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Sinfonien von Rued Langgaard
Der große Unbekannte

Sechzehn Sinfonien schrieb der Däne Rued Langgaard, drei Opern, Streichquartette, Klavier- und Orgelwerke. Nur die wenigsten davon wurden zu seinen Lebzeiten aufgeführt. Die Wiener Philharmoniker liefern mit ihrer neuen CD ein flammendes Plädoyer zur Neu- und Wiederentdeckung eines großen Unbekannten.

Am Mikrofon: Uwe Friedrich |
    Die Wiener Philharmoniker
    Die Wiener Philharmoniker (dpa picture-alliance/ Herbert P. Oczeret)
    1893 wurde er in Kopenhagen geboren, er starb er 1952. Rued Langgaard war ein Außenseiter des dänischen Musiklebens, stand quer zum Musikgeschmack seiner Zeitgenossen, weil er an der Musiksprache des 19. Jahrhunderts festhielt, während um ihn herum die Avantgarde des 20. Jahrhunderts Erfolge feierte. In Deutschland blieb das Musikleben in der Weimarer Republik vielstimmiger, behielten auch konservative Komponisten ihren Platz im Konzertsaal. Folgerichtig fanden seine Sinfonien damals einigen Erfolg in Berlin und Karlsruhe. Sakari Oramo hat die zweite und die sechste Sinfonie Langgaards nun mit den Wiener Philharmonikern eingespielt.
    Musik: Rued Langgaard, Sinfonie Nr. 2 , 1. Satz
    Anklänge an Richard Strauss
    Als "dänischer Gustav Mahler" wird Rued Langgaard vom Label Dacapo Records vermarktet, und auf so eine Idee muss man erstmal kommen. Nicht nur der Beginn seiner zweiten Sinfonie erinnert klanglich und harmonisch sehr an Richard Strauss, die gesamte Komposition könnte im Blindtest auch als neu entdecktes Werk des Bayern durchgehen. Kein Wunder, denn in seiner ersten Schaffensphase bis 1916 orientierte Langgaard sich stark an den Vorbildern Franz Liszt und Richard Strauss. Die zweite Sinfonie entstand um 1912 bis 1914 und wurde sein größter internationaler Erfolg. Nicht nur bis dahin, sondern auch für den Rest seines Lebens.
    Musik: Rued Langgaard, Sinfonie Nr. 2 , 2. Satz
    Während der Reinschrift des zweiten Satzes seiner zweiten Sinfonie starb Rued Langgaards Vater, dem er den Satz daraufhin widmete. Im Unterschied zum ersten Satz, der die Welterkundung eines Kindes darstellen soll, vorwärts drängend, freimütig, mitteilsam, ist der zweite Satz religiös motiviert. Langgaard zitiert ein dänisches Weihnachtslied, es folgen Variationen. Auch hier äußerte Langgaard sich über das Programm seiner Musik. Eine demütig abwartende Menschenseele lauscht inneren Stimmen, die Hoffnung schwingt sich empor zu einem Heim des Friedens. Doch dann passiert etwas Verblüffendes. Ein geradezu heiteres Motiv schiebt sich über das andächtige Weihnachtslied. Dirigent Sakari Oramo und die Wiener Philharmoniker gestalten diesen Farb- und Lichtwechsel souverän, geschult an der spätromantischen Klangwelt der Wiener Tradition.
    Musik: Rued Langgaard, Sinfonie Nr. 2 , 2. Satz
    Im dritten Satz der zweiten Sinfonie kann man mit viel Wohlwollen doch noch eine Parallele zu Gustav Mahler finden, denn ebenso wie dieser in seiner Vierten lässt Rued Langgaard hier eine Sopranistin eine Gedichtvertonung singen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Langgaard die Sinfonie des berühmteren Kollegen während der Komposition seiner Zweiten bereits kannte, und der Einsatz von Singstimmen ist in einer Sinfonie um 1900 durchaus nicht ungewöhnlich. Die "Lenzklänge" von Emil Rittershaus kulminieren in "Freu dich Herz im Sonnenglanz, o lass die volle Lenzespracht durch deiner Seele Tiefen schweben" und geben dem Komponisten keine Möglichkeit für Mahler‘sche Ironie. Die Sopranistin Anu Komsi singt diese Zeilen mit dem gebotenen Ernst.
    Musik: Rued Langgaard, Sinfonie Nr. 2 , 3. Satz
    Von Kritik und Publikum unverstanden
    Rued Langgaards zweite Sinfonie wurde 1914, 1917 und 1920 in Kopenhagen aufgeführt, kam aber nicht sonderlich gut an. Dennoch blieb sie sein größter Erfolg, mit seinen späteren Werken traf er noch weniger den Zeitgeschmack in Dänemark. Vor allem den Erfolg seines Landmanns Carl Nielsen nahm er frustriert und zunehmend verbittert zur Kenntnis. Seine Antwort bildete die zweite Schaffensperiode, in die auch die Komposition seiner sechsten Sinfonie fiel. Obwohl er sich von Nielsen abgrenzen wollte, ist er doch von dessen großen Sinfonien beeinflusst. Seine Kompositionen bleiben zwar klanglich der Spätromantik verpflichtet, scheinen aber gelegentlich auch Bartók und Hindemith vorwegzunehmen. Gerade diese Unentschiedenheit macht seine Kompositionen zu aufregenden Zeitzeugnissen und Charakterbildern eines Künstlers, dessen Sprache von seinem Publikum nicht verstanden wurde. Acht seiner sechzehn Sinfonien hat er nie im Konzertsaal gehört, auch seine Oper "Antikrist" wurde erst posthum uraufgeführt. Die sechste Sinfonie mit dem Titel "Das Himmelreißende" wurde immerhin von Hans Seeber van der Floe 1923 in Karlsruhe aufs Programm gesetzt.
    Musik: Rued Langgaard, Sinfonie Nr. 6
    Als Rued Langgaard noch im Jahr der Uraufführung 1923 die dänische Erstaufführung seiner sechsten Sinfonie dirigierte, gab er ihr den Untertitel "Über Motive aus Antikrist" und verwies damit auf seine noch nicht gespielte Oper. Die Oper wurde nicht angenommen, die Sinfonie fiel bei Publikum und Kritik durch. Das stört Sakari Oramo und die Wiener Philharmoniker glücklicherweise gar nicht. Sie nehmen das etwa zwanzigminütige Variationswerk ernst und stürzen sich mit großem Engagement in die polyphonen Verästelungen, die scharfen Dissonanzen und spielen auch die modernen, an Atonalität grenzenden Passagen mit allem klanglichen Luxus, den man von ihnen erwarten darf.
    Musik: Rued Langgaard, Sinfonie Nr. 6
    Rued Langgaard schrieb seine sechste Sinfonie "Das Himmelreißende" als Antwort auf Carl Nielsens Vierte "Das Unauslöschliche". Zwar adaptierte er unter anderem auch Nielsens musikalische Mittel, aber mit dem entgegengesetzten Ziel. Langgaard betonte selbst, seine Sinfonie klinge zwar wie eine moderne Komposition, sei es aber nicht. Das in zwei Versionen vorgestellte Thema wird fünf Mal variiert, die Variationen sind ganz traditionell mit Introduktion, Fuge, Toccata, Sonate und Coda bezeichnet. Die Fuge ist zudem mit "Frenetico marziale", kriegswahnsinnig überschrieben. Drei Jahre vor seinem Tod 1952 sagte Langgaard, das Werk schildere den Kampf zwischen Jesus und dem Geisterheer des Bösen. Auch hier geht Sakari Oramo mit den Wiener Philharmonikern in die Vollen.
    Musik: Rued Langgaard, Sinfonie Nr. 6
    Künstlerische Isolation und zaghafte Wiederentdeckung
    Langgaard haderte mit seinen Sinfonien. Die Sechste überarbeitete er in den Jahren 1928 bis 30, auch aus der Zweiten nahm er einen Teil heraus, den Oramo für seine Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern allerdings wieder einfügte. Seine späten Sinfonien schrieb Langgard ohne Hoffnung, sie jemals im Konzertsaal zu hören. Die Satztitel wurden immer skurriler, die musikalischen Einfälle immer origineller, auch wenn er insgesamt extrem rückwärtsgewandt komponierte. So entstand eine Musik, die klingt als wolle er den Klängen seiner Jugend nachlauschen und sie gleichzeitig mit neuen Ideen auffrischen, ohne sich der Nachkriegsavantgarde anzuschließen. 1947/48 entstand die 14. Sinfonie "Der Morgen", aus der er den Satz "Unbeachtete Morgensterne" auch für eine isolierte Aufführung freigab. Genau das machen die Wiener Philharmoniker unter dem Dirigenten Sakari Oramo. Sie zeigen mit diesem langsamen Satz für Streichorchester, wie stimmungsvoll der alte Langgaard in der künstlerischen Isolation wenige Jahre vor seinem Tod noch schreiben konnte.
    Musik: Rued Langgaard, "Unbeachtete Morgensterne"
    Der Dirigent Sakari Oramo und die Wiener Philharmoniker widmen sich mit Hingabe den Werken des weitgehend vergessenen dänischen Komponisten Rued Langgaard. Damit tragen sie bei zur zaghaften Wiederentdeckung, zu der auch die Aufführung seiner Oper "Antikrist" in der vergangenen Spielzeit am Staatstheater Mainz gehört. Spielkultur und samtiger Streicherklang der Wiener, aber auch der zupackende Blechbläserton in den martialischen Passagen sind über jeden Zweifel erhaben. Dirigent Sakari Oramo meistert auch die spröden Episoden der Symphonien mit Schwung und rhythmischer Präzision, um die Originalität der zweiten und sechsten Sinfonie umso mehr hervorzuheben. Wie das wohl berühmteste dänische Musikstück, nämlich Jacob Gades Tango "Jalousie", auf die CD gelangen konnte, bleibt das Geheimnis ihrer Macher. Denn mit Langgaards Musik hat das gar nichts zu tun, ist aber eine willkommene Kontrastzugabe auf der beim Label Dacapo Records erschienenen Aufnahme.
    Rued Langgaard: Symphonies 2 & 6
    (including Jacob Gade’s "Tango Jalousie")
    Wiener Philharmoniker
    Leitung: Sakari Oramo
    Dacapo Records (LC 49000) 6.220653 (Vertrieb Naxos)