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Sind Streiks in kirchlichen Einrichtungen zulässig?

In beiden großen christlichen Kirchen gilt der sogenannte Dritte Weg. Löhne und Gehälter werden in Kommissionen ausgehandelt. Streiks und Aussperrungen sind verboten - sehr zum Missfallen der Gewerkschaften. Am Dienstag fällt das Bundesarbeitsgericht dazu ein Grundsatzurteil.

    Matthias Gierth: Herr Fleischmann, hat der Dritte Weg unter dem zunehmenden ökonomischen Druck auf die kirchliche soziale und karitative Arbeit heute noch seine Berechtigung?
    Christoph Fleischmann: Dieser Dritte Weg wird ja von den Kirchen mit dem Modell einer christlichen Dienstgemeinschaft begründet, dass also Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine christliche Gemeinschaft bilden. Und dieses Ideal, das gerät natürlich tatsächlich unter Druck, weil die Kirchen jetzt unter dem ökonomischen Druck genau dasselbe machen, was auch andere Arbeitgeber im sozialen Feld machen, dass sie nämlich bestimmte Arbeitsbereiche ausgliedern in Gesellschaften, GmbHs, die nicht mehr dem kirchlichen Arbeitsrecht unterliegen. Das heißt, theologisch gesprochen, nach dem Selbstverständnis der Kirche, werden ja auf einmal die schwächsten Mitglieder, oft sind es die Putzkräfte, die Küchenkräfte, die ausgegliedert werden, die Schwächsten werden aus der christlichen Gemeinschaft entlassen, wenn's ökonomischen Druck gibt. Das ist natürlich theologisch ein Unding und wird zu einem Glaubwürdigkeitsproblem für die Kirchen.

    Gierth: Lange Zeit haben Gerichte fast immer zugunsten des im Grundgesetz verankerten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auch in Arbeitsrechtsfragen entschieden. Erst in den letzten Jahren hat sich das geändert. Warum?

    Fleischmann: Ja, es war tatsächlich so, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, die Kirche hat das Recht selbst über ihre Arbeitsverhältnisse zu bestimmen und sie darf selber festlegen, was ihr eigenes Selbstverständnis ist. Da haben die Gerichte nicht hereinzureden, was kirchliches, christliches Selbstverständnis ist. Und die Kirchen haben mit dieser Figur der christlichen Dienstgemeinschaft gesagt, alle sind am Verkündigungsdienst der Kirche beteiligt, die in der Kirche arbeiten – vom Pfarrer bis zur Putzfrau. So, und nun haben sich aber unter dem Einfluss des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes auch die deutschen Arbeitsgerichte anders aufgestellt, jetzt guckt man sozusagen in diese – früher war das eine Black Box, dieses kirchliche Selbstverständnis, was nur die Kirchen definiert haben und die Gerichte da nicht reingeguckt haben. Und jetzt gucken die Gerichte da doch rein und fragen nach: Geht es denn da verhältnismäßig zu? Die Behauptung, das ist unser kirchliches Selbstverständnis, darf ja nicht zum Mantel für Willkür werden. Geht es darin konsistent und willkürfrei zu? Solche Fragen werden eben jetzt schon von den Arbeitsgerichten gestellt und das macht die Auseinandersetzung in der Tat spannend.

    Gierth: Der Gewerkschaft Verdi geht es in der Auseinandersetzung ja allerdings um mehr – nämlich um die Durchsetzung eines einheitlichen Branchentarifvertrags Soziales. Ist das eine sozialpolitisch sinnvolle Lösung – und geht es den Kirchen also nur um die Verteidigung eines juristischen Besitzstandes? Oder wollen nicht umgekehrt auch die Gewerkschaften ihren Macht- und Einflussbereich ausweiten?

    Fleischmann: Ja, ich glaube, Institutionen haben ein Selbsterhaltungsinteresse. Und das gilt für die Gewerkschaften. Genauso gibt es dieses institutionelle Selbsterhaltungsinteresse auf den Seiten der Kirchen. Die wollen eine juristische Position, die sie einmal für sich haben erkämpfen können, sozusagen nicht kampflos preisgeben. Aber es wäre doch sehr zu hoffen, dass in beiden Institutionen auch Köpfe sitzen, die sagen: So, was wäre denn gesellschaftspolitisch sinnvoll? Und in der Tat – wir haben eine Situation im Bereich der sozialen Arbeit, um den geht es ja wesentlich, dass eine Konkurrenz, die vom Gesetzgeber gewollt ist, unter den sozialen Anbietern für eine kostengünstige Diensterbringung sorgen soll. Und nun ist natürlich in einem Arbeitsverhältnis, wo wir 80 Prozent Lohnkosten haben, ist natürlich der Druck durch die Konkurrenz auf die Lohnkosten ganz enorm. So, und da kann man natürlich fragen: Ist das gesellschaftspolitisch sinnvoll, dass wir die Konkurrenz über die Löhne austragen – wer kann billiger anstellen? – oder wäre es nicht sinnvoller, man würde tatsächlich einen Branchentarifvertrag haben. Das heißt, alle in dem sozialen Feld, - wenn 50 Prozent sich auf einen Branchentarifvertrag einigen, dann kann der für allgemeinverbindlich erklärt werden, - alle in einem Feld arbeiten unter denselben Finanzierungs- und Lohnbedingungen. Und dann kann die Konkurrenz über die Qualität der Arbeit ausgetragen werden.

    Gierth: Wie groß schätzen Sie die Bereitschaft der Kirchen ein, selbst Änderungen am eigenen Arbeitsrecht vorzunehmen?

    Fleischmann: Ich glaube, die ist sehr gering. Es gibt keine allzu großen kontroversen Diskussionen innerhalb der Kirche. Es gibt natürlich Mitarbeitervertreter, die sagen, dass sie aus dem Dritten Weg herauswollen, dass sie ein Tarifvertragsmodell anstreben. Aber die Kirchenleitungen, die Synoden muss man auch sagen, haben sich sehr hinter den Dritten Weg gestellt. Und ich glaube, es braucht schon einen starken Impuls von außen, dass die Kirchen sich hier ändern. Ein solcher Impuls könnte sein, dass es zunehmend diakonische Einrichtungen gibt, die das kirchliche Arbeitsvertragsmodell verlassen, hin zum Tarifvertragsmodell gehen, also mit Verdi Tarifverträge abschließen. Es gab ein Beispiel. Das evangelische Krankenhaus in Oldenburg und jetzt die diakonische Einrichtungen Himmelsthür in Hildesheim – das waren beides große Arbeitgeber. Weil sie wahrscheinlich auch sehen: Wir haben ein Arbeitskräftemangel im sozialen Bereich, besonders in der Altenpflege. Das heißt, es gibt diakonische Einrichtungen, die sehen jetzt, im Kampf um die qualifizierten Arbeitskräfte ist unter Umständen unser kirchlicher Dritte Weg ein Wettbewerbsnachteil, wir fahren besser mit dem Tarifvertragsmodell. Und wenn sozusagen mehr diakonische Einrichtungen noch diesen Weg gehen, das heißt also dem kirchlichen Weg von der Fahne gehen, dann könnte das natürlich auch die Diskussion in der Kirche noch mal deutlich beleben.

    Gierth: Mit welchem Urteil rechnen Sie?

    Fleischmann: Ja, Sie wissen doch, Herr Gierth, vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand. Das gilt noch mehr für das Arbeitsrecht, wo das Richterrecht, wie man so sagt, sehr entscheidend ist. Von daher tue ich mich sehr schwer mit einer Prognose. Nach dem, was ich Ihnen eben gesagt habe, wie sich die Gerichtssprechung auch von der europäischen Ebene angestoßen verändert, scheint es für mich unwahrscheinlich, dass die kirchliche Maximalposition, also generelles Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen und damit auch die Anerkenntnis, dass der kirchliche Dritte Weg, dass da die Arbeitnehmer genauso gut geschützt sind, genau gleich mächtig sind, wie im Tarifvertragsmodell, ich glaube, dass diese kirchliche Maximalposition nicht durchgeht.