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Sinfonik von Louise Farrenc
Außenseiterin in Männerwelt

Als Komponistin im 19. Jahrhundert war Louise Farrenc eine Ausnahmeerscheinung. Denn sie schrieb nicht nur für ihr Instrument, das Klavier, sondern auch Kammermusik und Orchesterwerke. Dirigent Christoph König und seine Solistes Européens haben sinfonische Werke von Farrenc teilweise erstmals auf CD aufgenommen.

Am Mikrofon: Johannes Jansen |
    Ein Mann mit schwarzen kurzen Haaren trägt ein weißes Hemd, steht vor einer weißen Wand und blickt in die Kamera.
    Christoph König ist seit 2010 Chefdirigent der Solistes Européens Luxembourg (Christian Wind)
    Musik: Louise Farrenc, Grandes Variations sur un thème du comte Gallenberg, op. 25
    Solange der Beruf des Orchestermusikers oder Dirigenten praktisch nur von Männern ausgeübt wurde, waren Karrieren wie die von Louise Farrenc eigentlich undenkbar. Wer für Orchester schreibt, muss sich damit auskennen. Das wusste auch die 1804 geborene Tochter aus dem Haus einer bekannten Bildhauerfamilie und steuerte ihr Ziel, unbeirrt von Vorurteilen, auf geradem Wege an.
    Bereits in jungen Jahren eine hervorragende Pianistin, erhielt Jeanne-Louise Dumont, wie sie mit Mädchennamen hieß, Unterricht bei Anton Reicha in Paris, einem der angesehensten Kompositionslehrer seiner Zeit. Gehör verschaffte sie sich auch mit der Gründung eines Verlags, in dem sie zusammen mit ihrem Mann, dem Flötisten und Musikalienhändler Aristide Farrenc, fremde und eigene Werke erscheinen ließ. Die Klavier-Variationen über ein Thema des Ballettkomponisten Comte Gallenberg huldigen einem etwas zirzensischen "style brillant", und doch kündigt sich darin ein Wandel hin zu künstlerisch anspruchsvollen Werken an. In der Orchesterfassung auf dieser beim Label Naxos erschienenen neuen Platte sind diese Variationen eine Weltersteinspielung.
    Musik: Louise Farrenc, Grandes Variations sur un thème du comte Gallenberg, op. 25
    Sicheres Gespür für Dramatik
    Beschwingt und elegant folgt die Musik dem Zeitgeschmack, ohne ins allzu Seichte abzugleiten wie die meisten "Thèmes variées" aus Ballett und Oper auf dem damaligen Notenmarkt. Angesichts der emporschießenden Nachfrage eines klavierhungrigen Publikums nach zugleich effektvoller und leicht spielbarer Musik ließen sich zahllose Variationenschmiede zur Fließbandproduktion verleiten. Auch Louise Farrenc machte sich den Trend zunutze, aber nach ihrem und dem Willen ihres Mannes und Co-Verlegers sollte es nicht bei Bagatellen und anderen Petitessen bleiben. Dass es ihr ernst war mit der Kunst, zeigen die 1839 als Opus 26 veröffentlichten 30 Klavieretüden in allen Tonarten. Sie wurden in den verpflichtenden Kanon des Pariser Konservatoriums aufgenommen. Dort unterrichtete Farrenc seit 1842 selbst als Klavierprofessorin. Ein Jahr zuvor hatte sie ihre erste Sinfonie geschrieben und schon 1834 mit den beiden Ouvertüren op. 23 und 24 erstmals den Fuß auf das Gebiet der Orchesterkomposition gesetzt. Zur erfolgreichen Opernkomponistin hat nur ein kleiner Schritt gefehlt – oder das passende Libretto. Die e-Moll-Ouvertüre jedenfalls ist ein eingängiges, farbig instrumentiertes Stück. Und mag es auch weniger schmissig sein als manches von Auber oder Donizetti, zeigt es doch handwerklichen Schliff und ein sicheres Gespür für dramatische wie lyrische Akzente.
    Musik: Louise Farrenc, Ouvertüre e-Moll, op. 23
    Nach ungefähr drei unterhaltsamen Minuten hat sich der Ideenvorrat erschöpft, und die Ouvertüre beginnt mehr oder weniger noch einmal von vorn. Kein Mangel an Phantasie, aber eine Neigung zu etwas schematischer Durchführung kennzeichnet auch Farrencs c-Moll-Sinfonie op. 32, deren Stärken eher in den Mittelsätzen liegen als im gewichtig daherkommenden Kopfsatz mit Beethoven-Perücke.
    Schmalz- und schlackenloser Klang
    Wie im Trioteil des noch ganz klassisch als "Menuetto" bezeichneten dritten Satzes lässt Dirigent Christoph König auch im romanzenhaften zweiten, "Adagio cantabile", die Bläserfarben schön herausarbeiten und sorgt für einen insgesamt angenehm schmalz- und schlackenlosen Klang.
    Musik: Louise Farrenc, Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op. 32, 2. Satz
    Bei den 1989 gegründeten Solistes Européens handelt es sich, anders als der Name vermuten lässt, um ein vollwertiges philharmonisches Orchester, das sich projektweise in Luxemburg zu Konzerten, CD-Aufnahmen und zur Vorbereitung von Tourneen zusammenfindet. Seine Spezialität sind Nischen- und Mix-Programme klassischer und Neuer Musik von Schubert bis Schnittke und seit einigen Jahren auch die gezielte Förderung von Komponisten aus der Region. Mit der Gesamtaufnahme der Orchesterwerke von Louise Farrenc – eine CD mit den Sinfonien Nummer 2 und 3 erschien bereits vor einem Jahr – schärft sich das Orchesterprofil in Richtung der hierzulande notorisch unterbewerteten französischen Romantik.
    Streiterin für Gleichberechtigung
    Dabei ist allerdings zu erwähnen, dass im Falle Farrencs wichtige Impulse zu ihrer Wiederentdeckung von Deutschland ausgegangen sind, speziell im Bereich der Genderforschung. Aus dieser Perspektive rückt auch die Pianistin wieder stärker in den Blick, die zwar als Konzertkünstlerin in Paris nicht in vorderster Reihe stand, sich aber als Klavierprofessorin einen bedeutenden Ruf erwarb und, unter sozialgeschichtlichem Aspekt gewiss eine ihrer größten Leistungen, finanzielle Gleichstellung mit den männlichen Kollegen am Konservatorium erstritt.
    Musik: Louise Farrenc, Grandes Variations sur un thème du comte Gallenberg, op. 25
    Trotz aller Erfolge und Anerkennung auch vonseiten einflussreicher Zeitgenossen wie François-Joseph Fétis, Hector Berlioz und Robert Schumann blieb sie als Komponistin auf dem Gebiet der Orchestermusik eine Außenseiterin und widmete sich in späteren Jahren ausschließlich der Klavier- und Kammermusik. Sie tat dies mit großer Meisterschaft, ohne sich vom brillanten Stil der Gallenberg-Variationen gänzlich abzuwenden. Solist der Aufnahme ist der vielfach ausgezeichnete luxemburgische Pianist Jean Muller. Im Zielgalopp schenken er und das Orchester sich gegenseitig nichts. Für das Ergebnis mag das Wort Triumph ein wenig hochgegriffen sein, so sehr es die donnernden Schlusstakte auch nahelegen. Aber ein Aufmerksamkeitserfolg ist es allemal, nicht zuletzt für Louise Farrenc.
    Musik: Louise Farrenc, Grandes Variations sur un thème du comte Gallenberg, op. 25
    Louise Farrenc:
    Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op. 32
    Ouvertüren op. 23 & 24
    Grandes Variations sur un thème du comte Gallenberg, op. 25

    Jean Muller, Klavier
    Solistes Européens, Luxembourg
    Leitung: Christoph König

    Label: Naxos