Archiv

Sinfonische Musik
Die Klangwelt der skandinavischen Romantik

Mit seinen griffigen Melodien und seinem musikantischen Witz ist das Violinkonzert von Johann Halvorsen eine echte Entdeckung: Das Stück interpretiert Henning Kraggerud zusammen dem Sinfonieorchester Malmö unter Bjarte Engeset. Und auch Werke von Carl Nielsen und Johan Svendsen wurden eingespielt.

Von Marcus Stäbler |
    Violine
    Der Geiger Henning Kraggerud intepretiert unter anderem Johann Halvorsen. (picture alliance / Rolf Kremming)
    Nach einer kurzen Einleitung schweigt das Orchester und überlässt der Geige die Bühne für ein ausgedehntes Solo. Mit dieser ungewöhnlich frühen Kadenz, gleich am Anfang seines Violinkonzerts, hat der norwegische Komponist und Geiger Johan Halvorsen die Kritiker überrascht und teilweise auch irritiert.
    Der erste Satz sei "formal etwas unklar", bemängelte ein zeitgenössischer Rezensent – aber das blieb auch der einzige Vorwurf. Beim Publikum kam das Stück sehr gut an. Es umschmeichelt den Hörer mit romantischen Farben und eingängigen Melodien. Der Geiger Henning Kraggerud formt diese sanglichen Linien in der neuen Aufnahme mit warmem Ton, sensibel begleitet und getragen vom Sinfonieorchester aus Malmö unter Leitung von Bjarte Engeset.
    Die Ersteinspielung des Violinkonzerts von Johan Halvorsen beim Label Naxos ist eine kleine musikhistorische Sensation, denn das Stück schlief einen langen Dornröschenschlaf im Archiv der kanadischen Geigerin Kathleen Parlow. Parlow hatte die Uraufführung von Halvorsens Konzert mit den Berliner Philharmonikern im Jahr 1909 in den Niederlanden gespielt und brachte es wenig später auch in die norwegische Heimat des Komponisten. Halvorsen selbst dirigierte die Premiere in Oslo, das damals noch Christiana hieß, und wurde im ausverkauften Theater minutenlang gefeiert – gemeinsam mit der gerade mal 18 Jahre alten Solistin Kathleen Parlow, die einen anspruchsvollen Solopart zu meistern hatte.
    Trotz seines großen Erfolgs, verschwand das Violinkonzert schon bald in der Versenkung. Warum, ist nicht ganz klar. Der Komponist Johan Halvorsen hat nach seinem Rückzug von der aktiven Laufbahn einige Manuskripte verbrannt, unter ihnen wahrscheinlich auch die Handschrift dieses Konzerts. Deshalb galt das Stück lange als verschollen. Aber die Geigerin Kathleen Parlow hat das komplette Aufführungsmaterial aufbewahrt. Nach ihrem Tod im Jahr 1963 ging ein Großteil von Parlows Archiv an die Musikbibliothek der Universität in Toronto. Doch weil die Partitur des Halvorsen-Konzerts nicht ausdrücklich unter den Noten katalogisiert war, dauerte es bis 2015, bis ein findiger Museumsdirektor den Schatz entdeckte. Ein Violinkonzert, das sich auch Anfang des 20. Jahrhunderts noch ganz eindeutig zur Klangsprache der Romantik bekennt und kompositorische Meisterschaft mit instrumentaler Raffinesse vereint.
    Als erfahrener Geiger kannte Johan Halvorsen die Stärken seines Instruments aus dem Effeff und inszenierte dessen Vielseitigkeit sehr geschickt: mit majestätischen und virtuosen Passagen, aber auch mit Momenten von nordischer Melancholie. Die kostet Henning Kraggerud mit der dunklen Leuchtkraft seiner Guarneri-Geige aus.
    Dem Geiger Henning Kraggerud liegt die Musik seines Landsmanns Johan Halvorsen schon seit der Kindheit am Herzen; nach der Wiederentdeckung des Violinkonzerts hat er den Solopart sofort einstudiert und Aufführungen im Sommer 2016 in die Wege geleitet. Gleich im Anschluss entstand die Aufnahme mit dem Sinfonieorchester Malmö unter Leitung von Bjarte Engeset.
    Gemeinsam mit seinen Kollegen spürt Kraggerud den wechselnden Stimmungen der Musik nach, die bisweilen einen unverkennbar norwegischen Ton anschlägt, wie etwa im Finale des Violinkonzerts. Der rhythmische Schwung darin ist von einem Volkstanz namens Halling inspiriert; die Klangeffekte erinnern an den Sound der Hardangerfiedel. Kraggerud und das Orchester fühlen sich spürbar zu Hause im bodenständigen Klima dieser Musik. Sie spielen mit großer Lust und vielleicht sogar absichtlich ohne die allerletzte Präzision, um den Charme der Spontaneität zu wahren.
    Musik: Halvorsen, Violinkonzert, 3. Satz
    Mit seinen griffigen Melodien und seinem musikantischen Witz ist das Violinkonzert von Johann Halvorsen eine echte Entdeckung, frisch und lebendig interpretiert von Henning Kraggerud und dem Sinfonieorchester Malmö unter Bjarte Engeset.
    Als zweites Hauptwerk präsentiert die Aufnahme das Violinkonzert von Carl Nielsen, das nur kurze Zeit später, 1911, entstanden ist und nicht nur chronologisch eine gewisse Nähe zu Halvorsens Stück aufweist. Wie sein norwegischer Zeitgenosse, hat auch der Däne Carl Nielsen Einflüsse aus der Volksmusik in sein Konzert integriert – besonders deutlich in einer kraftvoll voranschreitenden Passage aus dem ersten Satz. Hier beweist der Dirigent Bjarte Engeset sein Gespür für ein organisches Tempo, mit kleinen Verzögerungen, die diese Musik lebendig machen.
    Musik: Nielsen, Violinkonzert, 1. Satz
    Mit feinen Nuancen im Klang reagiert Hennig Kraggerud auf die mitunter ziemlich raschen und auch überraschenden Farbwechsel, die Carl Nielsen seinem Violinkonzert eingeschrieben hat. Nielsens Werk ist reich an originellen Ideen und treibt bisweilen auch schräge Blüten. Obwohl der Komponist selbst Geige spielte, hat er im Solopart des Konzerts nicht immer Rücksicht darauf genommen, was auf dem Instrument bequem liegt und geschmeidig funktioniert.
    Das einzige, was zählt, ist seine sehr eigene und ganz klare Klangvorstellung – wenn er etwa die Geige und die Holzbläser in einen buchstäblich etwas kauzigen Dialog führt. Carl Nielsen imitiert dort das Zwitschern der Vögel und schert sich nicht um die Fingersätze des Geigers.
    Musik: Nielsen, Violinkonzert, 1. Satz
    Carl Nielsen hat seinem Solisten einige heikle Turnübungen in die Hände gelegt. Aber Virtuosität um der bloßen Show willen interessierte ihn nicht. Das demonstriert der Komponist auch im Finale seines Violinkonzerts, das fast vollständig auf die sonst übliche Fingerakrobatik verzichtet. Nielsen beschwört hier eine pastorale Stimmung, mit hellen Instrumentalfarben und luftigen Dialogen zwischen Geige und Bläsern, von den Orchestersolisten mitunter einen Tick zu passiv phrasiert.
    Musik: Nielsen, Violinkonzert, 3. Satz
    Vielleicht hätte Henning Kraggerud in manchen Staccato-Passagen den Bogen sogar noch eine Spur leichter führen können. Aber das ist ein Einwand auf hohem Niveau. Insgesamt beeindruckt der Geiger mit seiner Wandlungsfähigkeit, seiner Musikalität und dem fein austarierten Zusammenspiel mit Bjarte Engeset und dem Sinfonieorchester aus Malmö.
    Ein Höhepunkt sind die kantablen Momente der Aufnahme, in denen Kraggerud die Geige singen lässt und die Musik mit dem edlen und süßen Klang seiner Guarneri beseelt. Auch in der bekannten Romanze von Johan Svendsen.
    Musik: Svendsen, Romanze
    Mit der Romanze von Johan Svendsen rundet der Geiger Henning Kraggerud ein Programm ab, das den Hörer eine Stunde lang in die Klangwelt der skandinavischen Romantik entführt.
    Dem auf der CD erstmals eingespielten Violinkonzert von Johan Halvorsen wünscht man nach der diskografischen Wiederentdeckung jetzt auch eine dauerhafte Renaissance im Konzertleben.
    CD-Infos:
    Johan Halvorsen, Carl Nielsen: Violinkonzerte, Johan Svendsen: Romanze
    Henning Kraggerud, Malmö Symphony Orchestra, Bjarte Engeset
    Naxos 8.573738, LC 5537