Archiv

Singvögel im Winter
Die Futterhäuser bleiben leer

Normalerweise tummeln sich an kalten Wintertagen zahlreiche Singvögel in den Futterhäuschen. Nicht so in diesem Jahr. In vielen Regionen Deutschlands sind die Futterstellen verwaist. Vogelexperten rätseln über die Gründe.

Von Susanne Kuhlmann |
    Ein Eichhörnchen hockt am 23.10.2012 in einem Garten nahe Zella-Mehlis (Kreis Schmalkalden-Meiningen) auf dem Dach eines hölzernen Vogelhauses und frisst Sonnenblumenkerne.
    In diesem Jahr kommen nur wenige Singvögel an die Futterstellen. (picture alliance / dpa / ZB / Soeren Stache)
    "Wir haben vor dem Wohnzimmerfenster ein Vogelhaus für die Winterfütterung der Vögel. Und der Spruch: "Die fressen uns die Haare vom Kopf" wäre kaum übertrieben gewesen, jedenfalls was die letzten Jahre betrifft. Aber plötzlich blieben die Vögel aus. Ich gehe aber davon aus, dass das im nächsten Jahr wieder besser wird."
    Erst nach zwei Wochen musste Willi Niemann das Futtersilo neu füllen. Zwei Kohlmeisen und ein Rotkehlchen tauchten auf, sonst war wenig los. Landauf, landab sieht es ähnlich aus: verwaiste Futterhäuschen.
    Schlechtes Brutjahr
    "Wir rätseln, woran es liegen mag."
    Heinz Kowalski ist Vogelexperte des Naturschutzbundes Nabu und hat eine solche Situation noch nie erlebt. Erklärungsversuche:
    "Wir hatten ein nicht besonders gutes Brutjahr im Frühling. Da war es zeitweise nass und kühl, da sind viele Jungvögel gestorben noch im Nest", was ihm viele Vogelschützer erzählen, die schon ihre Nistkästen gereinigt haben.
    "Die Eier sind noch da, tote Vögel sind in den Nestern. Das ist der eine Grund."
    Ein anderer könnte sein, dass der Meisenaustausch noch nicht stattgefunden hat. Meisen, die bei uns schlüpfen, ziehen nach Frankreich oder Spanien, wenn es kalt wird. Ihren Platz nehmen Meisen aus Skandinavien, dem Baltikum, Polen und Russland ein. Amseln könnten gerade in der Wintermauser stecken.
    "In der Zeit sind sie nicht so flugfähig, und dann halten sie sich sehr versteckt. Aber man sieht auch an den Apfelbäumen, wo viele Äpfel dieses Jahr liegengeblieben sind nicht so die Amseln wie sonst in den Jahren."
    Vogelfutter sollte in Silos
    Bergfinken halten sich wohl noch im Wald auf, denn in diesem Jahr gibt es dort besonders viele Bucheckern. Zahlreiche Grünfinken sind einem Virus zum Opfer gefallen, das übertragen wird, wenn Futter mit Kot verschmutzt ist. Das passiert leicht, wenn Vögel ins Häuschen hüpfen können. Mit Kot werden Krankheitserreger übertragen und verbreitet. Am besten ist Vogelfutter in einem Silo aufgehoben.
    "Die Dompfaffen oder Gimpel, wie die Ornithologen sagen, sind ohnehin relativ selten. In manchen Bereichen halten sie sich aber das ganze Jahr über. Der Gimpel ist eine der Arten, die einfach abnehmen."
    In Europa leben schätzungsweise rund 450 Millionen Vögel weniger als vor 30 Jahren. In diesem Zeitraum hat die Menge der Insekten ebenfalls ganz erheblich abgenommen, und zwar um 80 Prozent. Vögel finden also viel weniger Nahrung, übrigens auch im Boden.
    "Auch Regenwürmer werden immer weniger. Dann finden die Amseln, die sehr stark von Regenwürmern leben, keine mehr und haben damit ganz erhebliche Probleme."
    "Glyphosat hat wohl einen direkten Einfluss auf den Vogelbestand"
    In der offenen Landschaft, auf Feldern und Weiden leben schon lange nicht mehr genug Würmer und Insekten. Und auch Gärten verändern sich, sagt Heinz Kowalski. Auch dort werden Unkrautvernichter auf Glyphosatbasis versprüht.
    "Gerade das Glyphosat hat wohl einen direkten Einfluss auf den Vogelbestand, natürlich immer lokal. Viele Gärten haben sich auch verändert. In den letzten Jahren hat sich eine seltsame Entwicklung gezeigt, nämlich dass überall Steinschüttungen in die Gärten kommen und daraus Beete gemacht wurden, wo früher Stauden, auch Kräuter standen und die Vögel noch Nahrung gefunden haben. In den Steinen finden die natürlich überhaupt nichts mehr."
    In Gärten mit Stauden, Kräutern und Gehölzen wie Vogelbeere oder Ilex werden Insekten und Vögel satt. Andere Unterstützung hilft ihnen auch.
    "Bei den Meisen kann man zumindest Nistkästen im Garten aufhängen, und damit das Rotkehlchen weiter da ist, kleine Beete haben mit offener Erde, wo die sich ihre Würmchen holen können und auf jeden Fall verzichten, Glyphosat oder andere Gifte im Garten zu verspritzen."
    Vielleicht gibt die "Stunde der Wintervögel" Aufschluss; die Zählaktion des Nabu, an der sich jedes Jahr Zehntausende beteiligen. Vom 6. bis 8. Januar kann jeder eine Stunde lang beobachten, was sich am Futterhäuschen tut. Die jeweils höchste Anzahl einer Art soll notiert und das Ergebnis dem Nabu mitgeteilt werden. Vielleicht gibt es dann eine Antwort auf die Frage, warum so viele Futterhäuschen verwaist sind.