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Sir Walter und Harry Potter geben sich die Ehre

Wer auf den Spuren schottischer Dichter wandeln möchte, der beginnt am besten seine Reise in Sir Walters altehrwürdigem Landsitz Abbotsford House. Von dort aus könnte es nach Edinburgh gehen, wo inmitten von Dudelsack- und Haggis-Folklore, die Geister von Harry Potter und Robert Louis Stevenson fröhliche Auferstehung feiern.

Von Sven Ahnert | 26.06.2011
    Die Besitzer waren mächtige und kriegerische Barone, die wie die Burg den Namen Ravenswood trugen. Ihre Ahnenreihe reichte bis in graue Vorzeit, und sie waren verschwägert mit den Douglas, Hume, Swinton, Hay und anderen Familien von Einfluss und Rang im Land. Sie griffen häufig in die Geschichte Schottlands ein, deren Annalen ihrer Taten gedenken.

    Auf seinem Landsitz Abbotsford House in Melrose, unweit der Grenze zu England, schrieb Sir Walter Scott 1818 seinen Roman "Die Braut von Lammermoor", eine finstere und zutiefst tragische Liebesgeschichte aus den unruhigen Zeiten schottischer Freiheitskämpfe. Abbotsford House - jeder Schotte dürfte diesen Namen kennen, denn hier lebte Schottlands großer Nationaldichter und "Erfinder" des historischen Romans in seinem märchenhaften Anwesen. Vom beschaulichen Städtchen Melrose aus führt eine kurvige Straße stadtauswärts auf das parkähnliche Landgut mit seinem kunstvoll angelegten Gärten und dem Schloss ähnlichen Hauptgebäude, das Scott zwischen 1811 und 1824 zu einem herrschaftlichen Anwesen ausbauen ließ. Heute ist Abbotsford House ein literarisches Museum, das vom Abbotsford Trust verwaltet wird. Auf den Kiesflächen vor dem Haus parken die Reisebusse. Im Sommer kommen die Besucher in Strömen, um in Walter Scotts private Welt einzutauchen.

    Im Hintergrund zieht der Fluss Tweed gemächlich seine glasklaren Bahnen. Am parkähnlichen Gelände von Abbortsford House führt der Tweed River wenig Wasser. Der Legende nach konnten hier früher die Äbte den Fluss zu Fuß überqueren: Die Fuhrt der Äbte - Abbotsford.
    Auf weißen Kieswegen gelangt man zum Haupteingang von Abbotsford House, das insgesamt eine eigentümliche Mischung aus Ritterburg und mächtigem Landsitz darstellt. Gleich links neben der Eingangstür liegt der standesgemäße und weiträumige Empfangssaal. An den Wänden hängen Ritterrüstungen, Hieb- und Stichwaffen, sowie Hirschgeweihe und andere Beutestücke des leidenschaftlichen Kuriositätensammlers Walter Scott.. Im Türrahmen steht ein leicht gebeugter, weißhaariger Mann mit grauem Pullover: Gütige Augen, kantiges Gesicht, bescheidenes Auftreten. Der Mann gehört zum Inventar.

    "Mein Name ist Larry Furlong. Ich verwalte das Anwesen im Namen der Stiftungsmitglieder."

    Man nennt ihn hier "Mr. Abbotsford House”, das gute Gewissen des Herrensitzes. Seit über zwanzig Jahren schaut die treue Seele aus Melrose hier nach dem Rechten. Zwei Schwestern, Nachfahren von Sir Walter Scott, lebten hier bis zu ihrem Tod im Jahr 2004. Abbotsford House war beides: Literarisches Museum und Familiensitz in einem. Bei Bedarf haben die Ladies interessierten Scott-Fans den Hausschlüssel in die Hand gedrückt und gesagt. "Schauen Sie sich um, hinterher können wir einen Tee trinken." Auch die königliche Familie kam zum Tee.

    "Prinzessin Anne hat das Haus besucht. Ich habe sie hier herum geführt und ihr ein wenig die Geschichte des Hauses erzählt. Ihre Eltern, das Königspaar, waren auch schon hier. Die Dame des Hauses hat den Duke of Edinburgh persönlich durch das Anwesen begleitet. Gerade in Bezug auf das Königshaus ist Abbotsford ein wirklich berühmter Ort."

    Eine Wendetreppe tiefer liegt das Café von Abbotsford House. Dort gibt es Kuchen, Suppen und Sandwichs. Zu den Klängen gälischer Folklore blickt man aus dem Fenster über den Parkanlage, die sich viele Hektar weit bis zu einer Hügelkette erstreckt. Da endet das ehemalige Anwesen von Sir Walter Scott. Mathew Whitey schaut um die Ecke, Kurator und Historiker in Abbotsford House. Seit 2007 kümmert sich der Abbotsford Trust um die Modernisierung des Anwesens. Ein multimediales Besucherzentrum ist in Planung. Abbotsford lebt vor allem von seiner Aura, dem Scottschen Geist, der in jeder Ecke präsent ist. Nicht nur Walter Scotts wundersame Kollektion historischer Fundsachen lockt die Besucher an: Wer es gediegen mag, kann auf Abbotsford den Bund der Ehe schließen. Die bange Frage aber, die sich nicht nur Kurator Mathew Whitey stellt, liegt in der Luft: Wer liest heute überhaupt noch die Romane von Scott: Waverly, Die Brau von Lammermoor und Ivanhoe?

    "Leider haben die meisten Kinder, die uns hier besuchen, noch keine einzige Zeile von Walter Scott gelesen. Einer der Gründe ist, dass Scotts Bücher nicht auf dem Lehrplan schottischer Schulen stehen. Scott ist keine Pflichtlektüre für den Englischunterricht. Wir setzen uns hier dafür ein, dass das in Zukunft einmal anders sein wird."

    Heute lesen die schottischen Kinder lieber Harry Potter und schauen sich Potter-Filme an, die man zu Teilen auch hier in Abbotsford House drehen könnte, zum Beispiel in der imposanten 7000 Bände umfassenden Privatbibliothek von Walter Scott. Bester Guide im Hause Abbotsford ist Roderick, der aber zunächst nicht ins Mikro sprechen möchte in Gegenwart von soviel Ehrfurcht einflößender schottischer Aufklärung und Geschichte. Wir stehen an einer runden Vitrine, die so ziemlich alles enthält, was schottische Geschichte angeht. En Dolch vom schottischen Nationalfreibeuter Rob Roy, eine Locke von Admiral Nelson - wie die in Scotts Hände gelangt hat, weiß auch Roderick nicht - und ein kleines Kruzifix:

    Der Staatsmann saß in einer geräumigen Bibliothek...

    Die Braut von Lammermoor

    Der Staatsmann saß in einer geräumigen Bibliothek, die einst der Festsaal des alten Schlosses Ravenswood gewesen war, wie man aus den ins spanische Kastanienholz geschnitzten Wappenbildern des Deckengewölbes und aus dem bemalten Glas der Fenster schließen konnte, durch die ein gedämpftes, dennoch helles Licht auf die lange Reiher der Regalfächer fiel, die unter dem Gewicht juristischer Kommentare und mönchischer Historiker, deren dickleibige Bände die größte und höchst geschätzte Sammlung eines schottischen Historikers dieser Zeit ausmachten.

    "Dieses Stück dort gehört einer anderen umstrittenen schottischen Persönlichkeit: Mary Queen of Scots, der Cousine von Königin Elisabeth der Ersten. Mary Queen of Scotts beanspruchte den Thron von England. Elisabeth wurde von der katholischen Kirche als illegitim betrachtet und brachte sie gegen ihre Cousine auf, vielleicht war es auch Eifersucht. Sie sperrte sie für 19 Jahre in den Kerker und richtete dann auf dem Schafott. Man sagt, dass Sie im Moment der Hinrichtung genau dieses Kruzifix umklammert hätte."

    Jetzt geht es weiter ins 50 Kilometer nördlich gelegene Edinburgh, Sir Walter Scotts Geburtsstadt und Heimat von Schottlands Poeten Robert Burns, der immerhin eine Hymne auf das schottische Nationalgericht Haggis schrieb. Hier verbrachte Robert Louis Stevenson seine Kindheit und Studienjahre. Sein Dr. Jeckyll alias Dr. Hyde geistert hier genauso um die Häuser wie Ian Rankins trinkfester Kommissar Rebus und der weltberühmte Zauberlehrling Harry Potter.

    Harry Potter und das Balmoral Hotel

    Edinburghs Hauptbahnhof trägt den schillernden Namen Waverly, benannt nach Walter Scott gleichnamigen Abenteuerroman. Gleich dahinter liegt das prächtige Balmoral Hotel, das mit seinem markanten Glockenturm an ein Regierungsgebäude aus viktorianischer Zeit erinnert. Im Jahr1902 wurde das prächtige Gebäude als North British Hotel eröffnet, ein Bahnhofshotel mit direkter Gleisanbindung. Vom Bahnsteig gelangte man mit einem Lift direkt in eine Empfangshalle des Luxushotels. Natürlich gibt es hier einen Walter Scott-Saal, vormals der glanzvolle Speisesaal und heute Saal für Empfänge und öffentliche Veranstaltungen. Berühmt aber ist das Hotel für die Suite mit der Nummer 552. Harry Fernandes, Resident Manager des Belmoral Hotels, wird das Geheimnis lüften. Im perfekt sitzenden Anzug, erzählt der aus Bengalore stammende Manager in makellosem Englisch die Geschichte von J.K. Rowling und ihrem mittlerweile berühmten Hotelaufenthalt. Vier Wochen residierte Harry Potters geistige Mutter in der schlicht-eleganten Suite mit grauem Teppichboden und cooler Ledergarnitur, um ihren Harry Potter-Zyklus zu beenden. An der Wand hängt ein gerahmtes Papier mit Rowlings eigenhändiger Unterschrift.

    "Mrs. Rowling war wohl ein wenig in Eile als sie ihren Roman beendet hatte und zum Markt wollte, sie schnappte sich diese antike Büste da in der Ecke des Zimmers und schrieb darauf: J.K. Rowling hat am 11. Januar 2007 im Zimmer 552 'Harry Potter und die Heiligtümer des Todes' beendet."

    Warum ausgerechnet im Hotel und nicht in ihrem eigenen Schloss, direkt vor den Toren Edinburghs?

    "Wie haben uns nicht gestattet sie das zu fragen. Vielleicht wollte sie das Schlusskapitel einfach im berühmtesten Gebäude von Edinburgh schreiben: Das Belmoral kann man wirklich von überall aus sehen."

    Nicht jeder Harry-Potter-Fan wird sich einen Aufenthalt in Suite 552 leisten können, aber beinahe täglich kommen Neugierige ins Hotel und wollen wenigstens einmal die Tür berührt haben hinter der J.K. Rowling das große Finale ihrer Harry-Potter-Serie komponiert hat. Ob er die Geschichte mit dem Café Elephant erklären könne, frage ich Harry Fernandes: Saß dort die damals allein erziehende Mutter Tag und Tag und heckte sich die Potter-Saga aus? Harry Fernandes blickt etwas indigniert und sagt: Das ist heute wohl kein Thema mehr, schließlich ist J.K. Rowling Milliardärin.

    Die kleine Schatzinsel mitten in Edinburgh

    Ken Hanley ist in Edinburgh bekannt wie ein bunter Hund, jeder kennt den kleinen, drahtigen, gut sechzigjährigen Mann, der keine Gelegenheit auslässt, um in voller Schottenmontur und gut gelaunt seine Gäste durch Edinburgh zu führen. Ken trägt den Kilt mit breitem Ledergürtel, großer Tasche, dazu blaues Hemd, dunkle Krawatte und grauem Jumper. Er begrüßt mich in den Private Gardens in Edinburghs New Town, dem Mitte des 18. Jahrhunderts konzipierten Wohnquartier in Blockbebauung. Wir stehen an einem Teich und blicken auf eine Mini-Insel mit Schilfpflanzen.

    "Wir befinden uns in den Gärten gegenüber des Hauses Hariot Row 17, wo Robert Louis Stevenson seine Kindheit verbrachte. Er wurde hier nicht geboren. Seine Familie zog in dieses Haus als er ein kleiner Junge war. Wenn man hier diesen Teich sieht, spurt man untrüglich die Gegenwart von Robert Louis Stevenson. Diese kleine Insel mitten im Teich soll den jungen Robert Louis zu seiner 'Schatzinsel' inspiriert haben. Darüber besteht überhaupt kein Zweifel."

    Graue Wälder bedeckten einen großen Teil ihrer Oberfläche. Diese eintönige Färbung wurde in den niederen Teilen des Landes von Streifen gelber Sandbrüche und von vielen hohen Nadelbäumen unterbrochen, die teils einzeln, teils in Gruppen über die anderen hinausragten, aber die vorherrschende Farbe war monoton und trübselig. Oberhalb der Vegetation erhoben sich deutlich die Berge mit nackten Felsschroffen.

    Ähnlich wie die Schatzinsel, nur eben in voller Blütenpracht, ist auch dieser Stadtgarten menschenleer. Wie ausgestorben.

    "Ich weiß! Ist das nicht wunderbar? Diese Anlage stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde damals für die Anrainer angelegt. Das wirkt ein bisschen exklusiv aber zeigt uns den Garten wie Stevenson ihn erlebt haben muss. Hier entstand auch 'A child gardens of verses' und der fiktive Dialog mit dem Laternenanzünder, der hier Abends durch die Straßen ging."

    Hariot Row 17. Robert Louis Stevenson und das Zuhause von Familie MacFie.

    In Hariot Row 17 ist der Teufel los. Da wo einst der kleine Robert Louis angeblich seine Schatzinsel erträumte und den Laternenanzündern bei der Arbeit zusah, wohnt heute Familie Macfie: Das sind Felicitas und John Macfie nebst ihren sechs Kindern. Hinter der rot lackierten Eingangstür erwarten den Besuchern keine Vitrinen mit Locken, Manuskripten, Handschriften oder Kruzifixe, kein Stevenson-Museum, sondern ein quicklebendiges Privathaus mit herumliegenden Kinderspielzeug und Stilmöbeln aus der Stevenson-Ära. Familie Macfie betreibt ein Bed & Breakfast-Haus, eine Art Museum mit "Gästeanschluss". Wer will kann im Elternschlafzimmer von Robert Louis Stevenson geniale Atmosphäre atmen und im Himmelbett schlafen. Felicitas Macfie stammt aus München, die studierte Hotelfachfrau blieb der Liebe wegen in Edinburgh. 1992 kauften ihre Schwiegereltern das berühmte zweietagige Stadthaus.

    "Als R.L. Stevensons Mutter 1884 nach dem Tod ihres Mannes das Land verließ, nahm sie den gesamten Inhalt des Hauses mit und hat dann das Haus für zehn Jahre vermietet, bevor sie dann nach Stevensons Tod aus der Südsee wieder hierher kam und deswegen hatten wir im Haus nichts von Stevensons Originalmöbeln. Allerdings sind die Möbel, die hier stehen, genau aus der Zeit. Die Menschen, die das Interieur aus der Zeit kennen - entweder aus den Museen in Kalifornien oder Vailima, wo er später gewohnt hat, sagen: Das ist genau das Gleiche."

    Manchmal würde es schon stören, wenn im Sommer jede halbe Stunde ein Reisebus vor dem Haus halten würde und Blitzlichter ins Wohnzimmer zucken. Einmal stand eine japanische Reisegruppe im Hausflur und wollte die oberen Etagen inspizieren. Die sollten lieber Ian Rankin im Oxford Pub beim Biertrinken beobachten oder J. K. Rowling beim Morgencafé? Wo macht man das?

    "Es gibt in Edinburgh einen deutschen Konditormeister, Falko, der sehr bekannt ist und für seine Qualität geschätzt wird, der ist hier auch auf dem Markt bei uns ist. Der hat mittlerweile ein Café und eine Konditorei in Bruntsfield errichtet, was in der Nähe ihres Edinburgher Hauses ist. Dort sieht man sie immer wieder mit ihrem Freund Ian Rankin am Samstagmorgen einen Kaffee einnehmen. Ian Rankin, Alexander McCall Smith und J.K. Rowling wohnen alle keine zweihundert Meter voneinander in Morningside."

    Es muss aber außer J.K. Rowling noch andere Schriftsteller geben?

    "Es gibt hier zwei sehr gute Schriftsteller, die ich sehr schätze. Das eine ist Ian Rankin, der die Detektivromane geschrieben hat. Der andere ist Alexander McCall Smith, der wunderbare Vignetten des Edinburgher Lebens in '44 Scotland Street' und 'The Espresso Years' veröffentlicht hat. Der schreibt so wunderschön dahin plätschernd. Was aber nicht modern ist, aber viele vielleicht kennen, ist Fontanes 'Jenseits des Tweed'. Damit kann man sich wunderbar in die Materie einlesen, bevor man herkommt."

    Im Salon des Hauses steht eine Kinds hohe Statue des ehemaligen Bewohners und Romanciers: In der rechten Hand hält er einen Stift, früher war es eine Zigarette. Heute regieren hier Kaffee, Tee und bunt geschminkte kleine Damen, die Macfie-Mädchen.

    "Ich glaube, Stevenson selber hätte Spaß daran zu sehen, was wir aus diesem Haus gemacht haben und so viele Schriftsteller und Dichter anzieht. Der würde hier in der Ecke sitzen und gemütlich an seiner Zigarette schmauchen und sagen: Schön ist es !"

    "Magst Du Harry Potter. Wie alt bist du? Auf Wiedersehen in Edinburgh!"
    Büste im Balmoral Hotel in Edinburgh, die Schriftstellerin J.K Rowling signiert hat.
    Büste im Balmoral Hotel in Edinburgh, die Schriftstellerin J.K Rowling signiert hat. (Sven Ahnert)
    Hinweis im Balmoral Hotel in Edinburgh. Hier hat Autorin J.K. Rowling den letzten Teil ihrer Harry-Potter-Saga geschrieben.
    Hinweis im Balmoral Hotel in Edinburgh. Hier hat Autorin J.K. Rowling den letzten Teil ihrer Harry-Potter-Saga geschrieben. (Sven Ahnert)
    Diese kleine Insel mitten im Teich soll den jungen Schriftsteller Robert Louis zu seiner 'Schatzinsel' inspiriert haben. (NUR SONNTAGSSPAZIERGANG)
    Diese kleine Insel mitten im Teich soll den jungen Schriftsteller Robert Louis zu seiner 'Schatzinsel' inspiriert haben. (Sven Ahnert)