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Sinnbild für die Risiken der Atomtechnologie

Beliebt ist das Produkt nicht, das der Castorbauer GNS in Mühlheim an der Ruhr herstellt. Aber weitaus mehr als sein Imageproblem macht der Firma der deutsche Atomausstieg zu schaffen. Das Unternehmen hofft nach Abschaltung aller deutschen Atomkraftwerke auf Aufträge aus dem Ausland.

Von Klaus Deuse |
    Langsam gleitet der Kran an Laufschienen unter der Decke durch die über 200 Meter lange Halle in einem Industriegebiet von Mülheim. An den Befestigungselementen hängt eine fast 100 Tonnen schwere Last. Ein fünf Meter hoher und knapp zweieinhalb Meter breiter Gussstahlbehälter, lackiert in einem satten Blau. Über einer in den Boden eingelassenen metertiefen Montagegrube kommt der Kran zum Stillstand, senkt den Behälter vorsichtig in die vorgesehene senkrechte Position ab, bis auf der Plattform nur noch das obere Ende herausragt. Ähnlich wie bei einem geöffneten Raketensilo. Nun beginnen für die 30 Mitarbeiter am Standort Mülheim die Endarbeiten an diesem ganz besonderen Behälter, der immer einmal wieder in den Schlagzeilen landet. Und zwar nach der Beladung auf dem bewachten Transport ins Zwischenlager Gorleben:

    "In unserer Halle hier in Mülheim werden die Castorbehälter assembliert, also zusammengebaut. Wir bekommen von mehreren Lieferanten die Hauptbauteile, also den großen Behälterkörper, der aus Guss gefertigt ist und alleine schon um die 80 Tonnen wiegt. Die Deckelsysteme aus Edelstahl, die auch mehrere Tonnen pro Stück jeweils wiegen. Die eigentliche Assemblierung hier dauert mehrere Monate,"

    ...erläutert Michael Köbl von der GNS, der Gesellschaft für Nuklear-Service, beim Rundgang durch die Halle. Als gemeinsames Tochterunternehmen der vier Energieversorgungsunternehmen, die in Deutschland Kernkraftwerke betreiben, ist die GNS zuständig für die Entsorgung. Somit auch für die Her- und Bereitstellung der Castorbehälter für die Zwischenlagerung der Brennelemente.

    Der Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie stellte nach den Worten von Dr. Hannes Wimmer, Vorsitzender der Geschäftsführung, auch die GNS vor beträchtliche Herausforderungen:

    "In der Vergangenheit waren das so circa 40 bis 50 Castoren pro Jahr, ausgelegt auf den Betrieb von 17 Reaktorblöcken. Durch das Abschalten kam es zu einer Forcierung des Castorbedarfs, und wir sind jetzt bei 80 Castoren pro Jahr."

    Castoren lassen sich schließlich nicht aus dem Boden stampfen und wie am Fließband produzieren:

    "Die Fertigungszeit ist 30 Monate. Der Castor ist ein sehr komplexes Bauteil. Da steckt sehr viel Fertigungsarbeit drin. Aber aufgrund seiner sicherheitstechnischen Bedeutung auch wahnsinnig viel Qualitätssicherung. 50 Prozent ist Fertigung, 50 Prozent der Zeit geht drauf für die Qualitätssicherung."

    Als Zwischenlagerbehälter müssen die Castoren wenigstens 40 Jahre dichthalten. Die Kosten für einen dieser strahlungssicheren Behälter belaufen sich auf etwas mehr als zwei Millionen Euro. Aufgrund der noch immer nicht gelösten Frage nach einem Endlager denkt man bei der Auslegung dieser Castoren inzwischen auch über diese bislang magische Grenze von 40 Jahren hinaus.

    In Mülheim, bei der Endmontage, geht es erst einmal darum, dass jeder Handgriff sitzt. Denn gerade darauf, betont Michael Köbl, kommt es an:

    "Hier ist zwar eine Riesenhalle mit Riesenbauteilen, pro Stück über 100 Tonnen schwer. Aber eigentlich ist das hier eine Manufaktur. Hier wird komplett von Hand gearbeitet."

    Zum Beispiel beim Einsetzen von 48 Schrauben in den Primärdeckel. Wobei: Von Schrauben kann eigentlich keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich um eine Art unterarmlanger, überdimensionaler Metallhanteln mit einem Durchmesser von fast acht Zentimetern, die in die Bohrungen eingefügt werden müssen. Eine Aufgabe, die kaum mit Muskelkraft allein zu bewältigen ist, sagt Bernhard Drönner, der auf der Montageplattform für die Justierung der Deckel einen pneumatischen Drehmomentschlüssel benutzt. Ein Gerät, wie es auch die Monteure in der Formel 1 bei einem Reifenwechsel für die Rennautos benutzen. Nur um einiges leistungsfähiger. Und zwar für Drehmomente bis zu 2600 Newtonmeter.

    "Das sind verschieden größenartige Schrauben von verschiedenen Schlüsselweiten und die Kapselmuttern haben eine Schlüsselweite von 46. Und die ziehen wir mit diesem pneumatischen Drehmomentschlüssel an."

    Nur einer von vielen Arbeitsschritten, bevor der in Mülheim montierte Castor zur Auslieferung für die Aufnahme von Brennelementen an den Reaktorstandorten bereit ist.

    "Die bleiben so lange stehen, bis das Kraftwerk sagt: Her damit, wir möchten beladen."

    Sowohl für die Brennelemente aus Siedewasser- als auch aus Druckwasserreaktoren. In den einen passen 52, in den anderen 19 Brennelemente. Der Innenraum ist stets der gleiche - und klingt auch entsprechend hohl, wenn man hineingeht.

    "Wir gucken hier in den Behälterschacht rein, das ist das Innere des ungefähr fünf Meter hohen Behälters, um die Brennelemente aufzunehmen, kommt dann hier noch der sogenannte Tragkorb rein. Das ist so was Ähnliches wie eine runde Bierkiste, die dann die Brennelemente aufnimmt, dass die stabil gelagert sind und nicht aneinanderstoßen."

    Nach 20 Jahren bei der GNS kennt Monteur Bernhard Drönner längst jeden Handgriff aus dem Effeff. Von beiden Seiten der Kernenergie:

    "Ich war vorher 20 Jahre bei Siemens und hab Generatoren für Kernkraftwerke gebaut und bin in der glücklichen Lage, für diese Kernkraftwerke die Entsorgung jetzt machen zu können. Da schließt sich der Kreis."

    Schließen wird sich in den nächsten 15 Jahren auch dieser Kreis für die GNS, wenn alle deutschen Kernkraftwerke vom Netz genommen werden sollten. Doch bis dahin gibt es mit der Fertigung von 80 Castoren pro Jahr für die rund 670 Mitarbeiter bei einem Jahresumsatz von 200 Millionen Euro noch genug zu tun. Aber auch wenn hierzulande im letzten Kernkraftwerk das Licht ausgemacht wird, rechnet sich der Vorsitzende der Geschäftsführung Hannes Wimmer einträgliche Chancen für den Absatz von wenigstens 25 Castoren pro Jahr auf dem internationalen Markt aus:

    "In anderen Ländern laufen ja derzeit Neubauvorhaben oder auch Laufzeitverlängerungen, sodass wir für unsere Produkte in Japan, in Korea, in anderen europäischen Ländern und auch in den USA sehr wohl Chancen sehen, die zu verkaufen."