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Sinkende Milchpreise
Europa sucht nach kurzfristigen Auswegen

Europaweit leiden Landwirte unter den sinkenden Preisen für Milch und Milchprodukte. Einige Regierungen können sich Regelungen vorstellen, die den vor fünf Monaten ausgelaufenen Milchquoten ähneln. Jetzt beraten die Landwirtschaftsminister auf einer Sondersitzung.

Von Jörg Münchenberg |
    Ein Traktor fährt eine Kuh-Statue in schwarz-rot-gold durch das EU-Viertel in Brüssel. Auf der Kuh steht "Die faire Milch":
    Auch Bauern aus Deutschland beteiligen sich an den Protesten in Brüssel. (dpa / THIERRY ROGE)
    Die belgische Polizei hat in Flugblättern schon einmal vorgewarnt. Rund um den Robert-Schuman-Kreisel mitten im EU-Viertel ist mit massiven Behinderungen zu rechnen. Wieder einmal haben sich Tausende von Bauern angesagt, um angesichts deutlich gesunkener Milch- und Fleischpreise gegen die EU-Agrarpolitik zu demonstrieren. Die Landwirte sind sauer, sagt Erwin Schöpges vom European Milk Board, einem Zusammenschluss der europäischen Milchviehhalter:
    "Die Bauern werden sich wehren. Es wird eine Bauernrevolte geben. Wenn wir Bauern kein vernünftiges Einkommen haben. Wir haben jetzt fünf Jahre mit dem EU-Parlament, der EU-Kommission und mit den nationalen Landwirtschaftsministern geredet. Wir haben sie auf die Situation aufmerksam gemacht. Doch man hat uns einfach nicht zuhören wollen."
    Doch der Politik ist das Schicksal der Landwirte natürlich nicht gleichgültig. Auf einem EU-Sonder-Agrarrat sollen heute über mögliche Hilfen diskutiert werden:
    "Unsere Landwirte haben Sorgen. Unsere Landwirte haben keine kostendeckende Preise. Wir werden am 7. nicht nur eine Diskussionsrunde haben, wir wollen Ergebnisse."
    Betont der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt. Hintergrund des heutigen Treffens sind die deutlich gesunkenen Preise vor allem für Schweinefleisch und Milch. So zahlen die Molkereien vielerorts den Landwirten weniger als 30 Cent für das Kilogramm. Damit aber könnten nicht einmal mehr die Kosten gedeckt werden, heißt es in vielen Betrieben. Doch es gibt derzeit ein Überangebot – nicht nur in Europa, beschreibt der Agrarökonom Martin Odening von der Berliner Humboldt-Universität die Situation:
    "Wir hatten in 2013 sehr hohe Milchpreise von über 40 Cent pro Kilogramm. Das haben viele Landwirte zum Anlass genommen, die Produktion auszudehnen. Dazu kommt auch noch ein starkes internationales Angebot von Ländern wie Neuseeland, Australien, das drängt natürlich auch auf den Markt. Es ist eben nicht nur die nationale Sicht, die man sehen muss, sondern wirklich global – wie viel wird produziert. Dieses Zusammentreffen von Faktoren führt jetzt eben zum Verfall der Milchpreise, die wir jetzt beobachten."
    Entsprechend zahlt auch der Einzelhandel immer weniger an die Molkereien, die wiederum die gesunkenen Preise an die Bauern weiterreichen. Dazu kommt: Russland hat ein Exportverbot für europäische Agrarprodukte verhängt und auch aus China ist die Nachfrage nach europäischen Milchprodukten zuletzt deutlich gesunken.
    Das bekommen die Bauern nun zu spüren, zumal mit dem 1. April dieses Jahres auch die Milchquote abgeschafft worden ist. Seither dürfen die Landwirte so viel produzieren wie sie wollen – eine zentrale Forderung der Milchwirtschaft, die kräftig expandieren will:
    "Die Milchindustrie will sich auf den globalen Milchmärkten platzieren. Das ist ganz klar. Europa ist eher ein teurer Produktionsstandort. Und das versucht man jetzt mit einem billigen Rohstoff zu schaffen. Sich auf diesem Weltmarkt zu platzieren. Aber das ist nicht zum Wohle der bäuerlichen Landwirtschaft und auch nicht zum Wohle der Gesellschaft."
    Sagt die Agrarexpertin der Grünen im Europäischen Parlament, Maria Heubuch, die sich für eine Reregulierung der Milchproduktion in Europa stark macht. Das aber lehnen die meisten Bauernfunktionäre und Landwirtschaftsminister ab, weshalb es heute vor allem um kurzfristige Hilfen für die Landwirte gehen wird, so der Agrarexperte der CDU im EU Parlament, Peter Jahr:
    "Wir werden den Betrieben Liquiditätshilfen gestatten. Da gibt es nationale Programme. Wir werden dafür sorgen, dass die Landwirte auch im Dezember pünktlich ihre Direktzahlungen bekommen. Wir werden auch die Intervention verstärken, Intervention heißt ja, erst einmal Menge vom Markt zu nehmen. Dass der Markt erst einmal stabilisiert ist. Und wir werden mithelfen, dass die Landwirte neue Märkte erschließen können, um auch Milchproduktion woanders abzusetzen."
    Eine Kurskorrektur der europäischen Landwirtschaftspolitik steht also nicht auf dem Programm. An die heftigen Preisschwankungen werden sich deshalb die Bauern wohl gewöhnen müssen.