"Wir sind hier in der Krypta der St- Michaelis-Kirche, direkt an der Grablege des Hl. Bernward, und diese Krypta wird nach wie vor als katholischer Sakralraum einmal pro Woche genutzt."
Erläutert der evangelische Landessuperintendent Eckhard Gorka. Die Michaeliskirche, die zum Weltkulturerbe der UNO gehört, wird von den meisten Hildesheimern als protestantisch betrachtet; doch das sei nicht korrekt, sagt Eckhart Gorka über das bereits im Jahr 1010 geweihte Gotteshaus:
"Und von daher ist sie weder eine katholische noch eine evangelische Kirche, sondern 1010 ist die Zeit vor dem großen morgenländischen Schisma. Das heißt, es gab weder Katholiken noch Orthodoxe, es gab nur eine Kirche. Und das ist auch ein Stück der Verheißung, die auf dieser Kirche liegt. Sie ist auch ein Abbild einer verlorenen gegangenen Einheit."
Es gab Zeiten in St. Michael, in denen die katholische Krypta durch eine Mauer abgetrennt war, die Katholiken nur durch die Hintertür ihren Gottesraum betreten konnten. Doch mittlerweile hängt selbst in der Sakristei das farbenfrohe Priestergewand neben dem schwarzen Talar des Pastors, das Weihrauchfass liegt neben der Lutherbibel.
"Bis 1803 waren die Benediktinermönche für den Bauerhalt der ganzen Kirche zuständig. Eine sehr komfortable Sache, die sich leider nicht halten ließ", erzählt der evangelische Pastor mit einem Schmunzeln.
Pragmatismus nach dem 30-jährigen Krieg
Die Hildesheimer Michaeliskirche ist kein Einzelfall. Vor allem seit dem Westfälischen Frieden – Mitte des 17. Jahrhunderts – suchten viele Landesherren den konfessionellen Ausgleich und legten bestehende Kirchen zu Simultankirchen zusammen. Ein Grund war die Armut nach dem 30-jährigen Krieg: Es fehlte an Geld, die zerstörten Kirchen zu erneuern. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es Tausende von Simultankirchen in Deutschland, sagt Heinz Henke, Autor des Buches "Wohngemeinschaften unter deutschen Kirchendächern". Heute sind es noch knapp 70 – vor allem in der Pfalz und in Franken:
"Jede Kirche ist ein Unikum, und in jeder Kirche ist das anders geregelt. Es gibt die Variante, dass das ganze Haus mal im Wechsel mal katholisch, mal evangelisch genutzt wird, mitunter gibt es nicht mal getrennte Sakristeien, meistens nicht mal einen zweiten Altar, da hat man dann das Tabernakel in einer Nische untergebracht."
Knapp 50 der Simultankirchen in Deutschland sind ungeteilt, sind vollkommen offen für beide Konfessionen:
"Vier Kirchen, die haben zwischen zwei separaten Räumen den Kirchturm stehen, die können unabhängig voneinander die Gottesdienste feiern."
"Dann gibt es noch einige Kirchen, das war festgelegt im Folge des pfälzischen Erbfolgekrieges, dass zwei Siebtel der Kirche die Katholiken bekamen und fünf Siebtel die Protestanten, und das bedeutet meist, dass am Triumphbogen die Trennung war, und wenn sich die Glaubensgeschwister nicht allzu sehr mochten, dann wurde dann anfangs eine Holzwand hingestellt und später abgemauert."
Herbeigebombte Ökumene
Auch der Dom in Wetzlar hat eine wechselvolle Tradition der Ökumene. Der protestantische Pfarrer Björn Heymer und sein katholischer Kollege, Dompfarrer Peter Kollas, erzählen die Geschichte der Simultankirche.
Peter Kollas: "Nach der Reformation ist die Stadt Wetzlar evangelisch geworden. Die Gemeinde wurde evangelisch, das Stift (...) blieb katholisch und so war es zwangsläufig so, dass Evangelische und Katholische unter einem Dach waren."
Björn Heymer: "Der Wetzlarer Dom ist eine der wenigen großen Kirchen, die seit der Reformationszeit als Simultankirche genutzt werden. Lange Geschichte, kurz erzählt: seit 1546 die Bürgerschaft der Stadt evangelisch wurde, es aber einen Stift gab, der die Finanzen des Doms verwaltete, einigte man sich so:
Peter Kollas: "Der Dom wurde geteilt, der Chor wurde geteilt vom Schiff durch einen Lettner, dieser Lettner trennte die Stiftsherren von der Gemeinde."
Peter Kollas: "Der Dom wurde geteilt, der Chor wurde geteilt vom Schiff durch einen Lettner, dieser Lettner trennte die Stiftsherren von der Gemeinde."
Björn Heymer: "Das Hauptschiff wurde fortan von der evangelischen Gemeinde genutzt. So blieb das bis 1945, zwei Gemeinden unter einem Dach. Heute hat sich die Situation grundlegend gewandelt, und daran Schuld ist eine englische Fliegerbombe."
Peter Kollas: "Durch die Bombe, die in den Dom eingeschlagen hatte, ist der Lettner zerstört worden, und viele haben das auch als ein Werk des Heiligen Geistes angesehen. Der Heilige Geist wollte uns eigentlich sagen: ihr seid doch eins und nun zeigt es auch nach außen."
Die katholische Messe findet nun sonntags um halb zehn statt, der evangelische Gottesdienst um elf Uhr. Und manchmal – bei Hochfesten – liegt noch etwas Katholisches in der Luft, wenn die Messdiener zuvor ordentlich die Weihrauchfässer geschwenkt haben.
"Man riecht es. Aber nicht sehr lange. Dafür haben wir hier einen gotischen Bau mit sehr hoher Decke, spätestens nach zehn Minuten nach Beginn des evangelischen Gottesdienstes ist kaum noch was davon zu spüren."
Im Wetzlarer Dom ist fast alles ökumenisch – bis auf die Elektrizität, sagt Dompfarrer Peter Kollas:
"Ja es gibt evangelischen und katholischen Strom. Wir haben zwei Schalter. Wenn sonntags der Gottesdienst beginnt, spielt die Orgel natürlich mit katholischem Strom, und anschließend beeilt sich unser Küster, schnell den Strom abzustellen, damit die evangelische Gemeinde nicht zu viel katholischen Strom verbraucht. Lachen."
Ein übliches Verfahren, sagt Autor Heinz Henke und nennt als Beispiel die Kirche in Biberach:
"Dort gibt es drei verschiedene Zähler, ein Zähler, wenn der katholische Teil feiert, ein Zähler für den evangelischen und einen dritten gemeinsamen im Winter, damit der Frostschutz gewährleistet wird.
Und auch beim Geläut – wie in Wachenheim an der Weinstraße – läuft nicht alles so richtig simultan, (berichtet Heinz Henke):
"Da sind vier Glocken im Turm: eine Glocke, die kleine, gehört der katholischen Gemeinde, die große gehört der evangelischen Gemeinde, und die anderen zwei Glocken haben Familien der evangelischen Gemeinde geschenkt, unter der Auflage, dass sie die Katholiken auch mitbenutzen dürfen."
Simultankirche bedeutet aber nicht immer, dass sich nur evangelische und katholische Gemeinden eine Kirche teilen:
"Eine einzige, die nördlichste in der Nähe von Cuxhaven, teilt sich die Kirche eine lutherische und eine reformierte Gemeinde. Eigentümer sind sie beide zur Hälfte."
Luther musste manchmal abgehängt werden
Nicht immer lief es mit der Ökumene so reibungslos wie heute in den meisten Gemeinden. Heinz Henke nennt als Beispiel Schernau in Franken:
16. 56:40 In einer Kirche haben wir gefunden: ein Bild an der Wand – Luther und Melanchthon, und es war vor 30 Jahren noch üblich, wenn die katholische Gemeinde da zum Gottesdienst kam, wurden die beiden Bilder mit dem Gesicht zur Wand gedreht.
16. 56:40 In einer Kirche haben wir gefunden: ein Bild an der Wand – Luther und Melanchthon, und es war vor 30 Jahren noch üblich, wenn die katholische Gemeinde da zum Gottesdienst kam, wurden die beiden Bilder mit dem Gesicht zur Wand gedreht.
Peter Kollas: "Man muss sagen, die letzten 50, 60 Jahre funktioniert die Ökumene hier vorbildlich."
Betont dagegen der Wetzlarer Dompfarrer Peter Kollas. Rund zwei Drittel der Christen in Wetzlar sind evangelisch, ein Drittel katholisch.
"Der Großteil der Menschen, die in unseren Gemeinden leben, von den Ehepaaren, die sind konfessionsverschieden. Da ist es auch zwangsläufig so, dass sie hin und wieder in einen katholischen oder evangelischen Gottesdienst gehen."
Für Peter Kollas ist der Wetzlarer Simultandom auch ein Modell für andere Städte:
"Das ist nicht nur unter ökumenischen Gesichtspunkten sinnvoll, sondern auch unter ökonomischen, dass man sich Kirchen teilt. Das erfordert zwar ein bisschen mehr Absprachen, aber der Wetzlarer Dom ist ein gutes Beispiel dafür, dass das ohne größere Reibungen auch funktionieren kann."