Christiane Kaess: Die Bilanz des Regimes des mittlerweile 93-jährigen Robert Mugabe in Simbabwe ist verheerend. Hunger ist ein alltägliches Phänomen, die Arbeitslosigkeit überdimensional hoch, im sogenannten "Index der menschlichen Entwicklung", mit dem die Vereinten Nationen den Wohlstand weltweit messen, da rangiert Simbabwe auf einer der letzten Stellen. Jetzt geraten offenbar in dem Land zwei Politiker aneinander, die noch zusammen gegen das weiße Minderheitsregime im damaligen Rhodesien gekämpft haben: Mugabe und der von ihm entlassene Vizepräsident Mnangagwa. Das Militär hat die Kontrolle übernommen.
Darüber möchte ich sprechen mit der Politikwissenschaftlerin Melanie Müller von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Frau Müller.
Melanie Müller: Guten Tag.
Kaess: Das Militär sagt ja, das ist kein Putsch. Aus Ihrer Sicht: Ist das ein Putsch?
Müller: Das ist derzeit noch schwer zu sagen. Das wird in erster Linie davon abhängen, wie Mugabe sich äußert, wenn er sich denn dann offiziell äußert, und wie er dann darauf reagieren wird.
"Die angespannte Situation kann eskalieren"
Kaess: Das heißt, Sie glauben, er hat noch Einfluss?
Müller: Einfluss nicht. Aber was ja klar ist, dass gerade intensiv auch mit ihm verhandelt wird. Er muss sich in jedem Fall oder sollte sich in jedem Fall auch offiziell dazu äußern. Wenn er das anerkennt, zurücktritt und den Weg freimacht, um eine neue Regierungskoalition, in welcher Konstellation das dann auch immer sein wird, freizumachen, sieht das natürlich noch mal anders aus. Aber ich glaube, momentan ist es einfach noch zu früh, das wirklich abschließend zu beurteilen.
Kaess: Was, glauben Sie, würde passieren, wenn er sich weigert, zurückzutreten und den Weg für einen Nachfolger freizumachen?
Müller: Man kann sagen, die Stimmen aus der ZANU-PF, seiner Partei, die zur Mäßigung aufgerufen haben, und auch die Jugendorganisation der ZANU-PF, die eigentlich in den letzten Tagen immer wieder auch gesagt hat, dass sie Mugabe unterstützen und verteidigen würde, haben zur Ruhe aufgerufen. Das heißt, ich denke, es deutet gerade eher darauf hin, dass es nicht zu Kämpfen kommen wird. Wenn Mugabe sich jetzt aber weigern würde, dann würde das natürlich noch mal anders aussehen und die Situation, die gerade ohnehin schon angespannt ist, sicherlich auch zum Eskalieren bringen.
Kaess: Jetzt hat es ja für viele so ausgesehen, als würde Mugabe der ewige Diktator Simbabwes sein. Kam das jetzt für Sie überraschend, dass da offenbar jetzt doch so eine Wende eingeleitet wird?
"Mugabe favorisiert seine Frau Grace als Nachfolgerin"
Müller: Na ja. Es gibt natürlich die Tatsache, dass er 93 Jahre alt ist und man seit einigen Jahren, vor allem auch in den letzten Monaten immer wieder über seinen Gesundheitszustand sich besorgt geäußert hat. Es wäre, glaube ich, klar gewesen, dass er nicht mehr ewig regiert.
Es war auch klar, dass es eine Nachfolge geben soll. Das ist ja genau das, was in Ihrem Beitrag auch behandelt wurde, dass er selber seine Frau Grace Mugabe als Nachfolgerin favorisiert, dass es aber auch von anderer Seite eine Fraktion gibt innerhalb der eigenen Partei, die den Mnangagwa favorisiert, und dass letztendlich nächstes Jahr, sehr wahrscheinlich im Juli die Wahlen hätten abgehalten werden sollen. Da war schon absehbar, dass Mugabe nicht weitermachen wird. Aber natürlich die Frage, wer folgt auf ihn, das war klar.
Überraschend? Ich meine, es hatte sich in den letzten Tagen angedeutet, dass es in diese Richtung gehen könnte, weil nämlich Mugabe Mnangagwa als Vizepräsidenten abgesetzt hat. Der ist daraufhin nach Südafrika gegangen. Und das Militär hat in den letzten Tagen angekündigt, dass sie das nicht hinnehmen werden, dass sie eventuell in die politischen Angelegenheiten dort intervenieren würden. Das hat sich zugespitzt, aber letztendlich tatsächlich schneller als ich dachte.
Kaess: Und wenn man jetzt dem glauben kann, was das Militär im Moment sagt, nämlich dass man nur zeitweise die Kontrolle über den Staat übernommen hat und die Kontrolle auch wieder zurückgeben wird an die Politik, wer kann das sein? An wen könnte das sein?
Müller: In erster Linie wäre das wünschenswert und ist auch das, was im südlichen Afrika von der SADC, der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft favorisiert wird - das kam ja auch in Ihrem Beitrag vor -, was sicherlich auch in der Bevölkerung gewünscht wird. Eine dauerhafte Militärregierung wäre schwierig. Es gibt einige Stimmen, die sagen, dass aufgrund von mangelnden Kapazitäten des Militärs dies sowieso nicht ganz wahrscheinlich ist, aber ich glaube, das ist schwer zu sagen, wie gut das, wenn es Ziel sein sollte, vorbereitet wäre. Aber alles deutet eher darauf hin, dass es Richtung politischer Kontrollübernahme wieder gehen wird. Das Militär hat erst mal Mnangagwa dafür favorisiert, oder zumindest Teile des Militärs haben das getan. Er ist natürlich Vizepräsident gewesen. Es kann natürlich sein, dass, was beschrieben wurde, eine Art von neuer Übergangsregierung, die unterschiedliche Stimmen mit einbezieht, sehr wahrscheinlich auch für die ZANU-PF selbst das Beste wäre, weil die natürlich auch ihr Gesicht nicht verlieren wollen vor dem Hintergrund, dass es auch einige Oppositionsparteien gibt, die natürlich ihre Chance wittern.
Kaess: Und ist das realistisch, die Beteiligung mehrerer, ich nenne das jetzt mal Fraktionen, oder läuft das Land wieder Gefahr, dass es letztlich einfach nur eine Machtübernahme durch eine andere Klicke geben wird?
"Optimistisch macht es mich nicht"
Müller: Da muss man noch mal darauf achten, wie lange das dauern wird. In irgendeiner Form muss es eine Art von Übergangsregierung geben, egal wie, auch wenn die Wahlen hoffentlich wie angekündigt nächstes Jahr dann frei und fair stattfinden. Das wäre dann quasi wieder ein demokratischer Prozess, den man damit ermöglicht. Ich hoffe, dass vor dem Hintergrund der ökonomischen und sozialen Krise in Simbabwe auch innerhalb der ZANU-PF viele ihre Verantwortung da sehen. Das ist immer schwer im Vorfeld zu sagen.
Kaess: Was macht Sie da optimistisch, wenn ich da mal unterbrechen darf? Denn das war ja über Jahrzehnte überhaupt nicht der Fall.
Müller: Nein. Optimistisch macht es mich auch nicht. Aber ich glaube, die offiziellen Statements momentan und die Tatsache, dass natürlich Simbabwe politisch und ökonomisch vollkommen isoliert ist, international auch, da gibt es natürlich auch sehr viel Druck. Aber ich würde auch sagen, optimistisch wäre zu viel. Man muss auf jeden Fall abwarten, was die nächsten Tage bringen.
Kaess: Das müssen wir in der Tat. Aber ich möchte noch mal nachfragen, warum Sie glauben, dass es tatsächlich möglich wäre, dass es friedlich bleibt. Denn aus dem Militär heißt es ja jetzt, man werde Verbrecher in Mugabes Umfeld zur Strecke bringen. Was lässt das denn vermuten?
Müller: Bislang gab es eine ganze Reihe von Verhaftungen. Man kann das quasi nachverfolgen. Alle paar Minuten wird angekündigt, wer in Mugabes Umfeld verhaftet wurde. Das muss natürlich noch bestätigt werden. Ich würde auch nicht sagen, es ist sicher, dass es friedlich bleibt. Ich glaube, dass man wirklich Sorge haben muss, wie das in den nächsten Tagen weitergeht. Was ich sage ist, dass es bislang friedlicher ist als ich dachte, und das ist zumindest ein Hoffnungsschimmer. Aber wichtig ist natürlich auch: Wir haben die Afrikanische Union und auch die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas, die da auch eine aktive Rolle übernehmen könnten. Was natürlich optimaler Weise passieren könnte wäre, dass man externe Vermittler nach Simbabwe bringt, die dann auch helfen, diesen Übergang friedlich zu gestalten und auch demokratisch zu gestalten. Die Afrikanische Union hat gesagt, sie guckt sich die Situation sehr kritisch an, gerade auch über die SADC, und da gibt es eine ganze Reihe von Akteuren in der Region, die ein großes Interesse an Stabilität in Simbabwe haben.
Kaess: Die Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Melanie Müller von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke für das Gespräch.
Müller: Danke Ihnen.
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