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Sinn und Unsinn

Die Bregenzer Festspiele wagen alle zwei Jahre den Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung, mit einem gewissen Hang zum Musiktheater als Massenspektakel auf der Seebühne. 2009 gab es mit der Operette "Paradies Moskau" von Dmitri Schostakowitsch, dem hinreißenden Post-Depressionsmusical "Of Thee I Sing" der Gershwins und dem Komponistenschwerpunkt "Sense and Sensibility" zwei Knüller und einen Flop.

Von Wolf-Dieter Peter |
    Fast überbordende Operettenstimmung im Bregenzer Festspielhaus... doch darauf muss gleich der bittere Stoßseufzer folgen "Oooch! Und die Verhältnisse, sie sind noch immer so!" Denn der herrlich verzerrende Satire-Spiegel, den Dmitri Schostakowitsch da 1958 den Moskauer Wohnungsbaubehörden, ihren Verantwortlichen, aber auch den von den Verhältnissen schon etwas deformierten Menschen vorhielt, dieser Spiegel zeigte plötzlich uns: unsere Wartelisten, unsere korrupten Behördenleiter, unsere Alltagskorruption gemäß "Vitamin B" wie "Beziehungen" - oder neoliberal: "Netzwerk". Schostakowitsch meinte konkret den Trubel um die im Moskauer Vorort Tscherjomuschki überstürzt hochgezogenen Plattenbau-Wohnkasernen für verdiente Werktätige: damals wirklich ungemein luxuriös und propagandistisch bejubelt.

    Bejubelt, aber auch ungemein schlampig und fehlerhaft gebaut - dennoch Objekte, für die man wie frau sich streckte, verbog und auch hinlegte... Schon vor einigen Jahren hat der jetzige Bregenzer Intendant David Pountney dies für die englische Opera North in Leeds inszeniert: als temporeiche, genau auf bissige Pointen getimte, hinreißend grelle und böse Szenenrevue: alles in gewollt erkennbaren Pappmasche-Kulissen samt Werbung im Stil des Sozialistischen Realismus, zusätzlich mit allen Qualitäten der Londoner West-End-Theaterszene und typengenau ausgesuchten Sänger-Schauspieler-Tänzern. Ein Höhepunkt war: Anfangs wurden drei wunderbar modellierte Statuen als graue "Vergangenheit", metallische Arbeiter-"Gegenwart" und titanglänzende "Zukunft" gezeigt - am Ende aber war Letztere durch das Schild ersetzt "Die Zukunft ist derzeit nicht verfügbar"... es war kein Plakat aus dem derzeitigen Wahlkampf... dafür aber war der Jubel für Schostakowitschs schmissige Partitur und ein fabelhaftes Ensemble unter James Holmes mitreißender Leitung sehr gegenwärtig und allumfassend.

    Tags darauf Gershwins "Of Thee I Sing" von 1931 - und wieder war entsetzt lachend zu bestaunen: Ira Gershwins pulitzerpreisgekrönte Handlung und Georges fetzige Songs entlarvten schon damals die Verlogenheit des amerikanischen Politik-Establishments. Erschreckenderweise war damals, nach der ersten fundamentalen Wirtschaftskrise von 1929, schon alles da wie heute: Wahlkampfslogans als leere Hülsen; Ämtervergabe an ungeeignete, aber beherrschbare Nullen; aufgeblähte Unfähigkeit neben durchtriebener Berechnung; raffinierte Nutzung echter Werte zu banalen zwecken - und auch schon damals: Politik als fröhliche Show, Mediendemokratie, in der allein die Bildoberfläche zählt. All das servierte das erneut herrlich rollendeckende Ensemble der Opera North mit ironischem Ernst: die vielen fabelhaft überdrehten Absurditäten in Iras Texten und dazu Georges Fuß-Wipper-Songs - das provozierte auch durch Wyn Davies spitziges Dirigat einhelligen Jubel.

    Entsprechend hohe Erwartungen an David Sawers "Skin Deep - Hautnah": musikalisches Theater über den Wahnwitz aktueller Schönheitschirurgie. Armando Iannuccis Libretto operiert da zwar eine Fülle von real-satirischen Fällen zusammen - getreu dem Motto des Medizin-Halbgottes Dr. Needlemeier

    "Glattmachen, was die Natur zerknittert hat"- doch die Musik des gleichfalls bühnenerfahrenen Komponisten David Sawer ..., seine Komposition amüsiert nicht. Vielmehr wird einem klar, wovon musikalischer Witz lebt: dass da erhaben Großes pfiffig verkleinert, verbogen, schräg zitiert wird oder frech, bissig und entlarvend "missbraucht" wird. Daran fehlte es dem dreiaktigen, am Ende zu langen Werk - da konnten auch Richard Jones Regie und das sichtbar hoch engagierte Dirigat Richard Farnes sowie das gute Ensemble der Opera North aus Leeds nichts retten. So war der Gesamteindruck: Das dreigeteilte Operetten-Gastspiel aus England brachte mit Schostakowitsch und Gershwin zwei Knüller und einen Flop.