müssen sagen, wer nach Deutschland kommt, muss eigentlich wissen, nach welchen Regeln hier gelebt wird.
    Heinemann: Frau Akgün, das Problem, wenn Sie das den Tätern von Köln sagen, werden sie Sie wahrscheinlich auslachen, befürchte ich.
    Akgün: Bei den Tätern von Köln ist es zu spät, aber wenn die Täter von Köln konsequent bestraft würden, dann glaube ich, würde sich das genauso schnell rumsprechen wie auch die Einladung von Frau Merkel sich rumgesprochen hat.
    Heinemann: Wie verbreitet ist in der islamisch geprägten Bevölkerung, auch der Menschen, die jetzt hier leben, die Unterscheidung zwischen Madonnen und Huren, was Frauen betrifft?
    Akgün: Sehr stark. Das ist eine ganz wichtige Unterscheidung, nämlich diejenigen ehrenhaften Frauen, das sind meistens Frauen der eigenen Familie, das sind Frauen, die bereit sind, das patriarchale System zu akzeptieren, nämlich ein System, in dem Frauen eigentlich weniger zu sagen haben, und dann eben auch die anderen Frauen, die sogenannten leichten Mädchen, mit denen man eben auch all das machen darf, was man unglücklicherweise auch am Bahnhof in Köln oder in Stuttgart mit jungen Frauen versucht dann. Diese Vorstellung, entweder die Frau lebt nach meinen Vorstellungen, also nach den überholten Vorstellungen eines Frauenbildes, oder sie ist eine Hure, ist ganz stark verbreitet und auch ganz stark an das Muslimsein geknüpft. Das heißt, es wird auch noch diese Bedingung des Religiösen dazu gebracht, wer eine gute Muslimin sein will, wer in unserer Gesellschaft akzeptiert sein will, also in der eigenen Community, muss sich den Regeln der Männer unterwerfen.
    Heinemann: Frau Akgün, Sie sagten eben, bei den Straftätern von Köln ist es zu spät. Heißt das, dass Sie damit rechnen, dass sich Ereignisse wie in Köln wiederholen werden?
    Akgün: Ich befürchte, dass sich solche Ereignisse wiederholen werden, wenn nicht jetzt sehr klar, sehr klar in der Gesellschaft auch Konsens darüber besteht, was für uns wichtig ist und was wir eben nicht akzeptieren wollen, und was wir nicht akzeptieren wollen und können, sind Übergriffe, ist eine Beurteilung einer Frau als ein minderwertiges Wesen oder eben auch, dass neue Moralvorstellungen in unser Land importiert werden, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen können. Moral ist etwas sehr Subjektives, und wenn bestimmte Gruppierungen und gerade auch islamistische Gruppierungen der Meinung sind, sie hätten die Moral gepachtet und könnten mit diesen Moralvorstellungen auch unser Leben mitbeeinflussen, dann denke ich, müssen wir als Gesellschaft aufstehen und dem widersprechen.
    Heinemann: Was glauben Sie, passiert in der Gesellschaft, wenn, was Sie hoffen, dass es nicht passiert, die Politik jetzt nur Süßholz liefern würde?
    Akgün: Dann würde, denke ich, das Gefühl gerade bei diesen jungen Männern, die aus autoritären Gesellschaften kommen – das darf man auch nicht vergessen, sie kommen aus autoritären Gesellschaften, wo eben oft ein Machtwort gesprochen wird und auch gehandelt wird –, sie kommen in unser Land und erleben oft unsere liberale Demokratie als eine laxe Lebensform, hier kann man machen, was man will, es passiert eh nichts. Menschen, die gewohnt sind, sofort Reaktionen auf ihr Verhalten zu spüren, erleben zum ersten Mal, dass sie etwas tun können, und die Gesellschaft oder das Gesetz reagiert nicht. Wenn man jetzt nämlich genauso auf diese Sache nicht reagiert, sondern die Sache im Sande verläuft, dann ist das ein Signal an all die anderen, du kannst machen, was du willst, die regen sich ein bisschen auf, aber es wird sich nichts ändern.
    Heinmann: Lale Akgün, Psychologin und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete. Frau Akgün, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Akgün: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.