Edson Murombe hat es eilig. Der 18-Jährige ist auf dem Weg zur Schule. Und er ist spät dran. Zügig durchquert er seinen Heimatort Chitungwiza, rund 30 Kilometer von Simbabwes Hauptstadt Harare. Seine Familie lebt hier, wie die meisten anderen auch, in einem kleinen Haus auf engstem Raum. Viele sind vor der Armut aus den ländlichen Regionen in dieses dicht besiedelte Viertel gezogen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch auch hier prägen die Konsequenzen jahrzehntelanger Misswirtschaft den Alltag.
"Die Meisten sind arm und arbeitslos"
"Das Leben ist wirklich hart. Unsere Eltern können es sich kaum leisten, uns zur Schule zu schicken. Dort werden wir in zwei Schichten unterrichtet, einige Klassen morgens, andere am Nachmittag. Denn es gibt einfach nicht genügend Platz und Lehrer für alle. Die Zukunftsperspektiven für junge Leute sind nicht gut. Die Meisten sind arm und arbeitslos. Dazu kommt die marode Infrastruktur: Wir haben längst nicht jeden Tag fließend Wasser und Strom. Das Abwassersystem ist in einem ebenso bedauernswerten Zustand wie unsere Straßen."
Autos fahren Schlangenlinien um die vielen Schlaglöcher. Dutzende Stände fliegender Händler säumen die Straßen. Sie bieten Obst und Gemüse, Second-Hand-Kleidung und Schuhe, Telefonkarten und Haushaltswaren an. So wie überall in Simbabwe. Angesichts von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit hält sich die Mehrheit der Bürger auf diese Weise irgendwie über Wasser.
Unter Mugabe viel durchgemacht
Doch jetzt soll alles besser werden. Das verspricht der Mann, der den Autokraten Robert Mugabe im November gestürzt hat. Emmerson Mnangagwa, der amtierende Präsident und Spitzenkandidat der Regierungspartei Zanu PF. Er lächelt milde von einem der vielen Wahlplakate, die Edsons Schulweg säumen. Der 18-Jährige brennt darauf, am 30. Juli erstmals seine Stimme abzugeben.
"Ich schaue mir an, wie es momentan um unsere Wirtschaft bestellt ist und was die Politiker versprechen, um herauszufinden, welche dieser Wahlversprechen realistisch sind. Ich möchte für einen Kandidaten stimmen, der gerade uns jungen Leuten echte Perspektiven eröffnet, über Führungsqualitäten verfügt und Gesetze in unserem Sinne vorantreibt. Einfach ist das nicht, denn zu der Wahl treten über 100 Parteien an. Einige davon sind einfach unfähig, andere würden das Amt des Präsidenten nur missbrauchen."
Und von Amtsmissbrauch haben die Simbabwer nach 37 Jahren Mugabe nun wirklich genug. Der Autokrat und seine Machtclique hatten jahrelang in die eigene Tasche gewirtschaftet, während es der Bevölkerung immer schlechter ergangen ist. Fungai Dewere, vom Kinder- und Jugendhilfswerk Terre des Hommes in Simbabwe, spricht sogar von einer verlorenen Generation.
"Simbabwe hat viel durchgemacht: Hyperinflation und einen zeitweiligen Kollaps der sozialen Dienste, des Schul- und Gesundheitswesens. Viele Kinder, gerade aus armen Verhältnissen, haben keine Bildung erhalten und gelten daher heute als verlorene Generation. Eine Generation, die keinerlei Perspektive hat und um die sich niemand richtig gekümmert hat."
Parteien buhlen um die jungen Wähler
Über die Hälfte der Bevölkerung in Simbabwe ist unter 25 Jahre alt. Sie ist mit Robert Mugabe und der wirtschaftlichen Dauerkrise in seinem autokratischen Polizeistaat aufgewachsen. Nun hofft sie auf einen Neuanfang, den alle Parteien versprechen. Die Zanu PF mit Mnangagwa an der Spitze ebenso, wie sein aussichtsreichster politischer Gegner, Nelson Chamisa, von der oppositionellen MDC. Aktuelle Umfragen sagen ein Kopf an Kopf Rennen voraus. Chamisa hat in den letzten Wochen deutlich aufgeholt. Viele der 5,5 Millionen registrierten Wähler sind jedoch offenbar noch unentschieden. Letztlich würden vor allem die Stimmen junger Wähler entscheiden, sagt Fungai Dewere von Terre des Hommes.
"Alle Parteien buhlen in ihren Kampagnen um die Stimmen der jungen und Erstwähler. Das beherrschende Thema ist die extrem hohe Arbeitslosigkeit. Wer auch immer diese Wahl gewinnt, muss für wirtschaftlichen Aufschwung und Jobs sorgen. Wenn der Regierung das nicht gelingt, steuern wir auf eine neue Krise zu. Denn es ist gefährlich, wenn eine solch junge Bevölkerungsmehrheit keinerlei Perspektiven hat. Aus meiner Sicht ist das das größte Risiko für unser Land."
"Seit Mugabe weg ist, tauen sich die Leute zu träumen"
Viele junge Gesichter waren auch unter den Demonstranten, die im November zu Zehntausenden den Rücktritt Mugabes gefordert hatten. Das Militär hatte den Autokraten damals gerade unter Hausarrest gestellt und die Kontrolle im Land übernommen. Der Putsch, der offiziell nicht so genannt wurde, war ohne Blutvergießen verlaufen. Wenige Tage später trat Mugabe zurück. Der 29-jährige Tafadzwa Tseisi wirkt bei dieser Erinnerung bis heute euphorisch.
"Ich habe damals mit demonstriert und gemeinsam mit den anderen diese große Hoffnung verspürt. Es sind so viele junge Leute auf die Straße gegangen und das erste Mal seit langer Zeit war Mugabe machtlos. Seit Mugabe weg ist, trauen sich die Leute wieder zu träumen."
Tafadzwa Tseisi sitzt im Innenhof der sogenannten Moto Republik, einem Zentrum der jungen, kreativen und regimekritischen Szene in Harare. Männer und Frauen sitzen konzentriert vor ihren Laptops, andere unterhalten sich angeregt. Hier hat das Magamba-Netzwerk seinen Sitz, das schon in den dunkelsten Mugabe-Jahren für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit eingetreten ist. Einer der Gründer ist mit am Tisch: Tongai Makawa, 35. Nach etlichen Razzien und Festnahmen sieht er die Situation in seiner Heimat nüchterner.
"Nach 37 Jahren Mugabe war jede Veränderung ein Freudenfest wert, selbst wenn sie nur oberflächlich gewesen sein sollte. Natürlich war es erfrischend zu sehen, wie viele junge Leute plötzlich aus ihrer politischen Apathie aufgewacht sind. Da wehte zwar vielleicht kein frischer, aber ein anderer Wind. Denn man darf nicht vergessen, dass dieser Protest nur mit dem Segen des Militärs möglich war. Noch erleben wir die Charme-Offensive der neuen politischen Führung. Aber wir müssen abwarten, was davon nach den Wahlen übrig bleibt und wie viel des Wandels tatsächlich real ist.
Viele aus der alten Elite sind noch da
Es ist die Frage, die momentan viele Simbabwer umtreibt. Denn Wandel versprechen alle Parteien: Den langersehnten Wirtschaftsaufschwung und eine Rückkehr in die internationale Gemeinschaft, Investitionen aus dem Ausland und in die Infrastruktur, demokratische Grundwerte und eine Strafverfolgung der alten, korrupten Elite. Auch der Zanu PF Spitzenkandidat Emmerson Mnangagwa stimmt in diesen Chor mit ein, obwohl er lange Zeit ein enger Verbündeter Mugabes war. Tongai Makawa vom Magamba-Netzwerk:
"Man sollte sich daran erinnern, dass es während des Putsches, der offiziell keiner gewesen sein soll, hieß: Der Präsident sei sicher; Ziel seien die Kriminellen in seinem Umfeld. Aber bisher ist kaum jemand zur Rechenschaft gezogen worden. Für mich zeigt die Zanu PF damit ihr wahres Gesicht: Die Partei will mit allen Mitteln an der Macht bleiben. Zwar hat sie mit Mugabe ihren gottgleichen Kopf abgeschnitten, aber die Strukturen sind geblieben. Und dabei ist deutlicher als je zuvor, welche bedeutende Rolle das Militär seit jeher spielt. Aber wir vergessen leicht. Und so ist es möglich, dass jemand, der vor Jahrzehnten an einem Völkermord beteiligt war, heute als Hoffnungsträger und Held gesehen werden kann."
Makawa spielt auf die Rolle Emmerson Mnangagwas bei den Massakern an den Ndbele in den 80er Jahren an. Schätzungen zufolge wurden damals mehr als 20.000 Menschen getötet, viele mehr wurden gefoltert, vergewaltigt und vertrieben. Als damaliger Minister für Staatssicherheit und Leiter des Geheimdienstes soll Mnangagwa für diese Gräueltaten mit verantwortlich sein. Er selbst bestreitet das. Eine Aufklärung war in der Mugabe-Ära nie möglich. Nun kandidiert Mnangagwa als Präsident. Ranghohe Militärs sitzen mit an seinem Kabinettstisch, ebenso wie alte Minister aus der Mugabe-Ära. Eine deutliche Zäsur sieht anders aus. Ob der in verfeindete Flügel gespaltenen Zanu PF nach einer gewonnen Wahl tatsächlich ein Neuanfang gelingen kann, ist fraglich. Gerade die jüngere Generation setze ihre Hoffnungen deshalb in Oppositionsführer Nelson Chamisa, sagt Tafadzwa Tseisi, der aufmerksam zugehört hat. Er arbeitet an einem alternativen Medienprojekt mit, erstellt Podcasts und Videos, in denen junge Simbabwer jenseits staatlicher Medienkontrolle zu Wort kommen. Momentan dreht sich natürlich alles um die historische Wahl, die Versprechen der Parteien und die Hoffnungen der Wähler.
"Allein die Tatsache, dass Chamisa jung ist, macht ihn attraktiv. Er versteht besser, was unsere Generation umtreibt und hat viel Charisma. Bei dieser Wahl geht es um Antworten auf ganz grundsätzliche Probleme, die uns betreffen: Um die Frage, warum selbst Universitätsabsolventen keinen Job finden, warum viele als Straßenhändler arbeiten und junge Frauen sich prostituieren müssen. Das ist unsere traurige Realität. Das Simbabwe, von dem wir träumen, kann nur von jungen Leuten gestaltet werden. Es geht nicht nur um Jobs, sondern auch um die Förderung von Start-ups."
Die Jungen wollen Veränderung
Tongai Makawa nickt, aber ganz einverstanden ist er doch nicht. Nelson Chamisa, der erst nach dem Tod des langjährigen Mugabe-Gegenspielers Morgan Tsvangirai im Februar die Rolle des Oppositionsführers übernommen hatte, sei auch keine perfekte Lösung. In der MDC schwelen ebenfalls Flügelkämpfe. Im Wahlkampf verspricht der 40-Jährige das Blaue vom Himmel. Oftmals sind seine Ankündigungen vollkommen unrealistisch, wie die Lösung der seit Jahren schwelenden Bargeld-Krise in nur zwei Wochen. Oder sie sind frei erfunden, wie die angebliche persönliche Zusage des US-Präsidenten, im Falle eines Wahlsieges Chamisas 15 Milliarden Dollar zu überweisen.
"Viele junge Simbabwer wollen nur für Chamisa stimmen, weil sie sich frisches Blut in der Politik wünschen. Die Leute wollen einfach irgendeine Veränderung. Auch wenn der Fortschritt nur eine Illusion ist. Wir konzentrieren uns außerdem noch viel zu sehr auf Personen, statt auf politische.
Die beiden stehen auf und gehen ins Gebäude der Moto Republik, einem älteren Bau, der mit zwei aufgestockten Schiffscontainern ergänzt wurde. Es geht zu, wie im Bienenstock. In einem Raum findet ein Workshop für Start-up-Gründer statt, in einem anderen wird eine politische Satire-Sendung produziert. Es ist unübersehbar, dass sich hier junge, urbane, gut ausgebildete Simbabwer eine Nische geschaffen haben, in der sie selbstständig arbeiten können. Unabhängig von der desolaten Lage auf dem Arbeitsmarkt.
Viele Gleichaltrige können davon nur träumen. Vor allem in den ländlichen Regionen. Dort ist die Zahl der Schulabbrecher hoch, weil Jugendliche und Kinder für den Unterhalt der Familie sorgen müssen. Die Armut sei groß, der Zugang zu Informationen gering, fasst Watmore Makokoba zusammen. Der 38-jährige Journalist schreibt gerade einen Artikel für das Online-Projekt Open Parly. Ziel ist eine unabhängige Berichterstattung, Journalisten die den Abgeordneten im Parlament auf die Finger schauen.
Neue Verbreitungswege: Online-Medien
Im politischen Tauwetter nach dem Sturz Mugabes ist diese offene, kritische Berichterstattung möglich. Simbabwe erlebt derzeit eine bislang unbekannte Meinungsfreiheit, von der alle hoffen, dass sie auch nach der Wahl erhalten bleibt. In den urbanen Zentren sind Online-Medien bereits sehr populär. Die Provinzen würden jedoch hinterher hinken, sagt Watmore Makokoba.
"Die Nachrichten erreichen oft nur die Menschen in den Städten. Auf dem Land gibt es ein Informationsdefizit. Zeitungen bekommen sie wegen der schlechten Straßen oft zu spät oder gar nicht; Radio und Fernsehen sind in staatlicher Hand. Unsere Nachrichtenplattform Open Parly kann jedoch auf dem Mobiltelefon geöffnet werden. Das Netzwerk ist mittlerweile gut ausgebaut, Daten nicht mehr so teuer wie zuvor. So können die Leute endlich verfolgen, was im Parlament diskutiert und entschieden wird. Mittelfristig könnte das die Informationslage in der Provinz grundlegend verändern.
Unabhängigen Online- und sozialen Medien kommt gerade jetzt im Wahlkampf eine große Bedeutung zu. Sie schaffen Transparenz und eröffnen eine Perspektive jenseits der Propaganda, die gerade in den ländlichen Regionen noch von der Zanu PF dominiert wird.
"Die Regierungspartei ist schon sehr lange an der Macht und bekannt für ihre brutalen Methoden. Nun verspricht die Partei Reformen, bekennt sich zu Menschenrechten und Medienfreiheit. Ein wenig hat sich tatsächlich schon verändert, das lässt uns hoffen. Aber wir müssen wachsam bleiben, denn vielleicht ist das nur Teil der Wahlkampfstrategie."
Warnung vor Wahlbetrug
Offen ist weiterhin die Frage, ob und wann das alte Regime sich vor dem Parlament wegen Menschenrechtsverletzungen, Amtsmissbrauch und Korruption verantworten muss. Der gestürzte Präsident Robert Mugabe selbst sollte eigentlich vor einem Ausschuss aussagen, um zu erklären, wie Diamanten um Wert von 15 Milliarden Dollar verschwinden konnten. Doch er weigert sich bis heute und werde das wohl weiterhin tun, glaubt Watmore Makokoba.
"Mugabe wird mit den Worten zitiert, dass er erst aussagen werde, wenn auch der amtierende Präsident vor dem Ausschuss Stellung beziehen muss. Es ist also eine Pattsituation. Denn in dieser Sache gibt es viele Geheimnisse, die keiner der beiden lüften möchte. Mugabe könnte seinen ehemaligen Vize Mnangagwa erheblich in Bedrängnis bringen. Und deshalb glaube ich nicht, dass es dazu kommt.
Wieder einmal wird deutlich, mit welchen Altlasten die Zanu PF und ihr Spitzenkandidat in den Wahlkampf ziehen. Auch deshalb warnt die Opposition seit Monaten vor Wahlbetrug und Manipulationen des Wählerverzeichnisses. Zwar wurde es auf ihren Druck hin erstmals mithilfe eines biometrischen Registrierungsverfahrens erstellt und seit langer Zeit sind auch westliche Wahlbeobachter zugelassen, aber die Frage, wie frei und fair diese historischen Wahlen wirklich sein können ist weiterhin berechtigt. Einer aktuellen Studie zufolge könnten rund 900.000 Einträge des Wählerverzeichnisses manipuliert sein. Außerdem gibt es, trotz des weitgehend friedlichen Wahlkampfes, Berichte, nach denen die Regierungspartei Wähler teils massiv einschüchtert.
Historische Wahlen - das Interesse ist enorm
Auch in Chitungwiza seien junge Männer angeworben worden, um Anhänger der Opposition zu verprügeln, erzählt ein Mädchen einer Gruppe Gleichaltriger. Darunter ist auch Erstwähler Edson Murombe. Ernst blickt er in die Runde.
Die anderen haben Ähnliches gehört. Sie wollen ihre Gleichaltrigen über die sozialen Medien darüber informieren. Das Interesse der Jugend am Verlauf dieser historischen Wahl ist enorm.
Nachmittags macht sich Edson Murombe nachdenklich auf den Nachhauseweg. Wieder kommt der 18-Jährige an dem überdimensionalen Wahlplakat der Regierungspartei vorbei. "Wir liefern das Simbabwe, das Du willst!" lautet der Slogan.
"Ich will ein Simbabwe, in dem die Rechte jedes einzelnen respektiert werden und jeder seine Meinung frei äußern kann. Ich will ein Simbabwe, in dem es Arbeitsplätze für junge Leute gibt, in dem wir eine Perspektive und ein Mitspracherecht haben. Zunächst einmal aber wünsche ich mir natürlich freie, faire und glaubwürdige Wahlen. Mit der richtigen politischen Führung und den richtigen Konzepten ist eine Veränderung möglich. Ich hoffe, dass diese Wahlen einen Wendepunkt markieren, zwischen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise und einem Wandel zum Besseren."