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Sir András Schiff eröffnet Recital-Serie
Kampf der Davidsbündler gegen die Philister

Sein pianistischer Zugang ist zugleich spielerisch, klar strukturiert und hoch poetisch, seine Anschlagskunst legendär. András Schiff gibt mit einem klug komponierten Programm ein Plädoyer für die Wahrhaftigkeit und Unverstelltheit der Kinder.

Von Julia Spinola |
    Der Pianist András Schiff
    Der Pianist András Schiff (imago stock&people)
    Wenn András Schiff Bach spielt, bleibt die Zeit stehen und der Saal füllt sich mit einer Aura, die sich wie ein feiner Goldstaub auf die Gemüter legt. Alles an diesem Musiker wirkt so zurückhaltend und mild, als trete er wie ein Gesandter aus einem Land der Träume vor sein Publikum: seine leise, melodiöse Art zu sprechen, seine filigrane Körpersprache und eben vor allem seine hoch nuancierte, ganz und gar uninszenatorische pianistische Virtuosität. Dabei ist András Schiff alles andere als weltfremd. Im Gegenteil: Politisch und gesellschaftlich bezieht er dezidiert Stellung, etwa mit seinem Protest gegen die rechtspopulistische ungarische Regierung Victor Orbáns, die den Pianisten antisemitisch verunglimpft. Schiff tritt daher in seinem Heimatland Ungarn nicht mehr auf. Er zählt zu der kleinen Riege hochreflektierter und umfassend gebildeter Künstler, die die Verantwortung verspüren, mit ihrer Kunst etwas zu bewirken – ohne dabei doch ihre Kunst zu verraten. Und so steht jetzt auch Schiffs Recital im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie ganz im Zeichen eines höchst subversiven, aber antiideologischen Protestes. Dessen Protagonisten sind an diesem Abend nicht die lauten Revolutionäre, sondern die Kinder, als Gewährsleute einer unverbogenen Wahrhaftigkeit und Authentizität.
    Spielerisch, klar strukturiert und hoch poetisch
    In einer kurzen Rede erläutert Schiff sein ungewöhnliches Programm mit Werken von Bach, Bartók, Janáček und Schumann. Sowohl Bach als auch Bartók komponierten pädagogische Zyklen für Kinder auf höchstem Niveau: Bach seine kunstvollen zweistimmigen Inventionen, Bartók seine volksliednahe Anthologie "Für Kinder", aus denen Schiff zehn Stücke auswählt. Einem kindlich-drastischen Blick auf die Welt verdanken sich auch die weiteren Werke Bartóks, die Schiff nahtlos zwischen je fünf von Bachs Inventionen montiert: "Drei Rondos über slowakische Volksweisen" und drei "Burlesken", deren entfesselter, schier durchgeknallter Übermut wiederum schon auf die zweite Programmhälfte des Abend vorausweist. Dort schlägt Schumanns Fantasiefigur Florestan in den "Davidsbündlertänzen" übermütige Kapriolen im Kampf gegen die Philister. Zuvor erklingt noch die erste Reihe von Leoš Janáčeks tief melancholischem Zyklus "Auf verwachsenem Pfade". Janáček komponierte diese dichten Stimmungsbilder 1911 in trauernder als auch verklärender Erinnerung an seine Tochter Olga, die 1903 gestorben war.
    Schiffs Klavierabend öffnet eine innere Bühne, auf der er die Komponisten aus drei Jahrhunderten auftreten lässt wie Geistesverwandte, die sich in beständigem Dialog miteinander befinden. Sein pianistischer Zugang ist zugleich spielerisch, klar strukturiert und hoch poetisch. Die Musik entfaltet sich scheinbar eingriffslos, ja mit einer beinahe lakonischen Distanz, als staune der Pianist selber über die Zauberwelten, die sich da unter seinen Fingern auftun. Alles Aufgesetzte, Plakative wird gemieden, Schiff drückt den Werken keinen persönlichen Meta-Kommentar auf, sondern er stellt sie in höchst sublimer Weise aus auf seiner imaginären Bühne. Er lässt sie mit seiner unvergleichlich auratischen Anschlagskunst aufleuchten, respektiert ihre Zerbrechlichkeit und hütet sich davor, sie anzufassen. In dieser Atmosphäre einer geistigen Freiheit gerät der gesamte Abend zu einem klingenden Plädoyer der Davidsbündler gegen die Philister. Ovationen.