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Situation in der SPD
"Persönliche Animositäten sollten zurückstehen"

Die SPD-Parteispitze habe Entscheidungen getroffen, von denen sie hätte wissen müssen, dass sie Ärger auslösen - sowohl im Hinblick auf die Verteilung der Positionen, als auch im Umgang mit Sigmar Gabriel, sagte Gesine Schwan, SPD, im Dlf. Sie vermisse derzeit eine Unterwerfung unter gemeinsame Ziele.

Gesine Schwan im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Die ehemalige Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Dr. Gesine Schwan.
    Gesine Schwan: Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission (imago / Christian Grube)
    Vor einer guten Stunde haben wir dazu Gesine Schwan erreicht, die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission. Und als Erstes habe ich sie gefragt, wie sie den Aggregatzustand ihrer Partei beschreiben würde.
    Gesine Schwan: Die Partei ist lebendig und hat eine Menge schon geleistet. Der letzte Parteitag war beachtlich, was die Diskussionen angeht. Und die Parteiführung hat zurzeit zum Teil Schwierigkeiten, auch persönliche Probleme klarzulegen.
    Schulz: Die Parteiführung, sagen Sie, meinen da jetzt konkret wen?
    Schwan: Die, die dort, denke ich, jetzt entscheiden. Ich meine nicht den gesamten Vorstand, aber die entscheidenden Personen, das denke ich - Frau Nahles, Herr Scholz, auch im Verhältnis zu Sigmar Gabriel, da gibt es einiges, was offenbar sehr schwierig ist. Denn ich denke, diese ganze Aufregung wäre nicht entstanden, wenn man nicht bei der Rochade auch Sigmar Gabriel aus dem Außenamt entfernt hätte. Dann wäre glaube ich nicht so viel Ärger aufgetreten. Denn, dass Martin Schulz das Amt des Parteivorsitzenden aufgeben sollte, das lag etwas in der Luft.
    Schulz: Ja, Frau Schwan, ich denke jetzt gerade noch so ein bisschen auf dem Attribut rum, das Sie der Partei gerade gegeben haben: lebendig. Also ich habe da nichts von chaotisch jetzt gerade bei Ihnen gehört, und auch, was ja jetzt viel gesagt wird, dass die Partei, wie sie sich präsentiert hat jetzt in der vergangenen Woche, dass das sicherlich auf viele Bürger auch eine deutlich abschreckende Wirkung hat, das sehen Sie so gar nicht?
    Schwan: Na ja, noch mal: Man muss unterscheiden. Ich finde, dass zum Beispiel die Partei, die verschiedenen Parteimitglieder sich auf dem Parteitag überhaupt nicht chaotisch verhalten haben. Und dass sie jetzt reagiert haben darauf, wie diese Entscheidung ganz oben getroffen worden ist, finde ich auch nicht chaotisch. Ich finde, dass die Parteispitze eine Entscheidung getroffen hat und ein Verfahren gewählt hat, von dem sie hätte wissen müssen, dass das Ärger auslöst - sowohl die Verteilung der Positionen, als ob es sich jetzt da nur um die Kabinettsliste handelte, und eine Person auszubooten, die intern sicher sehr viel Ärger ausgelöst hat, das will ich gar nicht bestreiten, die aber nach außen im Grunde jetzt eine wichtige Repräsentantin ist, also Repräsentant der SPD ist, der auch parteiübergreifend viel Anerkennung auch für die SPD einholt, und dann ihn sozusagen einfach abzuservieren. Da musste man wissen, dass das Ärger auslösen würde. Und genauso, so holterdiepolter ganz schnell mal oben entscheiden, ohne zu sondieren, wie das auch mit den großen Parteieinheiten Nordrhein-Westfalen und so weiter, das kommt mir nicht sehr durchdacht vor.
    "Wehner und Brandt und Schmidt, die drei konnten sich nicht ausstehen"
    Schulz: Ja, Frau Schwan, Sie sprechen da ja jetzt von dieser Person, Sie meinen Sigmar Gabriel.
    Schwan: Ja.
    Schulz: Wenn wir die Bilanz ziehen der vergangenen Woche, hat er sich nicht vor allem selbst ausgebootet mit seinem persönlichen Angriff da auf Martin Schulz, indem er noch seine fünfjährige Tochter vorgeschoben und instrumentalisiert hat?
    Schwan: Ich fand dieses Interview völlig deplatziert und fand auch, dass es sehr schlecht war, aber da war er ja schon ausgebootet, das war ja eine Reaktion. Und das hätte er nicht gemacht, ohne dass er da so ausgebootet worden wäre, da muss man schon Ursache und Folge sehen. Aber es war ein schlechtes Interview, das ist richtig.
    Schulz: Dass sich jetzt in der SPD-Spitze keine Andrea Nahles, kein Olaf Scholz für Sigmar Gabriel eingesetzt hat, nachdem das ja auch Charaktere sind, die jahrelang unter Gabriel gelitten haben, überrascht Sie das?
    Schwan: Das überrascht mich nicht, aber ich glaube, wenn wir zurückdenken an die Zeit zwischen Wehner und Brandt und Schmidt, die drei konnten sich nicht ausstehen. Und trotzdem haben sie das Ganze in einer Haltung betrieben, weil sie, denke ich, auch ein gemeinsames Ziel hatten. Ich sage jetzt nicht, weil ich unbedingt immer ein Gabriel-Fan bin, aber man kann eine solche Entscheidung, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, glaube ich nicht treffen. Ich glaube, das Chaos ist nicht ausgelöst durch die Partei, das würde ich nicht sagen.
    Schulz: Sie vermissen da Professionalität?
    Schwan: Ja, ich vermisse eine Professionalität oder auch eine Unterwerfung unter gemeinsame Ziele, wo dann die persönlichen Animositäten mal zurückstehen sollten.
    "Eine Entscheidung getroffen, ohne sich die Konsequenzen klarzumachen"
    Schulz: Aber woran liegt denn das, dass die SPD, dass den Sozialdemokraten das ja schon seit fast Jahrzehnten nicht mehr gelingt, professionelle Spitzenleute zu rekrutieren?
    Schwan: Es liegt wohl auch daran, dass eine solche Professionalität zum Beispiel in der CDU nicht gebraucht wird, weil die ja nicht eine solche innerlich lebendige diskutierende Partei ist. Und die SPD hat über Jahre lang - da hat der Kevin Kühnert schon durchaus recht - nicht genügend thematisiert, wozu sie eigentlich da ist. Sie hat gemerkt, sie hat zu viele Defizite, auch in der Theorie, in der Wirtschaftspolitik ist sie sich nicht einig, die einen wollen unbedingt Austerität und Neoliberalismus abschaffen, die anderen wollen ihn im Grunde weiter praktizieren, haben ihn jedenfalls praktiziert, da gibt es sehr viel Unklarheit bei den praktizierenden Leuten. Und das muss geklärt werden, das zähle ich auch zu den Erneuerungen. Aber wenn man nicht, sagen wir mal, ein gemeinsames Ideal hat und ein Ziel hat, nicht mal das dann eines gemeinsamen Machterwerbs, dann werden eben solche Animositäten immer stärker.
    Schulz: Aber warum schafft die Partei das nicht gerade als Stärke in die Öffentlichkeit zu tragen, so wie es ja Kevin Kühnert auch macht, diese Diskussionskultur, Sie haben es ja auch gerade als Lebendigkeit bezeichnet? Warum driftet das dann immer in dieses Verzagte und jetzt in der letzten Woche ja wirklich auch Zerstörerische ab?
    Schwan: Aber ich möchte noch mal sagen, Kevin Kühnert, sagen Sie, der schafft es. Er ist doch auch Teil der Partei. Die Jungsozialisten, das beruhigt mich sehr, dass die Jungsozialisten wieder … Ich bin nicht ihrer Meinung, ich werde nicht dagegen, gegen den Kompromiss stimmen, aber dass er so vehement und argumentativ vorgeht und dass er auch diese Argumentation auslöst, das alles ist ja auch Teil der Partei. Ich möchte einfach noch mal den Unterschied machen. Aber es ist wahr und es gibt dann unterhalb der ganz obersten Linie zum Beispiel jemanden wie Matthias Miersch, der vorzüglich argumentiert, und er ist nicht bisher so im Rampenlicht. Wenn man von Partei spricht, dann spricht man gegenwärtig bei der SPD nur von den obersten fünf Vorsitzenden sozusagen oder sechs. Aber schon auch Malu Dreyer ist ja eine ganz andere, auch Manuela Schwesig. Also es ist da im Moment eine … Allerdings haben die alle offenbar diese Entscheidung getroffen, ohne sich die Konsequenzen klarzumachen. Aber ich möchte noch mal sagen, alle die, die Sie jetzt auch positiv nennen, gehören ja auch mit zur Partei. Ich glaube, es ist erforderlich - und das muss man auch mehr und mehr tun -, mehr Personen aus dieser etwas tieferen Ebene, wenn man das hierarchisch ausdrücken will, mit nach oben zu bringen - ich nenne jetzt zum Beispiel jemanden wie Matthias Miersch, er ist ein Mann, aber trotzdem, das muss man nun auch als Mann können, dass man da in die obere Etage aufsteigt -, die einen anderen Eindruck erwecken.
    "Ich bin prinzipiell durchaus für Andrea Nahles als Parteivorsitzende"
    Schulz: Ja, die SPD-Basis kann sich im Moment ja nicht über Bedeutungslosigkeit beklagen, immerhin werden es ja die SPD-Mitglieder sein, die darüber entscheiden, ob die nächste Koalition zustande kommt. Fassen Sie uns das noch mal zusammen, was heißen denn diese Querelen aus der letzten Woche, dieses Erscheinungsbild der SPD, was heißen die denn nun eigentlich für diesen wichtigen Mitgliederentscheid?
    Schwan: Also ich glaube, dass der Rücktritt von Martin Schulz von seiner Absicht, Außenminister zu werden, das Ja befördern wird. Da bin ich ziemlich sicher. Und dass sich aber viele Parteimitglieder - und ich gehöre dazu - sehr unglücklich fühlen darüber, was da aufgeführt worden ist. Und dass die Basis mehr zu sagen hat, das ist schon richtig. Mir ging es jetzt um die Frage, wer das Erscheinungsbild der SPD prägt, und das prägt eben nicht die sehr lebendige und disziplinierte Diskussion auf dem letzten Parteitag, obwohl sie von Phoenix übertragen worden ist, sondern das, was man da an Personalquerelen hört. Und das ist bedauerlich, das ist auch für Parteimitglieder sehr bedauerlich und drückend.
    Schulz: Und deswegen würden Sie sich freuen, wenn morgen Andrea Nahles als kommissarische Parteivorsitzende ausgerufen würde?
    Schwan: Das ist nicht der einzige Weg, es zu machen. Ich bin prinzipiell durchaus für Andrea Nahles als Parteivorsitzende, das ist nicht mein Punkt. Aber ob dieses Verfahren, es zu machen, das richtige ist, das weiß ich auch nicht. Man hat ja dann das Urwahlverfahren, das Mitgliedervotumsverfahren auch thematisiert. Wenn man das jetzt einfach wegdrückt und meint, man kann jetzt den Schaden, der entstanden ist, durch dieses ganz schnelle Entscheiden wegbekommen, mag ja sein, ich bin da im Zweifel.
    Schulz: Was macht Sie da so zweiflerisch? Das letzte Mal, dass es eine Urwahl über einen Kandidaten hat, war das Rudolf Scharping, plus dass wir ja auch das Argument haben, dass der Parteitag ja entscheidet. Dieses Argument wird ja immer gesagt, das sei jetzt so undemokratisch. Was ist denn daran überhaupt ausgekungelt, wenn der Parteitag entscheidet, wo ja jeder, der möchte, auch gegenkandidieren kann?
    Schwan: Na ja, aber das ist natürlich eine sehr theoretische Sache, wenn nach all den Schwierigkeiten Andrea Nahles nominiert ist sozusagen. Und noch mal, ich bin überhaupt nicht in der Sache dagegen! Aber wenn sie so jetzt nominiert ist und als Einzige und schon kommissarisch eingesetzt wird, dann ist es eine sehr theoretische Idee, dass eine Alternative auf den Tisch kommt, das ist dann nicht mehr der Fall. Aber okay, ich glaube, man muss das jetzt heilen, und ich kann mir auch vorstellen, dass jetzt ein Ende mit Schrecken, dass man das schnell erledigt, das Beste ist. Aber es ist auch ein Problem, und man soll sich nicht vertun damit, dass das Verfahren bei Andrea Nahles glaube ich verärgert hat, nicht die Person.
    Schulz: Vielen Dank heute Morgen an Gesine Schwan für diese Meinung und Einschätzung, danke!
    Schwan: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.