Olaf Scholz: "Die Renten werden nicht gekürzt, darauf kann man sich verlassen."
Dirk-Oliver Heckmann: Der SPD-Politiker Olaf Scholz zu Zeiten der Großen Koalition, genauer: am 6. Mai 2009. Zur Erinnerung: Deutschland befand sich in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Das Signal des damaligen Arbeits- und Sozialministers: Die Rentner werden auch dann keine Einbußen hinnehmen müssen, wenn die Löhne und Gehälter sinken sollten. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle von der FDP hat diese Rentengarantie zu Beginn der Woche infrage gestellt. Es werde auf Dauer nicht funktionieren, die Renten von der Lohnentwicklung abzukoppeln, denn die Altersbezüge müssten zunächst erwirtschaftet werden, meinte der Minister. Die Stellungnahme wurde sogleich von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm als Privatmeinung Brüderles qualifiziert: Das Thema stehe nicht im Koalitionsvertrag und sei deshalb auch nicht Position der Bundesregierung. Doch selbst innerhalb der Union fand Brüderle wachsende Unterstützung. Am Telefon begrüße ich Ulrike Mascher, sie ist die Präsidentin des Sozialverbands VdK, guten Morgen, Frau Mascher.
Ulrike Mascher: Guten Morgen!
Heckmann: ... und auf der anderen Leitung Lasse Becker, den Chef der Jungliberalen, der Jugendorganisation der FDP. Guten Morgen auch Ihnen, Herr Becker!
Lasse Becker: Schönen guten Morgen!
Heckmann: Frau Mascher, die erste Frage an Sie: Die Rentengarantie ist zu Zeiten der Wirtschaftskrise ausgesprochen worden. Nun geht die Krise langsam zu Ende. Weshalb soll man nicht zu den alten Regeln zurückkehren?
Mascher: Also, einmal ist sie damals ausgesprochen worden, weil durch die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes, die ja eine sehr sinnvolle sozialpolitische Maßnahme war, die Gefahr bestand, dass die Rentner und Rentnerinnen dafür aufkommen müssen, weil dann die gesamte Lohn- und Gehaltssumme gesunken ist. Ich denke, dass das eine notwendige und sinnvolle Aktion war und wenn Herr Brüderle von einem normalen Rentenanpassungsmechanismus spricht, dann würde ich mal gerne wissen, was Herr Brüderle unter Normalität versteht, weil wir in den letzten zehn Jahren ja erhebliche Veränderungen bei dem Rentenanpassungsmechanismus gehabt haben. Wir haben einen Altersvorsorgefaktor, der die Rentenanpassung dämpft, wir haben einen Nachhaltigkeitsfaktor, der die Rentenanpassung dämpft.
Heckmann: Und dennoch ging es einer Rentnergeneration noch nie so gut wie der gegenwärtigen – das sage nicht ich, sondern der Direktor des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Ulrich Blum.
Mascher: Wenn Sie die Gesamtmenge der Rentner angucken, mag das ja vielleicht sein. Aber wenn Sie sich angucken die durchschnittlichen Männerrenten von knapp unter 1000 Euro und die durchschnittlichen Frauenrenten von knapp unter 500 Euro dann kenne ich aus meiner Tätigkeit hier genug alte Frauen, die am Rande der Armut oder in Armut leben. Alleine in Bayern ist dieser Armutsfaktor etwa 18 Prozent, das heißt: Knapp 20 Prozent der Menschen leben in Armut, wenn sie über 65 sind. Und da kann man doch nicht einfach sagen: Jetzt kehren wir zu irgendeiner Normalität zurück!
Heckmann: Herr Becker von den Jungliberalen: CSU-Generalsekretär Dobrindt hat gestern gesagt und gefordert, diese Gespensterdebatte sofort zu beenden und die ganze Angelegenheit steht ja schließlich auch nicht im Koalitionsvertrag, das heißt: Gibt die FDP jetzt Ruhe?
Becker: Nein, ich glaube, wir sollten die Debatte dann führen auch innerhalb der Koalition. Man sieht ja auch, dass bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU viele die Richtigkeit des Ansatzes verstehen, weil es ist ja genau so und ... dass wir einfach eine alternde Gesellschaft haben, das scheint Frau Mascher zu verkennen, aber wir diese Faktoren ja in das Rentensystem eingeführt haben mit Blick auf eine alternde Gesellschaft, und dann muss man eben sagen, dass eine Rentengarantie, die die Rentenhöhe von der Lohnentwicklung abkoppelt, der falsche Schritt ist und vielleicht in einer Übergangsphase mal toleriert werden kann, aber danach auf jeden Fall man wieder auf den ursprünglichen Mechanismus zurückgehen sollte.
Heckmann: Frau Mascher, verkennen Sie, dass wir in einer alternden Gesellschaft leben? Es gibt neue Zahlen, die will ich vielleicht noch gerade ergänzen. Das Eurostat, die europäische Behörde, hat erst gestern gemeldet, dass bei der Geburtenziffer Deutschland weiter hinter Österreich auf dem letzten Platz in Europa steht, das heißt also, der Rückgang der Bevölkerung beschleunigt sich auch weiter. Muss man daraus nicht Konsequenzen ziehen?
Mascher: Ja, daraus muss man Konsequenzen ziehen und zwar zum Beispiel die Konsequenzen, dass man für alle Kinder, die geboren werden, die bestmögliche Förderung, Ausbildung, Qualifizierung und die Chancen für Erwerbstätigkeit schafft. Da muss man doch ansetzen, damit man dann, bei schrumpfender Bevölkerung im aktiven Alter da ausreichend wirklich qualifizierte Menschen hat, die hier auch erwerbstätig sein können. Und ich denke, man muss da sehr viel gründlicher ansetzen und nicht nur, also, auf die Rentner und Rentnerinnen starren. Außerdem verkennt Herr Lasse Becker, dass das, was den heutigen Rentnern weggenommen wird, auch seiner Generation fehlen wird.
Heckmann: Herr Becker, damit dürften Sie auch nicht einverstanden sein?
Becker: Ich bin damit sogar sehr einverstanden, weil das Problem, was dahinterliegt, folgendes ist: Meine Generation wird keine Rente aus dem staatlichen System in der gleichen Höhe wie die heutige Generation bekommen, das ist schon absehbar. Wir müssen privat vorsorgen. Das ist genau eine Erkenntnis, die in der jüngeren Generation schon vollkommen da ist, wo wir jetzt trotzdem natürlich sagen müssen: Das bisherige System muss dort weiterlaufen erst mal, um die aktuellen Rentner zu finanzieren, weil da eben sonst das Problem der Altersarmut gravierend würde, bloß: Wir haben ein noch größeres Problem der Jugendarmut. Ich gebe ja Frau Mascher durchaus recht, dass wir mehr in Bildung investieren müssen, nur die Frage auf der anderen Seite: Wenn hinterher die Beiträge immer weiter steigen, die Abgaben steigen oder die Steuern steigen, dann wird es auch nicht attraktiv, in Deutschland zu arbeiten. Und das sind die einzigen Möglichkeiten, die wir haben, wenn die Rentengarantie bestehen bleibt und quasi unabhängig vom Lohn sich die Renten entwickeln.
Heckmann: Aber die junge Generation hat noch Möglichkeiten, um zu steuern, noch zu reagieren. Sie möchten aber die aktuellen Rentner belasten, obwohl die Krise noch nicht wirklich überwunden ist, obwohl es Nullrunden gegeben hat, wie Frau Mascher eben gerade auch schon sagte und die Kosten, beispielsweise für die Krankenkasse, immer weiter steigen.
Becker: Ich glaube, wir müssen da sehr genau auf den Einzelfall schauen. Wenn ich bei meiner eigenen Großmutter schaue, dann sehe ich, dass da, wenn an der Rente gekürzt würde, das mit Sicherheit nicht leicht wäre. Trotzdem ist sie davon überzeugt, dass es ein Fehler war, die Rentengarantie einzuführen. Und das ist genau der Punkt, wo wir hinkommen müssen: Wir müssen nicht die Generationen gegeneinander ausspielen, sondern ...
Mascher: Aber Herr Becker, die Generationen gegeneinander ausspielen ...
Becker: ... wir müssen eine Lösung finden, die ein Rentensystem schafft, das auch in 20 Jahren noch bestehen kann. Und das haben wir nicht. Da müssen wir zu mehr Kapitaldeckung hinkommen.
Heckmann: Frau Mascher, was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Mascher: Herr Becker, Sie lassen ja jetzt die Katze aus dem Sack. Sie haben ja sich schon dazu geäußert, dass Sie im Grunde genommen eine Umstellung unseres gesamten Rentensystems auf Kapitaldeckung haben wollen.
Becker: Sie auch indirekt.
Mascher: Ich würde Sie also wirklich mal bitten, diesen alten Ladenhüter im Regal stehen zu lassen. Inzwischen wissen wir doch alle, dass alle Systeme, die ausschließlich auf Kapitaldeckung gesetzt haben, erhebliche Einbußen haben. Eine ganze Rentnergeneration in den USA ist dramatisch verarmt, weil sie ihre Alterssicherung ausschließlich auf Kapitaldeckung gesetzt hat. Also, Sie können doch nicht so tun, als könnte man die Diskussion von 1990 oder 1996 jetzt noch mal führen, nach mehreren großen Krisen, die bei der Kapitaldeckung entstanden sind.
Heckmann: Herr Becker, die Rentengarantie, die sollte auch das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung stärken. Das hat das Arbeitsministerium und Sozialministerium gestern noch einmal betont. Möchten Sie dieses Vertrauen in die gesetzliche Rente zerstören, um, wie Frau Mascher eben sagte, umzustellen, umstellen zu können auf private Versicherungen?
Becker: Ich möchte kein Vertrauen zerstören, nur: Das Vertrauen ist bei der jungen Generation schon nicht mehr da. Es ist schon klar, dass die – auch die übrigens, die heute schon im Berufsleben stehen – von der staatlichen Rente nicht mehr leben können werden. Und da müssen wir genau ansetzen, ein System zu schaffen, das in einem ersten Schritt eben mit mehreren Säulen unabhängiger von der Altersstruktur der Gesellschaft ist, und was Frau Mascher gesagt hat, geht ja vorbei an der Realität der Rentnerinnen und Rentner. Sie können sich grob vorstellen, wie häufig ich in den letzten Wochen gehört habe: Ja, ich habe doch da eingezahlt. Unser Rentensystem heute ist genau so, dass man nicht selbst anspart, aber wir wollen als junge Liberale zu einem Rentensystem hin, wo man genau selbst anspart.
Mascher: Ja, aber Herr Becker, Sie müssen doch zugeben, dass ...
Becker: Das ist dann der Punkt, wo man wirklich Anspruch hat.
Mascher: ... das deutsche Rentenversicherungssystem umlagefinanziert die letzte Finanzmarktkrise erheblich besser, nämlich ohne alle Verluste, überstanden hat, als alle kapitalgedeckten Systeme. Also, hier jetzt zu sagen, wir wollen auf Kapitaldeckung umsteigen und das ist das Versprechen an die junge Generation, das ist verantwortungslos und wirtschaftlich auch dumm.
Heckmann: Ein Punkt würde mich noch interessieren, Herr Becker, wenn ich darf, als Moderator dazwischen gehen darf, und zwar ein Punkt, wo das Problem eigentlich besteht für Sie aus Ihrer Sicht, denn nicht erfolgte Kürzungen, die werden bei zukünftigen Steigerungen nachgeholt.
Becker: Ja, das ...
Mascher: Ja, das ist im Moment im Gesetz so vorgesehen, ...
Heckmann: Die Frage ging an Herrn Becker.
Mascher: Ach so.
Becker: Ja, das ist genau das Problem. Sie hören schon die Ausführungen von Frau Mascher, Frau Mascher wird mit allem dafür kämpfen, dass das eben nicht hinterher dazu kommt, und dass dann vielleicht eine Große Koalition in zehn, 15 Jahren, wenn immer noch Nachholungen anstünden, dort hingehen würde und sagen würde: Wir hebeln den Mechanismus aus. ...
Heckmann: Ist das die Linie, die Sie vertreten werden, Frau Mascher?
Becker: Das war ... Die Rentengarantie war ein Wahlkampfmanöver, und die Gefahr besteht halt, dass es dann auch wieder geschieht, dass man selbst den Mechanismus, der innerhalb der Rentengarantie ist, dann als kleines Wahlkampfmanöver wieder aushebelt.
Heckmann: Ist das die Linie, die Sie vertreten werden, Frau Mascher?
Mascher: Also, man muss sich angucken, dass die ursprüngliche Absicht bei diesen Abschlagsfaktoren war, den Rentenanstieg zu dämpfen. Kaum hat man das im Gesetz gehabt, ist der Rentenanstieg nicht gedämpft worden, sondern es gab eine Vollbremsung, nämlich drei Nullrunden hintereinander. Und ich finde, man muss das dann sehr sorgfältig prüfen, was man da gemacht hat, und ob das eine vernünftige Regelung war, denn wir drohen in Zukunft wirklich eine massenhafte Altersarmut zu bekommen.
Heckmann: Das heißt, Sie würden sich dagegen aussprechen, nicht erfolgte Kürzungen dann nachzuholen?
Mascher: Wir müssen sehen, wie sich die Lohn- und Gehaltsentwicklung darstellt. Wenn ich jetzt gerade in Ihrer Sendung gehört habe, dass der Niedriglohnsektor sich immer weiter ausbreitet, dann droht ja hier für die Rentenversicherung eine ganz andere Gefahr, nämlich, dass sie immer geringere Einnahmen hat aufgrund dieser politisch gewollten, wirtschaftlichen Entwicklung. Auch das müsste man überprüfen, ob das sinnvoll ist.
Heckmann: Muss die Rentengarantie zurückgenommen werden, wie Wirtschaftsminister Brüderle gefordert hat? Darüber haben wir diskutiert, hier im Deutschlandfunk, mit Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK und mit Lasse Becker, dem Chef der Jungliberalen. Frau Mascher, Herr Becker, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Becker: Danke sehr!
Mascher: Danke, einen guten Tag!
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Ulrike Mascher: Guten Morgen!
Heckmann: ... und auf der anderen Leitung Lasse Becker, den Chef der Jungliberalen, der Jugendorganisation der FDP. Guten Morgen auch Ihnen, Herr Becker!
Lasse Becker: Schönen guten Morgen!
Heckmann: Frau Mascher, die erste Frage an Sie: Die Rentengarantie ist zu Zeiten der Wirtschaftskrise ausgesprochen worden. Nun geht die Krise langsam zu Ende. Weshalb soll man nicht zu den alten Regeln zurückkehren?
Mascher: Also, einmal ist sie damals ausgesprochen worden, weil durch die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes, die ja eine sehr sinnvolle sozialpolitische Maßnahme war, die Gefahr bestand, dass die Rentner und Rentnerinnen dafür aufkommen müssen, weil dann die gesamte Lohn- und Gehaltssumme gesunken ist. Ich denke, dass das eine notwendige und sinnvolle Aktion war und wenn Herr Brüderle von einem normalen Rentenanpassungsmechanismus spricht, dann würde ich mal gerne wissen, was Herr Brüderle unter Normalität versteht, weil wir in den letzten zehn Jahren ja erhebliche Veränderungen bei dem Rentenanpassungsmechanismus gehabt haben. Wir haben einen Altersvorsorgefaktor, der die Rentenanpassung dämpft, wir haben einen Nachhaltigkeitsfaktor, der die Rentenanpassung dämpft.
Heckmann: Und dennoch ging es einer Rentnergeneration noch nie so gut wie der gegenwärtigen – das sage nicht ich, sondern der Direktor des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Ulrich Blum.
Mascher: Wenn Sie die Gesamtmenge der Rentner angucken, mag das ja vielleicht sein. Aber wenn Sie sich angucken die durchschnittlichen Männerrenten von knapp unter 1000 Euro und die durchschnittlichen Frauenrenten von knapp unter 500 Euro dann kenne ich aus meiner Tätigkeit hier genug alte Frauen, die am Rande der Armut oder in Armut leben. Alleine in Bayern ist dieser Armutsfaktor etwa 18 Prozent, das heißt: Knapp 20 Prozent der Menschen leben in Armut, wenn sie über 65 sind. Und da kann man doch nicht einfach sagen: Jetzt kehren wir zu irgendeiner Normalität zurück!
Heckmann: Herr Becker von den Jungliberalen: CSU-Generalsekretär Dobrindt hat gestern gesagt und gefordert, diese Gespensterdebatte sofort zu beenden und die ganze Angelegenheit steht ja schließlich auch nicht im Koalitionsvertrag, das heißt: Gibt die FDP jetzt Ruhe?
Becker: Nein, ich glaube, wir sollten die Debatte dann führen auch innerhalb der Koalition. Man sieht ja auch, dass bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU viele die Richtigkeit des Ansatzes verstehen, weil es ist ja genau so und ... dass wir einfach eine alternde Gesellschaft haben, das scheint Frau Mascher zu verkennen, aber wir diese Faktoren ja in das Rentensystem eingeführt haben mit Blick auf eine alternde Gesellschaft, und dann muss man eben sagen, dass eine Rentengarantie, die die Rentenhöhe von der Lohnentwicklung abkoppelt, der falsche Schritt ist und vielleicht in einer Übergangsphase mal toleriert werden kann, aber danach auf jeden Fall man wieder auf den ursprünglichen Mechanismus zurückgehen sollte.
Heckmann: Frau Mascher, verkennen Sie, dass wir in einer alternden Gesellschaft leben? Es gibt neue Zahlen, die will ich vielleicht noch gerade ergänzen. Das Eurostat, die europäische Behörde, hat erst gestern gemeldet, dass bei der Geburtenziffer Deutschland weiter hinter Österreich auf dem letzten Platz in Europa steht, das heißt also, der Rückgang der Bevölkerung beschleunigt sich auch weiter. Muss man daraus nicht Konsequenzen ziehen?
Mascher: Ja, daraus muss man Konsequenzen ziehen und zwar zum Beispiel die Konsequenzen, dass man für alle Kinder, die geboren werden, die bestmögliche Förderung, Ausbildung, Qualifizierung und die Chancen für Erwerbstätigkeit schafft. Da muss man doch ansetzen, damit man dann, bei schrumpfender Bevölkerung im aktiven Alter da ausreichend wirklich qualifizierte Menschen hat, die hier auch erwerbstätig sein können. Und ich denke, man muss da sehr viel gründlicher ansetzen und nicht nur, also, auf die Rentner und Rentnerinnen starren. Außerdem verkennt Herr Lasse Becker, dass das, was den heutigen Rentnern weggenommen wird, auch seiner Generation fehlen wird.
Heckmann: Herr Becker, damit dürften Sie auch nicht einverstanden sein?
Becker: Ich bin damit sogar sehr einverstanden, weil das Problem, was dahinterliegt, folgendes ist: Meine Generation wird keine Rente aus dem staatlichen System in der gleichen Höhe wie die heutige Generation bekommen, das ist schon absehbar. Wir müssen privat vorsorgen. Das ist genau eine Erkenntnis, die in der jüngeren Generation schon vollkommen da ist, wo wir jetzt trotzdem natürlich sagen müssen: Das bisherige System muss dort weiterlaufen erst mal, um die aktuellen Rentner zu finanzieren, weil da eben sonst das Problem der Altersarmut gravierend würde, bloß: Wir haben ein noch größeres Problem der Jugendarmut. Ich gebe ja Frau Mascher durchaus recht, dass wir mehr in Bildung investieren müssen, nur die Frage auf der anderen Seite: Wenn hinterher die Beiträge immer weiter steigen, die Abgaben steigen oder die Steuern steigen, dann wird es auch nicht attraktiv, in Deutschland zu arbeiten. Und das sind die einzigen Möglichkeiten, die wir haben, wenn die Rentengarantie bestehen bleibt und quasi unabhängig vom Lohn sich die Renten entwickeln.
Heckmann: Aber die junge Generation hat noch Möglichkeiten, um zu steuern, noch zu reagieren. Sie möchten aber die aktuellen Rentner belasten, obwohl die Krise noch nicht wirklich überwunden ist, obwohl es Nullrunden gegeben hat, wie Frau Mascher eben gerade auch schon sagte und die Kosten, beispielsweise für die Krankenkasse, immer weiter steigen.
Becker: Ich glaube, wir müssen da sehr genau auf den Einzelfall schauen. Wenn ich bei meiner eigenen Großmutter schaue, dann sehe ich, dass da, wenn an der Rente gekürzt würde, das mit Sicherheit nicht leicht wäre. Trotzdem ist sie davon überzeugt, dass es ein Fehler war, die Rentengarantie einzuführen. Und das ist genau der Punkt, wo wir hinkommen müssen: Wir müssen nicht die Generationen gegeneinander ausspielen, sondern ...
Mascher: Aber Herr Becker, die Generationen gegeneinander ausspielen ...
Becker: ... wir müssen eine Lösung finden, die ein Rentensystem schafft, das auch in 20 Jahren noch bestehen kann. Und das haben wir nicht. Da müssen wir zu mehr Kapitaldeckung hinkommen.
Heckmann: Frau Mascher, was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Mascher: Herr Becker, Sie lassen ja jetzt die Katze aus dem Sack. Sie haben ja sich schon dazu geäußert, dass Sie im Grunde genommen eine Umstellung unseres gesamten Rentensystems auf Kapitaldeckung haben wollen.
Becker: Sie auch indirekt.
Mascher: Ich würde Sie also wirklich mal bitten, diesen alten Ladenhüter im Regal stehen zu lassen. Inzwischen wissen wir doch alle, dass alle Systeme, die ausschließlich auf Kapitaldeckung gesetzt haben, erhebliche Einbußen haben. Eine ganze Rentnergeneration in den USA ist dramatisch verarmt, weil sie ihre Alterssicherung ausschließlich auf Kapitaldeckung gesetzt hat. Also, Sie können doch nicht so tun, als könnte man die Diskussion von 1990 oder 1996 jetzt noch mal führen, nach mehreren großen Krisen, die bei der Kapitaldeckung entstanden sind.
Heckmann: Herr Becker, die Rentengarantie, die sollte auch das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung stärken. Das hat das Arbeitsministerium und Sozialministerium gestern noch einmal betont. Möchten Sie dieses Vertrauen in die gesetzliche Rente zerstören, um, wie Frau Mascher eben sagte, umzustellen, umstellen zu können auf private Versicherungen?
Becker: Ich möchte kein Vertrauen zerstören, nur: Das Vertrauen ist bei der jungen Generation schon nicht mehr da. Es ist schon klar, dass die – auch die übrigens, die heute schon im Berufsleben stehen – von der staatlichen Rente nicht mehr leben können werden. Und da müssen wir genau ansetzen, ein System zu schaffen, das in einem ersten Schritt eben mit mehreren Säulen unabhängiger von der Altersstruktur der Gesellschaft ist, und was Frau Mascher gesagt hat, geht ja vorbei an der Realität der Rentnerinnen und Rentner. Sie können sich grob vorstellen, wie häufig ich in den letzten Wochen gehört habe: Ja, ich habe doch da eingezahlt. Unser Rentensystem heute ist genau so, dass man nicht selbst anspart, aber wir wollen als junge Liberale zu einem Rentensystem hin, wo man genau selbst anspart.
Mascher: Ja, aber Herr Becker, Sie müssen doch zugeben, dass ...
Becker: Das ist dann der Punkt, wo man wirklich Anspruch hat.
Mascher: ... das deutsche Rentenversicherungssystem umlagefinanziert die letzte Finanzmarktkrise erheblich besser, nämlich ohne alle Verluste, überstanden hat, als alle kapitalgedeckten Systeme. Also, hier jetzt zu sagen, wir wollen auf Kapitaldeckung umsteigen und das ist das Versprechen an die junge Generation, das ist verantwortungslos und wirtschaftlich auch dumm.
Heckmann: Ein Punkt würde mich noch interessieren, Herr Becker, wenn ich darf, als Moderator dazwischen gehen darf, und zwar ein Punkt, wo das Problem eigentlich besteht für Sie aus Ihrer Sicht, denn nicht erfolgte Kürzungen, die werden bei zukünftigen Steigerungen nachgeholt.
Becker: Ja, das ...
Mascher: Ja, das ist im Moment im Gesetz so vorgesehen, ...
Heckmann: Die Frage ging an Herrn Becker.
Mascher: Ach so.
Becker: Ja, das ist genau das Problem. Sie hören schon die Ausführungen von Frau Mascher, Frau Mascher wird mit allem dafür kämpfen, dass das eben nicht hinterher dazu kommt, und dass dann vielleicht eine Große Koalition in zehn, 15 Jahren, wenn immer noch Nachholungen anstünden, dort hingehen würde und sagen würde: Wir hebeln den Mechanismus aus. ...
Heckmann: Ist das die Linie, die Sie vertreten werden, Frau Mascher?
Becker: Das war ... Die Rentengarantie war ein Wahlkampfmanöver, und die Gefahr besteht halt, dass es dann auch wieder geschieht, dass man selbst den Mechanismus, der innerhalb der Rentengarantie ist, dann als kleines Wahlkampfmanöver wieder aushebelt.
Heckmann: Ist das die Linie, die Sie vertreten werden, Frau Mascher?
Mascher: Also, man muss sich angucken, dass die ursprüngliche Absicht bei diesen Abschlagsfaktoren war, den Rentenanstieg zu dämpfen. Kaum hat man das im Gesetz gehabt, ist der Rentenanstieg nicht gedämpft worden, sondern es gab eine Vollbremsung, nämlich drei Nullrunden hintereinander. Und ich finde, man muss das dann sehr sorgfältig prüfen, was man da gemacht hat, und ob das eine vernünftige Regelung war, denn wir drohen in Zukunft wirklich eine massenhafte Altersarmut zu bekommen.
Heckmann: Das heißt, Sie würden sich dagegen aussprechen, nicht erfolgte Kürzungen dann nachzuholen?
Mascher: Wir müssen sehen, wie sich die Lohn- und Gehaltsentwicklung darstellt. Wenn ich jetzt gerade in Ihrer Sendung gehört habe, dass der Niedriglohnsektor sich immer weiter ausbreitet, dann droht ja hier für die Rentenversicherung eine ganz andere Gefahr, nämlich, dass sie immer geringere Einnahmen hat aufgrund dieser politisch gewollten, wirtschaftlichen Entwicklung. Auch das müsste man überprüfen, ob das sinnvoll ist.
Heckmann: Muss die Rentengarantie zurückgenommen werden, wie Wirtschaftsminister Brüderle gefordert hat? Darüber haben wir diskutiert, hier im Deutschlandfunk, mit Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK und mit Lasse Becker, dem Chef der Jungliberalen. Frau Mascher, Herr Becker, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Becker: Danke sehr!
Mascher: Danke, einen guten Tag!
SPD-Bundestagsfraktionsvize Elke Ferner: Renten sind keine Almosen
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