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Simon Stephens: "Harper Regan"

Einmal im Leben ein Auto zu Schrott fahren, wer hätte davon nicht schon mal geträumt. Was andere von ihrer Phantasie und den Stuntmen in Actionfilmen erledigen lassen. möchte Harper Regan allen Ernstes mal selber tun. Sie ist die Heldin im neuen Stück von Simon Stephens. Stephens, 1971 geboren, schreibt gern über Menschen, die weg wollen aus der ihnen zugewiesenen Realität, einem miesen oder widrigen Leben. Sein Geburtsort Manchester, Inbegriff der frühindustrialisierten englischen Stadt, spielt da vielleicht eine Rolle, jedenfalls prägt er das Image des gutaussehenden Dramatikers mit. Die Salzburger Festspiele brachten Harper Regan jetzt auf die Bühne, Martina Gedeck spielt vielversprechend die Titelfigur.

Von Sven Ricklefs |
    Von dem Büro ihres Chefs aus kann man den Flughafen Heathrow sehen. Sie selbst ist noch nicht weiter als Italien gekommen, als Kind mal: zum Campen. Harper Regan wohnt mit ihrer Tochter und ihrem Ehemann in Uxbridge irgendwo im Niemandsland um London, sie ist eine Niemandsfrau wie viele, eine, die einmal ausbricht aus ihrem Niemandsleben, wenn auch nur für zwei Tage. Mit 41 hat sie das Gefühl, dass sie alt wird, vor der Zeit, sie war nie in der Welt und sie hat nie eine Lederjacke getragen. Als ihr Vater im Sterben liegt,=2 0reist sie zu ihm, auch wenn ihr Chef ihr mit Kündigung gedroht hat, sie reist, ohne irgendjemand davon etwas zu sagen. Und als sie zu spät kommt, als der Vater schon tot ist, tut sie zwei Tage lang Dinge, die sie noch nie getan hat.

    "Justine: Was machen Sie heute noch?
    Harper: Ich werde ein Auto klauen. Und zu Schrott fahren. Ich habe noch nie ein Auto zu Schrott gefahren. Ist garantiert viel leichter, als man sich das vorstellt.
    Justine: Ja. Nein. Weiß nicht.
    Harper: War nicht mein Ernst."

    Doch eigentlich ist es Harper Regan ernst und so wird sie den schmierigen Journalisten, der sie morgens um 11 Uhr in ein Bar anmacht, der sich Koks hochzieht und in antisemitische Hasstiraden ausbricht, so wird sie ihn schließlich mit den Scherben ihres zerbrochenen Weinglases verletzen und ihm seine Lederjacke klauen. Und mit dem Blind Date aus dem Internet wird sie Sex haben auf dem Fußboden eines Hotelzimmer. Es sind kleine Übertretungen, die Harper Regan begeht, fast könnte man sagen, sie sind erbärmlich, trotzdem sind sie wichtig für sie. Wichtig, um vielleicht später doch noch einmal eine andere Bilanz ziehen zu können, als ihre Mutter das kann.

    "Alison: Ich blicke auf mein Leben zurück und denke - diese Momente, über die ich nicht nachgedacht habe. Die Momente, in denen ich darauf gewartet habe, dass mein Leben beginnt. Die ganz normalen Momente. Die lähmenden Momente der Banalität. Da habe ich nicht auf mein Leben gewartet. Das war mein Leben. "

    In der deutschsprachigen Erstaufführung von Simon Stephens "Harper Regan" bei den Salzburger Festspielen ist Harper Regan gleichsam so wie der schrecklich lila Faltenrock, den sie fast den ganzen Abend trägt. Er sitzt zu hoch und wird wohl nie mehr wirklich am richtigen Ort sitzen. Martina Gedeck spielt ihre Harper Regan so, als sei sie nie wirklich in ihrem Körper angekommen, da versucht eine Frau, der eigenen Unzulänglichkeit standzuhalten, der eigenen und der der Welt. Linkisch noch, wenn sie sexy sein will, anrührend in der Bedürftigkeit.
    Wenn Harper Regan nach den zwei Tagen wieder heimkehrt, wird sie zumindest eins gelernt haben: nicht mehr zu lügen. Sie wird ihrem Mann die Wahrheit sagen und sie wird einen anderen Blick haben auf den blinden Fleck in der Familie, auf die Tatsache, dass dieser Mann vorbestraft ist dafür, kleine Kinder nackt abgelichtet zu haben.

    "Harper: Hör mal. So funktioniert eine Ehe nun mal. So was passiert. Es reißt einem den Boden unter den Füßen weg. Man berappelt sich wieder. Man macht's besser. Man macht weiter. Es ist nie nur einer Schuld."

    In seiner Salzburger Festspiel-Inszenierung hat Regisseur Ramin Grey Simon Stephens neues Stück auf englische Art nüchtern eingerichtet. Im schnellen szenischen Wechsel lässt er auf offener Bühne die verschiedenen Spielorte zusammenbauen, eine Küchenwand hier, eine Barzeile dort, und das hochkarätige Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg weiß darin seine Figuren und ihre Lebensschmerzen beeindruckend zu skizzieren. Wenn dann doch ein leiser Zweifel bleibt, dann gilt dieser nicht der Produktion, sondern eher Stephens Stück, dem man mehr als sonst bei diesem Autor den sehr bewussten Willen anmerkt. So wirken diesmal die schon aus seinem Erfolgsstück Pornographie bekannten Zutaten zu wohldosiert: der rassistische Ausbruch hier, der Antisemitismus da, das philosophische Resümee dort. Und die Dialoge hören sich manchmal an, als seien sie eben genau das: Dialoge. Die Chinesen sagen, man müsse eine Kunst 20 Jahre lang lernen, um sie dann wieder 20 Jahre zu vergessen, erst dann würde man sie beherrschen. Und so wünscht man Simon Stephens, einem der besten Theaterautoren der Gegenwart, auch er möge ein wenig von seinem Handwerk vergessen.