Mario Dobovisek: Die arabischen Scheichs drücken seit Monaten auf den Preis. Jetzt will der Iran nach dem Ende des Embargos wieder in das Ölgeschäft einsteigen und lässt damit die Preise weiter fallen. Bei unter 30 US-Dollar liegen inzwischen die Fässer der Sorten Brent und WTI. Zur Erinnerung: Vor rund acht Jahren kosteten beide noch fast 150 Dollar, ein Minus seitdem von fast 80 Prozent. Das hat Folgen: Die sind einerseits an den Zapfsäulen dieser Republik ablesbar und durchaus erfreulich. Den Liter Diesel gibt es dort für 90 Cent, E10-Benzin für 1,15 Euro etwa. Andererseits fallen aber auch die Kurse an den Börsen. Der DAX stand gestern zeitweise unter der Marke von 9500 Punkten. Anleger sind verunsichert, Analysten warnen.
Am Telefon begrüße ich Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Sie ist auch Professorin für Energieökonomie. Warum, Frau Kemfert, sollten uns die fallenden Ölpreise beunruhigen?
Claudia Kemfert: Ja sie sollten uns vor dem Hintergrund beunruhigen, weil viele Öl exportierende Nationen immer weniger Öleinnahmen bekommen. Es gibt einige Wirtschaftsnationen, die sehr stark auf die Ölverkäufe angewiesen sind, und wenn der Ölpreis immer weiter sinkt, sinken auch die Einnahmen. Wir sehen Besorgnis erregende Zustände mittlerweile schon in Russland, aber auch in Venezuela. Auch immer mehr arabische Länder inklusive Saudi-Arabien bekommen Probleme. Und selbst in den USA - dort hat man ja begonnen, sehr viel mehr Öl zu fördern - gehen immer mehr Fracking-Ölförderungen zur Neige. Die Investitionen gehen massiv zurück und aus dem Grund ist es keine gute Situation, die wir allein vom Ölmarkt her haben, und natürlich auch aufgrund der Situation im Asien-Raum. China leidet ja auch aufgrund von wirtschaftlichen Einbußen und all das reflektiert sich auch im Ölpreis.
Dobovisek: Reden wir da am Ende über politische Probleme, die der fallende Ölpreis verursachen könnte?
"Den Machtkampf ums Öl gab es schon immer"
Kemfert: Es gibt auch politische Gründe, ganz sicherlich, weil Öl immer mehr auch zu einem Machtkampf geworden ist, Machtkampf ums Öl. Das gab es schon immer in den 70er- und 80er-Jahren, aber mittlerweile kommen doch sehr viele neue geopolitische Gründe hinzu. Saudi-Arabien hat ein Interesse, die Machtoption weiter auszubauen. Die Amerikaner hatten sich ja schon vor einiger Zeit entschieden, immer mehr Öl zu fördern. Man will auch gern Länder wie Russland oder auch Venezuela in die Knie zwingen, die tatsächlich sehr große Probleme bekommen durch die Einnahmeausfälle, die jetzt kommen aufgrund des niedrigen Ölpreises. All das spielt eine Rolle in diesem Machtkampf ums Öl und alle Ölnationen sind hier mit beteiligt aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Dobovisek: Jetzt schreibt der weltgrößte Bergbaukonzern ein Drittel seiner Fracking-Investitionen inzwischen ab. Sie haben das Stichwort Fracking schon genannt, die Öl- und Gasförderung zum Beispiel in den USA. Macht der Ölpreisverfall die Förderung durch das sogenannte Fracking inzwischen unrentabel?
Kemfert: Absolut. Wir sehen einen sehr deutlichen Einbruch bei nahezu allen Öl-Fracking-Förderstätten in den USA, was daran liegt, dass der Ölpreis jetzt tatsächlich sehr, sehr niedrig geworden ist. Bei einem Preis von 40 Dollar pro Barrel hat man immer noch gesagt, na ja, es können sich einige noch rentieren, aber jetzt geht es ja immer weiter runter und immer mehr Unternehmen müssen abschreiben und werden auch sicherlich die Investitionen immer weiter runterfahren.
Dobovisek: Haben die Scheichs damit gewonnen, Frau Kemfert?
Kemfert: Die Scheichs haben sicherlich ein bisschen was gewonnen, weil sie in der Tat zum Interesse hatten, dass das Fracking-Öl weiter zurückgeht und damit auch die Möglichkeit der USA, den Ölmarkt weiter etwas mitzubestimmen. Aber es hat dann auch wirtschaftliche Konsequenzen, denn bei diesem niedrigen Ölpreis schneiden sich ja letztendlich alle Staaten, auch Saudi-Arabien oder auch Russland, andere OPEC-Staaten selbst ins Fleisch, weil sie diese niedrigen Einnahmen haben, und das schadet der Wirtschaft ja ungemein.
Dobovisek: Wo liegt denn da die Schmerzgrenze? Derzeit sprechen wir über knapp 30 Dollar je Fass.
"In der Vergangenheit viel zu sehr auf Öl gesetzt"
Kemfert: Die Fracking-Ölförderungen rechnen sich oder haben sich weniger gerechnet bei einem Ölpreis von 40 Dollar pro Barrel. Jetzt bei einem noch viel niedrigeren Preis wird es immer mehr Einbußen geben. Wir sehen Einnahmeausfälle in vielen Nationen. Russland hat schon massiv darauf hingewiesen, Venezuela ohnehin, die ja über 80 Prozent ihrer Staatseinnahmen mit diesen Ölverkäufen ausrichten, und all das geht ja mehr und mehr zurück und andere Staaten genauso. Da tut sich einiges an Problembergen auf vor dem Hintergrund, weil gerade auch diese Länder in der Vergangenheit viel zu sehr auf Öl als Einnahmequelle gesetzt haben und ihre Wirtschaft anders als beispielsweise Norwegen eben nicht auf mehrere Standbeine aufgebaut haben.
Dobovisek: Erwarten Sie, Frau Kemfert, dass die Ölpreise bald wieder steigen?
Kemfert: Alles ist möglich im Moment. Die Spekulation spielt eine sehr, sehr große Rolle und treibt den Preis auch sehr weit nach unten. Die fundamentalen Marktdaten haben sich ja im letzten Jahr kaum geändert. Wir haben zwar dieses Überangebot an Öl, die Nachfrage ist nicht sehr groß, aber die Spekulation gerade vor dem Hintergrund auch der Asien-Krise spielt im Moment die entscheidende Rolle, so dass es da auch durchaus weiter nach unten gehen kann. Aber die Marktdaten geben das nicht her, denn gerade wenn jetzt auch die Investitionen zurückgehen in Ölförderung und auch die Nachfrage wieder steigen sollte, weil der Ölpreis so niedrig ist, dann kann es auch durchaus sein, dass die Richtung in die andere Richtung wieder ausschlägt und der Preis durchaus auch wieder ansteigen kann.
"Die deutsche Wirtschaft profitiert erst einmal"
Dobovisek: Welche Auswirkungen haben denn die niedrigen Ölpreise auf die deutsche Wirtschaft?
Kemfert: Die deutsche Wirtschaft profitiert erst einmal, weil wir damit niedrigere Energiekosten haben, denn die deutsche Wirtschaft basiert ja auch noch immer auf Öl. Die Benzinpreise sinken. Es gibt dadurch Einkommenszuwächse, die Menschen müssen weniger Geld fürs Tanken bezahlen und die gesamte Volkswirtschaft hat damit Vorteile, und das führt erst mal dazu, dass es der Wirtschaft damit tendenziell eher wieder besser geht. Aber wir haben ja auch eine Energiewende vor uns und ein niedriger Ölpreis behindert eher den Umstieg gerade in Richtung Energie sparen und vor allen Dingen nachhaltige Mobilität. Das ist im Moment ja ein ganz wichtiges Thema.
Dobovisek: Das heißt, der niedrige Ölpreis, wenn er denn noch lange so bliebe, so niedrig bliebe wie jetzt, hätte negative Auswirkungen auf die Energiewende?
Kemfert: Der niedrige Ölpreis kann gerade vor dem Hintergrund, dass wir ja auch Energie sparen ganz vorne nach oben stellen wollten, schon negative Auswirkungen haben für die Energiewende, denn die energie-Effizienzverbesserung ist ja ein ganz, ganz wichtiger Baustein, sowohl im energetischen Gebäudesanierungs-Bereich als auch und vor allen Dingen im nachhaltigen Mobilitätsbereich. Wir brauchen ja alternative Antriebstechniken, also weg von Benzin und Diesel. Das wird ein langer Prozess sein, aber ein niedriger Ölpreis behindert erst mal diesen Umstieg, weil ein niedriger Ölpreis erst mal wieder zu Verschwendung verleitet und suggeriert, wir hätten unbegrenzt Öl zur Verfügung, was ja nicht der Fall ist.
Dobovisek: Benzin und Diesel dient als Brennstoff in Autos, Stichwort Abgasskandal. VW hat schwer mit den Folgen zu kämpfen und diese Woche gab es auch Razzien beim französischen Autobauer Renault, der inzwischen versichert, nicht geschummelt haben zu wollen. Gehen Sie davon aus, Frau Kemfert, dass außer VW auch andere Hersteller die Abgaswerte manipuliert oder, sagen wir, geschönt haben?
Kemfert: Es ist die Frage, wieweit das andere Hersteller genauso wie VW jetzt auch entsprechend geschönt haben. Alles deutet darauf hin, dass das erst mal so in dem Umfang nicht der Fall ist. Aber ein Dieselmotor hat natürlich immer die Probleme erhöhter Emissionen, erhöhter Feinstaub- und erhöhter Stickoxid-emissionen, und insofern ist er auch dauerhaft nicht nachhaltig und man sollte hier wirklich überdenken, auch gerade von der deutschen Seite, ob es noch Sinn macht, diese niedrige Dieselsteuer aufrecht zu erhalten und Diesel auch gerade für den privaten Autoverkehr weiterhin so attraktiv zu machen. Wir brauchen einen Umstieg hin zu nachhaltigen alternativen Kraftstoffen, und da ist jetzt wirklich eine Strategie gefordert. Der Wirtschaftsminister hat ja Kaufprämien jetzt auch ins Spiel gebracht für Elektrofahrzeuge. Das geht schon mal in die richtige Richtung, denn wir brauchen dringend einen Umstieg, weil der Diesel ja nicht dauerhaft für den privaten PKW-Verkehr so attraktiv bleiben kann.
"Diesel hat im privaten Autoverkehr wenig Zukunft"
Dobovisek: Diesel hat also keine Zukunft mehr?
Kemfert: Diesel hat zumindest für den privaten Autoverkehr nicht mehr diese Zukunft, die man in der Vergangenheit ihm zugesprochen hat, denn wir haben die Probleme der Feinstaub- und Stickoxid-Emissionen, die wir nicht in den Griff bekommen. Wir brauchen nachhaltige Mobilitätskonzepte gerade auch im privaten PKW-Verkehrsbereich. Wir wollen eine Energiewende. Da spielen die erneuerbaren Energien immer weiter eine Rolle. Das heißt, die Elektromobilität wird hier eine ganz zentrale Rolle spielen, oder auch alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff oder Methan, oder Erdgas ohnehin. All diese Dinge kommen im Moment überhaupt nicht in den Markt, weil man Diesel viel zu lange indirekt subventioniert hat und hat die Probleme jetzt im Moment. Insofern wäre die Gunst der Stunde günstig, diesen Umstieg jetzt endlich zu starten, denn die Diesel-Problematik wird noch lange nicht ausgestanden sein.
Dobovisek: Hat Sie der VW-Manipulationsskandal in seiner Breite überrascht?
Kemfert: In der Breite hat es mich total überrascht, genau wie alle anderen auch. Dass die Diesel-Fahrzeuge Probleme haben, die Emissionsgrenzwerte einzuhalten, ist kein neues Phänomen gewesen für alle Fachleute, weil die Grenzwerte ja ohnehin in der Vergangenheit oftmals nicht eingehalten werden konnten. Die Testergebnisse sind häufig sehr stark abgewichen von den Normwerten und das war schon bekannt. Dass es jetzt aber dieses Ausmaß angenommen hat, dass VW so stark tatsächlich das Problem so weit nach vorne gebracht hat, dass es diese Probleme jetzt gegeben hat, das hat natürlich keiner erwartet und das war auch für mich überraschend.
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