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Singer/Songwriter Ryley Walker
Moderner Folk nach alten Vorbildern

Der US-Musiker Ryley Walker spielt Folk. Fingerpicking und Improvisation sind wichtige Zutaten seines Klangkosmos. Sein 2016er Album "Golden Sings That Have Been Sung" enthält Songs, die innerhalb des letzten Jahres entstanden sind, als er unterwegs war und 200 Konzerte spielte.

Von Marlene Küster |
    Musik "Hide In The Roses"
    "Ich spiele Gitarre und singe, meine Songs erzählen simple Geschichten über mein Leben."
    "Ich bin immer dabei zu lernen – eine endlose Geschichte."
    "Beim Gitarrenspiel, Singen und Schreiben meiner Liedtexte stoße ich permanent an Grenzen, ich versuche sie auszuloten und zu überschreiten."
    "Ich will einfach besser werden. Fingerpicking ist mein Stil."
    Universum Fingerpicking
    Fingerpicking ist ein wichtiges Stilmittel in Ryley Walkers musikalischem Universum.
    Wie er selbst sagt, arbeitet er stets an sich, ja es ist geradezu ein Muss für ihn, ununterbrochen zu lernen, nicht stehen zu bleiben und sich weiterzuentwickeln. Beim Interview in Berlin wirkt er etwas verloren in seiner Jeans und seinem blauen T-Shirt. Er hat mit Jet-lag zu kämpfen. Am Abend zuvor sollte er eigentlich in Leipzig auftreten, aber das Flugzeug hatte Verspätung und deshalb konnte er dort kein Konzert geben. Heute ist er nach Berlin gekommen, um über seine soeben erschienene Veröffentlichung "Golden Sings That Have Been Sung" zu sprechen.
    "Der Titel ist eigentlich absoluter Nonsens, er ergibt auch für einen Muttersprachler keinen Sinn. Singen ist ja ein Verb und hier wird das Wort als Substantiv gebraucht. Ja, man sagt beispielsweise er singt viel ... aber in diesem Zusammenhang ... – mir hat einfach der Klang gefallen, als ich den Titel laut ausgesprochen habe: Golden Sings That Have Been Sung ist hier im Sinne von Musikdokument zu verstehen. Alle acht Songs sind entstanden, als ich auf Tour war und viele Konzerte gegeben habe. Dieses Album steht unter dem Thema Reisen, also on the road".
    Den Song "Sullen Mind" auf der neuen Platte beispielsweise hat Ryley Walker als einer der ersten – natürlich unterwegs – geschrieben.
    "Dieser Song ist im Dezember 2015 in Cleveland Ohio aus einem Gitarrenriff heraus entstanden. Ich jammte mit meinem Freund Brian, uns gefielen die rockigen Klänge. Inhaltlich basiert der Song auf einer Unterhaltung, die ich mit Kumpels hatte: Es geht darum, dass es schon spät ist und wir langsam aufbrechen müssen."
    Vom Riff zum Song
    Dabei kommen Ryley Walker die Worte "I only have a Christian education" in den Sinn. Er singt sie zu diesem Riff und denkt: "Meine christliche Erziehung bewahrt mich aber nicht vor den dunklen, negativen Seiten des Lebens, die einfach zu mir gehören." Immer und immer wiederholt er dieses Riff, das sich zu einer Art Fragment entwickelt. Der 27-jährige Walker improvisiert weiter und nach einigen Tagen nimmt der Song Gestalt an.
    Musik "Sullen Mind"
    Bevor Ryley Walker weiter über seine aktuelle Platte redet, zögert er und kommt erst einmal auf sein Vorgängeralbum "Primrose Green" zu sprechen. Dabei streicht er sich nervös durchs halblange braune Haar.
    "Einfach nervig, dass so viele Kritiker mich als den Schützling und Favoriten des einen oder anderen Künstlers bezeichneten. Sie stellten auch oft einen Bezug zu Musikern her, die schon längst tot sind. Das hat mich echt frustriert. Ich will einfach nicht nach jemand anderem klingen, der außerdem nicht mehr lebt."
    Der unerwartet große Erfolg seines Vorgänger- und gleichzeitig Durchbruchalbums "Primrose Green" von 2015 setzt den amerikanischen Gitarristen unter Druck, irritiert und verstört ihn: Vergleiche etwa mit dem 1975 verstorbenen Folksänger Tim Buckley oder dem 2009 verstorbenen Sänger und Gitarristen John Martyn.
    Musik "All Kinds Of You"
    Ryley Walker hat den Eindruck, dass viele Kritiker ihn nicht als eigenständigen Künstler betrachten. Mehrmals spricht er von Identität. Haben diese Rezensionen den 27-Jährigen in eine Identitätskrise gestürzt? Als im Gespräch dann auch noch der Name des englischen Gitarristen und Folkmusikers Nick Drake fällt, der mit 26 Jahren 1974 Selbstmord beging, reagiert der junge Gitarrist spontan und ungehalten:
    "Ich hasse Nick Drake. Nein, natürlich hasse ich ihn nicht, aber ich hab seine Musik einfach zu oft gehört. Zwei Jahre lang hörte ich ihn ununterbrochen. Ich will mich endlich von diesem britischen Einfluss distanzieren. Ich höre nun Musik von meinen Freunden – eine wichtige Anregung gerade für mein aktuelles Album. Ja gut von wegen britisch, die Band Talk Talk ist hier doch auch eine wichtige Inspiration."
    Je mehr Ryley Walker über seine aktuelle Veröffentlichung redet, desto ruhiger und gefasster wird er. Dann holt er aus und blickt auf seine Anfänge als Musiker zurück.
    "Schon immer faszinierte mich Musik. Mit zwölf fing ich an Gitarre zu spielen, erst ohne Lehrer, dann hatte ich Unterricht und hab auch auf dem College gespielt. Doch eigentlich lernte ich am meisten mit und von meinen Freunden. Sie hatten jede Menge Secondhand Drums und alle möglichen gebrauchten Instrumente von ihren Eltern im Keller. Dort trafen wir uns regelmäßig, probten, spielten Coverversionen von Punk- und Rock-Bands. So fing mein musikalisches Abenteuer an und seitdem spiele ich."
    Musik "I Will Ask You"
    "Ich habe keine akademische Ausbildung, besuchte nie ein Konservatorium und bin zu 90 Prozent Autodidakt. Das hat seine Vor- und Nachteile, ich gehe vielleicht freier mit den Songs um, kann aber leider keine Noten lesen. Notenlesen wäre manchmal schon von Nutzen. Deshalb ist der Austausch mit professionellen Musikern für mich so wichtig, ich möchte mehr von ihnen lernen und mit ihnen beispielsweise ein tolles Stück von Steve Reich zusammen spielen. Ich kann so von ihren Kenntnissen profitieren, Anregungen und Ideen finden. Sie geben ihre Erfahrungen weiter."
    Das Interesse für Musik bekam Walker im Elternhaus eingeimpft.
    "Unser Haus war von Rockklassikern wie Led Zeppelin oder auch Bruce Springsteen erfüllt. Diese Musiker haben mich geprägt. Doch als ich langsam erwachsen wurde, hat sich dann mein eigener Musikgeschmack gebildet. Da gab es verschiedene Abschnitte: Es fing mit der Punkphase an, darauf folgte die Miles-Davis-Periode, dann die Jack-Johnson-Ära, ja und als ich dann nach Chicago kam, fand ich einschlägige Plattenläden."
    Musik "A Choir Apart"
    Walker kommt aus dem Bundesstaat Illinois, aus einer sehr ländlichen Gegend, wo Wiesen und Kornfelder wachsen – ein kleiner Ort ungefähr 100 Kilometer von Chicago entfernt. Dort hat er sich als Teenager fürchterlich gelangweilt.
    "Schon als Kind wollte ich nach Chicago – da war Leben und Abwechslung. Ich kann nichts mit der Provinz anfangen. Ich fahre zwar gern mal mit dem Auto übers Land, aber das ist schon genug. Ich kann nur in der Großstadt leben. Ich liebe die Metropole mit ihren verrückten, exzentrischen Leuten. Und ich gehe gern nachts durch die Straßen von Chicago – ein besonderer Kick, der mich am Leben hält. Die Chicagoer Musikszene ist sehr dynamisch, es gibt tolle Rock- und Jazz-Musiker. Mit 18 bin ich nach Chicago gekommen und hab sofort Anschluss gefunden und zusammen mit Freunden eine Band gegründet."
    Musik "The Great And Undecided"
    Chicago spielt eine Schlüsselrolle in Ryley Walkers Leben. Seit er dort lebt, hat er sich ein großes Netz von sozialen Kontakten aufgebaut. Unter ihnen sind sehr viele Musiker, mit denen er stets zusammenarbeitet und die eine wichtige Inspirationsquelle für ihn sind.
    "Dieses neue Album habe ich wie den Vorgänger mit meinen Freunden realisiert. Wir haben eine solide Basis für unsere Zusammenarbeit. Denn wir kennen uns sehr gut und die Atmosphäre zwischen uns ist sehr vertraut."
    Seine neue Platte – acht Balladen zwischen Americana, Folk und Jazz – hat Walker mit Vertretern der Jazzavantgarde Chicagos eingespielt. Er liefert zunächst die Riffs und Folkthemen auf der Gitarre und dann folgen seine Musikerfreunde mit Improvisationen.
    Musik "Funny Thing She Said"
    "Dieses Mal hat sich Produzent LeRoy Bach aus Chicago mit viel Fingerspitzengefühl, seiner natürlichen Autorität und großen Erfahrung eingebracht. Während der verschiedenen Entstehungsphasen war er permanent präsent. Sein Augenmerk lag besonders auf der Instrumentierung."
    LeRoy Bach ist für den jungen Gitarristen eine Art Guru, den er seit Teenagerzeiten bewundert. In den so genannten "Impro Nights" der Chicagoer Bar Whistler in der Milwaukee Avenue hat er LeRoy Bach regelmäßig live erlebt. Während der Arbeit am Album entsteht zwischen dem Produzenten und Walker eine enge Beziehung. Fast jeden Tag besucht Walker ihn in seinem Haus, bringt ein neues Gitarrenriff mit – Basis und Ausgangspunkt für die weitere kompositorische Gestaltung. Zum Opener "The Halfwit In Me" auf der neuen Platte hat LeRoy Bach die Klarinetten-Parts beigesteuert.
    "Wie so oft hab ich das Stück mit einem Gitarrenriff begonnen, dann hatte ich eine Melodie eines klassischen George Gershwin-Hits im Ohr. Mir schwebte eine Mischung aus Jazz und Pop mit einem groovigen Touch vor. Rhythmisch hat Schlagzeuger Frank Rosaly diese Idee gleich sehr gekonnt umgesetzt. Thematisch kommt hier der Humor aus meiner Gegend zum Ausdruck im Sinne von in mir steckt doch auch ein Schwachkopf. Eine klare Aussage, da sind keine versteckten Anspielungen. Es ist einer der letzten Songs, der in England entstanden ist."
    Musik "The Halfwit In Me"
    Musikalisch ist seine neue Platte auch von Chicagoer Bands wie Gastr Del Sol oder Tortoise beeinflusst. Hier sind Anleihen von Free Jazz, Psychedelic Rock und Folk zu hören. Als Ryley Walker den Text für den Song "The Roundabout" schrieb, ging er in seine Kindheit zurück
    " 'The Roundabout' basiert auf einem Gitarrenriff, das ich schon seit Jahren im Kopf habe. Es geht hier um ein altes, wirklich existierendes Restaurant in Wisconsin mit dem Namen Roundabout. Hier habe ich oft am Freitagabend mit meinen Eltern gebratenen Fisch gegessen und Cocktails getrunken und diese Tradition führe ich weiterhin fort.
    Musik "The Roundabout"
    Ryley Walker – ein scharfsinniger, erfindungsreicher, talentierter, wissensdurstiger Beobachter. Als Autodidakt erfasste er von Anfang an intuitiv, worauf es beim "Musiklernprozess" ankommt. Er ahmte seine Vorbilder, die "Old School"-Musiker, nach, wie er sie liebevoll nennt, sog ihre Kenntnisse und Erfahrungen auf. Doch er ging weit übers Kopieren hinaus. Immer mehr verschmolz er das erworbene Wissen mit seinem Talent, seiner Energie, Ausdauer und seinen Vorstellungen zu seinem eigenen Stil: Seit seinem Debüt hat sich Walker enorm weiterentwickelt und seinen eigenen musikalischen Weg gefunden.
    Musik "Age Old Tale"