Archiv

Sindschar-Gebirge im Nordirak
Zögerliche Rückkehr der Jesiden

Der IS wurde vor zwei Jahren aus dem Sindschar-Gebirge im Norden des Iraks vertrieben. Eine Region, in der vor allem die Minderheit der Jesiden angesiedelt war. Die, die nicht verschleppt, versklavt oder getötet wurden durch die Terrormiliz, kehren nur zögernd aus den Flüchtlingslagern in ihre Dörfer zurück.

Von Björn Blaschke |
    Eine jesidische Frau stützt in einem Flüchtlingscamp im Nordirak den Kopf auf die Hand
    Eine vor den Dschihadisten geflohene Jesidin in einem Flüchtlingscamp im Nordirak (AFP / Ahmad Al-Rubaye)
    Das Gras ist von der Sommersonne versengt; die Luft über der Straße, die sich in Serpentinen durch die gelbe Hügellandschaft windet, flimmert in der Hitze. Bis gut 1.400 Meter hoch ist das Sindschar-Gebirge im Norden des Irak, unweit der Grenze zu Syrien. Irgendwann tauchen auf einem kleinen Plateau vielleicht 100, vielleicht 150 Zelte auf. Das Lager "Serdasht"; Kurdisch für "Hochebene".
    Heiß weht der Wind durch das Camp. Es sind kaum Menschen zu sehen; sie haben sich in ihre Zelte zurückgezogen; bei mehr als 40 Grad im Schatten ist es außerhalb unerträglich.
    Neugier lockt den 18-jährigen Faris schließlich aus seinem Zelt; hin zu den Peschmerga, den irakisch-kurdischen Kämpfern, die die deutschen Journalisten nach Serdasht gebracht haben.
    Gut 150 Familien lebten hier zusammen – erzählt der hochaufgeschossene junge Mann. Familien mit fünf bis 25 Mitgliedern.
    Nur wenige Menschen kehrten in ihre Dörfer zurück
    Faris hatte Glück im Unglück: Als der IS die Jesiden vor drei Jahren angriff und viele von ihnen als angebliche Ungläubige umbrachte oder verschleppte und versklavte, konnte Faris mit einigen tausend anderen in die Sindschar-Berge fliehen. Wie Serdasht entstanden mehrere Camps. Aber auch als der IS aus diesem Gebiet vertrieben war, kehrten nur wenige Menschen zurück in ihre Dörfer oder in die Stadt Sindschar am Fuße des gleichnamigen Höhenzuges.
    Faris erzählt, dass es nichts mehr gebe, wohin er und seine Familie in Sindschar-Stadt zurückkehren könnten. Das Haus seiner Familie sei bei den Kämpfen zerstört worden. So gehe es den meisten Familien, die im Lager Serdasht sind. Zwar befreiten Kurden die Stadt Sindschar vor fast zwei Jahren. Aber: Der IS unterhielt noch bis vor Kurzem Widerstandsnester in Raketen-Reichweite des Ortes. So ist von Wiederaufbau in Sindschar-Stadt kaum etwas zu sehen. Die Häuser des Ortes, der einst gut 40.000 Einwohner zählte, liegen größtenteils in Trümmern; Strom gibt es nur aus Generatoren; der Diesel dafür muss in Tanklastzügen herbeigeschafft werden – genau wie Trinkwasser. Unter anderem leistet das eine von zwei internationalen Hilfsorganisationen, die in Sindschar-Stadt sind; die andere betreibt eine kleine Klinik, in der Ärzte Diagnosen stellen und Medikamente verschreiben. Für eine einfache Blinddarm-OP müssen Patienten ins gut drei Stunden entfernte Irakisch-Kurdistan transportiert werden.
    Das Lager Serdasht in den Sindschar-Bergen wird von einer lokalen Stiftung unterstützt – wie Faris, der einen schwarzen Jogginganzug trägt, erzählt. Sie versorge die Menschen in Serdasht insbesondere im Winter mit ausreichend Kleidung, Essen, aber auch Gas. Was immer die Menschen bräuchten, schafften die NGO-Mitarbeiter herbei.
    Immer noch unsichere Zeiten
    Eine gewisse Sicherheit in Unsicherheit: Kurden haben das Sinjar-Gebirge wie auch Sindschar-Stadt befreit. Aber von den Befreiern gehen heute Bedrohungen aus: Es waren Milizionäre, die aus den Reihen der PKK stammen, der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei, und Peschmerga – also irakische Kurden -, die seinerzeit den IS niederkämpften und vertrieben. Nicht eine Kurden-Fraktion, sondern zwei – und zwar rivalisierende. Dazu steht heute - nur gut 30 Kilometer entfernt von Sindschar-Stadt – eine dritte Kraft: arabische Milizionäre, die gegen den IS angetreten sind. Und immer wieder kommt es zwischen den Anti-IS-Kräften zu Spannungen; Kämpfen.
    Die Sinjar-Region sei heute drei geteilt – so Faris – zwischen mehreren bewaffneten Fraktionen. Besser wäre, wenn nur eine da bliebe.
    Das würde zumindest eine gewisse Stabilität bringen, die es auch Hilfsorganisationen erlaubte, sich in größerem Stil in die Region zu engagieren. Das würde Faris auch vielleicht helfen, seinen Traum zu verwirklichen. Der 18-Jährige besucht eine Sammelschule – für Kinder und Jugendliche in verschiedenen Lagern der Sindschar-Berge. Faris hofft, eines Tages Arzt zu werden, ist aber angesichts der Spannungen in dem Gebiet nicht zuversichtlich, dass sein Traum Wirklichkeit wird.