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Sinfonien aus der Hand des Etüden-Meisters

Jeder, der mal Klavier gespielt hat oder immer noch spielt, dürfte über ihn gestolpert sein: Carl Czerny. Aber keine Angst: Hier geht es nicht um zermürbende Piano-Etüden, sondern um farbenprächtige Orchestermusik. Carl Czerny hat nämlich neben unzähligen Klavierstücken auch sechs Sinfonien geschrieben, wovon die Nummern 2 und 6 beim Label Hänssler Classic erschienen sind.

Von Jan Ritterstaedt |
  • Musikbeispiel: Carl Czerny: 1. Satz (Ausschnitt) aus: Sinfonie Nr. 6

    Virtuos ist an dieser Musik das rasante Tempo, das Grzegorz Nowak mit dem SWR-Rundfunkorchester Kaiserslautern hier anschlägt. Der erste Satz aus der letzten, der sechsten Sinfonie von Carl Czerny rauscht nur so am Ohr des Hörers vorbei. Das wirkt einerseits brillant, verdeckt aber andererseits die raffinierten musikalischen Details, mit denen Czerny seine Sinfonie montiert hat. Durch den irischen Komponisten John Field wissen wir, wie Czerny gearbeitet hat:

    "Auf einem runden Tisch im Musikzimmer lagen bis zu vier Partituren, mit denen der Hausherr simultan beschäftigt war. Ein großer Schrank diente ihm als Behältnis für Muster aller Arten - Passagenwerk, Figurationen und so weiter -, die nach Bedarf sofort verfügbar waren. Im Nebenraum bearbeiteten indessen die Assistenten, Schüler Czernys vor allem, was ihnen der Meister aufgetragen hatte: Während sie Abschriften anfertigten, entstanden zugleich abschnittsweise Transpositionen und andere Versatzstücke, die während der Kopiatur eingefügt wurden. So ließen sich auch bequem die heikelsten Durchführungen produzieren - man musste nur ein vorgegebenes Motiv aus einem der Hauptthemen in Sept- oder verminderten Akkorden gehörig sequenzieren, und schon war "durchgeführt"."

    Ein musikalischer Baukasten also - doch der funktioniert. Tatsächlich nutzt Czerny das Mittel der Sequenz ausgiebig in seinen Durchführungen, er reiht Versatzstücke aneinander, instrumentiert sie um, lässt sie in neuem Licht aufblitzen, probiert neue Schattierungen. Dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb entsteht eine äußerst vitale und straff geführte Musik.

  • Musikbeispiel: Carl Czerny: aus: Sinfonie Nr. 6

    Die Stärke an der Kompositionsweise Czernys ist trotz vermeintlich simpler Baukasten-Technik die Wahrung des formalen Rahmens und eine intelligente musikalische Dramaturgie. Der Komponist ist ein Meister darin, seine Versatzstücke sauber miteinander zu verkitten. Ohne hörbare Schweißnaht, Bruch- oder Leerstellen. Das verleiht seiner Musik eine Geschlossenheit, wie sie sonst höchstens Ludwig van Beethoven bei seinen Sinfonien erreicht hat.

    Beethoven war schließlich auch Czernys Lehrer. Und die musikalische Verbindung der beiden Komponisten kommt besonders deutlich in den Scherzi ans Licht. Dasjenige aus seiner zweiten Sinfonie wirkt fast schon wie ein beethovenscher Geistesblitz nach Art der Eroica.

  • Musikbeispiel: Carl Czerny: aus: Sinfonie Nr. 2

    Zu Czernys Sinfonien gehört neben einem flotten Kopfsatz und einem wirbelnden Scherzo auch ein ruhiger, ernsthafter Gegenpol. Hier hat Czernys Baukastensystem ausgedient - aber das benötigt er auch gar nicht. Waren seine Kopfsätze noch aus Einzelteilen zusammen gezimmert und dabei kunstvoll verbunden, so komponiert Czerny im langsamen Satz seiner sechsten Sinfonie das Gegenteil: ein hymnisch anmutendes Andante, wie aus einem Guss.

  • Musikbeispiel: Carl Czerny: aus: Sinfonie Nr. 6

    Langsame Sätze aus einem Guss, Kopfsätze nach dem Baukasten, und Beethoven-hafte Scherzi - fehlt noch der entscheidende Satz für das Gelingen einer Sinfonie, das Finale. Hier schwächelt der ansonsten so sichere Allrounder Czerny: So klingt musikalische Ratlosigkeit. Die Musik versucht zu stürmen wie bei Beethoven, aber ihr fehlt ein markantes Ziel. Wirbelnde Streicher-Kaskaden erinnern an einen verirrten Marathonläufer, der mit vollem Körpereinsatz läuft, aber nicht mehr weiß wohin.

  • Musikbeispiel: Carl Czerny: aus: Sinfonie Nr. 2

    Im Finale von Czernys zweiter Sinfonie führt das ständige Fugieren und Sequenzieren nicht zur Lösung des in den kontrastierenden Themen angelegten sinfonischen Konflikts. Durch den Satz stürmt kein Orkan, der uns durch die Dunkelheit zum Licht führt - per aspera ad astra - sondern hier weht ein eher laues Lüftchen. Das bleibt aber der einzige Schwachpunkt innerhalb der insgesamt grundsolide und schwungvoll komponierten Sinfonien Nr. 2 und 6 von Carl Czerny.
    Markant und sicher musiziert das SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern unter Grzegorz Nowak. Den Musikern gelingt eine insgesamt packende Interpretation. Jederzeit umsichtig und mit feinem Gespür für klangliche Modulationen der Mann am Pult: Grzegorz Nowak. Er ist ein bekennender Czerny-Fan und hat den Sinfoniker Czerny während seiner Tätigkeit beim Edmonton Symphony Orchestra in Kanada kennen gelernt und dessen Sinfonien mit nach Kaiserslautern gebracht. Dass ihm die Musik viel Freude bereitet, kann man jederzeit deutlich hören. Denn Czernys Musik unter der Leitung von Grzegorz Nowak wirkt quicklebendig, taufrisch und geistreich interpretiert.

  • Musikbeispiel: Carl Czerny: Finale aus: Sinfonie Nr. 6

    Titel: Carl Czerny: Sinfonien Nr. 6 & 2
    Orchester: SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern
    Leitung: Grzegorz Nowak
    Label: Hänssler Classic
    Labelcode: LC 13312
    Bestellnr.: CD 93.169