Monika Seynsche: Haben sie sich schon heute unterhalten, etwa über das Wetter, das Essen oder irgendetwas anderes? Ganz egal wie belanglos das Thema vielleicht war, hat ihr dabei absolute Höchstleistungen vollbracht. Denn das, was uns so völlig simpel vorkommt, ist in Wirklichkeit ein von Grund auf komplexer Prozess. Sie müssen ja erst mal verstehen, was der andere sagt, zeitgleich denken sie über ihre Antwort nach, formulieren die Worte im Kopf und dann müssen sie sie ja auch noch korrekt aussprechen. Und das nur Millisekunden nachdem der andere fertig ist. Kein anderes Tier ist dazu in der Lage. Deshalb weiß man heute auch so wenig über die Abläufe im Gehirn, weil es kein Tier gibt, an dem man das untersuchen könnte. Das könnte sich mit dem kleinen Gesellen hier ändern.
Das was Sie da hören, ist eine singende Maus und was jetzt kommt, ist die Antwort eines Artgenossen. Forscher aus New York haben sich diese Gesänge der singenden Braunmäuse angeschaut und dabei entdeckt, dass die Mäuse ihre Antwort zeitlich sehr präzise steuern können. Und nicht nur das. Sie nutzen für diese Steuerung höhere Hirnregionen des motorischen Cortex. Und das, dachte man bislang, können nur Primaten und der Mensch. Steffen Hage erforscht an der Universität Tübingen die Grundlagen der menschlichen Kommunikation. Ihn habe ich gefragt, was er von der Arbeit der New Yorker Forscher hält.
"Ein komplexes kommunikatives Verhalten"
Steffen Hage: Also ich finde die Arbeit ganz faszinierend, und zwar, weil sie auch so ein bisschen jahrzehntelange Meinungen bei uns in der Community so ein bisschen auf den Kopf stellen. Man ging eigentlich die letzten Jahrzehnte immer davon aus, dass bei Säugetieren das Lautverhalten eigentlich nicht durch den Cortex beeinflusst wird, also vor allem vom motorischen Cortex oder vom Frontalcortex. Das heißt, dass dieses Lautverhalten bei Säugetieren sehr stereotyp abläuft und Interaktionen eben meistens über emotionale Trigger stattfinden. Und was wir zeigen konnten unter anderem in den letzten Jahren, ist, dass wir zumindest bei Primaten auch kortikale Strukturen haben und präfrontale Strukturen, die die willentliche Ansteuerung von diesen Lauten produzieren können. Was jetzt die Arbeit von Michael Long und seinen Kollegen zeigt, ist, dass eine direkte Ansteuerung vom motorischen Cortex auch schon bei den Nagetieren vorliegt, also dass es wohl wirklich zu sein scheint, dass dieses grundlegende Verhalten, das notwendig ist, um irgendwann mal ein komplexes Kommunikationsverhalten zu entwickeln, auch schon bei den Nagetieren vorhanden ist.
Seynsche: Könnten dann diese singenden Mäuse als Tiermodell taugen, um mehr über die menschliche Sprache zu erfahren?
Hage: Die Maus ist natürlich erst mal eine Maus, und den letzten gemeinsamen Vorfahren, den wir mit den Nagetieren haben, der hat zuvor so um die 90 Millionen Jahre gelebt. Dementsprechend sind wir natürlich weit weg von Sprache erst mal. Aber was wir auf jeden Fall uns anschauen können, ist hier ein komplexes kommunikatives Verhalten, das diese Tiere zeigen. Die zeigen das in sehr präziser Art und Weise, so wie es ja auch wir Menschen machen. Wir produzieren ja auch Kommunikationssignale in sehr kurzer Abfolge und können auch sehr, sehr schnell auf unser Gegenüber antworten. Und da wir jetzt bei diesen Mäusen auch eine direkte Ansteuerung von dem vokalen Kommunikationssystem über den motorischen Cortex so eine Verbindung haben, können wir uns zumindest mal diesen Teil anschauen, der auch bei der menschlichen Sprache natürlich ganz wichtig ist. Auch bei der menschlichen Sprache haben wir eine direkte Verbindung vom motorischen Cortex zu den Systemen im Hirnstamm, die an der Sprachproduktion beteiligt sind, und dafür, könnte man sagen, kann man sich zumindest mal die Grundmuster dieser Verbindungen anschauen.
Menschen helfen, die nicht so gut sprechen können?
Seynsche: Warum ist die menschliche Sprache so komplex, so kompliziert zu durchschauen?
Hage: Das ist eine gute Frage. Ich denke, wahrscheinlich ein Hauptgrund, warum es so schwierig ist für uns, die menschliche Sprache anzuschauen, ist der, dass eigentlich kein passendes Tiermodell für menschliche Sprache da ist. Wir Wissenschaftler, wir benötigen natürlich ein Tiermodell, an dem wir uns ein gewisses Verhalten anschauen können, weil viele Methoden, die wir verwenden, können wir selbstverständlich nicht am Menschen anwenden. Und da wir eben als Mensch das einzige Säugetier sind, das spricht, das also Sprache produziert, können wir uns das nicht bei einem Tier anschauen.
Seynsche: Warum ist es denn überhaupt wichtig, die genauen Vorgänge dabei zu verstehen?
Hage: Nun, ich denke, da geht es wirklich in diese Richtung, dass wir dann am Ende des Tages dann auch tatsächlich Menschen helfen können, die eben nicht so gut sprechen können oder die Probleme bei der Sprachproduktion haben - sei es durch Entwicklungsstörungen oder sei es auch durch Krankheiten oder durch Schlaganfälle. Und um da überhaupt diesen Menschen erst mal helfen zu können, müssen wir natürlich das zugrunde liegende System erst mal genau verstehen, dass wir dann auch genau wissen, wo wir ansetzen müssen, um dann entsprechend eine Verbesserung herbeiführen zu können.
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