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Sitz für zwei Jahre
Bundesregierung hofft auf Reform des UN-Sicherheitsrats

Zum Jahresanfang nimmt Deutschland Platz am runden Tisch des UN-Sicherheitsrats. Die zwei Jahre als nicht-ständiges Mitglied und vor allem den rotierenden Vorsitz will die Bundesregierung als Impulsgeberin nutzen. UN-Botschafter Christoph Heusgen dämpft die Erwartungen an mehr militärisches Engagement.

Von Kai Clement |
    Christoph Heusgen ist seit 2017 Deutschlands Botschafter bei den Vereinten Nationen
    Christoph Heusgen ist seit 2017 Deutschlands Botschafter bei den Vereinten Nationen (picture alliance / Photoshot)
    Deutschlands Außenministerium hat alles gegeben. Es hat das Musikkorps der deutschen Luftwaffe auf dem Rasen vor dem UN-Hochhaus aufspielen lassen. Lothar Matthäus hat dort zusammen mit UN-Botschaftern Fußball gespielt. Heiko Maas ist von März an gleich viermal zu Besuch bei den Vereinten Nationen gewesen. All das - mal sachorientiert, mal öffentlichkeitswirksam - Werben für Deutschland, Werben für einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Das Ergebnis, so befindet der Außenminister dann im Juni unmittelbar nach der Wahl, könne sich sehen lassen:
    "Mit 184 Stimmen in den Sicherheitsrat gewählt zu werden, ist ein traumhaftes Ergebnis für uns. Daraus spricht viel Vertrauen und wir wollen diesem Vertrauen jetzt gerecht werden."
    Heiko Maas (SPD), Außenminister, steht im Hauptquartier der Vereinten Nationen im Saal der UN-Generalversammlung.
    Bundesaußenminister Maas bei den Vereinten Nationen (dpa)
    Von eigenen Zielen oft weit entfernt
    Ab Jahresanfang muss Deutschland liefern. Dann sitzt es mit an dem Tisch, dessen Rund für Zusammenarbeit steht. Sitzt mit im sogenannten Norwegischen Saal, dessen Wandschmuck Glauben, Hoffnung und Barmherzigkeit symbolisiert. Ziele, von denen der Sicherheitsrat jedoch oft weit entfernt ist: Syrien- und Jemenkrieg, Nahost- und Krimkrise, die Skripal-Vergiftung oder die Chemiewaffen Assads: In keinem der Fälle ist den zerstrittenen Ländern am Rund des Tisches ein nachhaltiger Durchbruch gelungen.
    Und dennoch: Der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen legt zum Gespräch mit der ARD erst einmal das Sakko ab. Aufbruchstimmung. Lang genug gewartet.
    "Ja, wir freuen uns darauf, in der Tat war die Vorbereitung sehr lang."
    2012: Außenminister Westerwelle enthält sich bei Libyen-Einsatz
    Christoph Heusgen ist seit Mitte vergangenen Jahres deutscher UN-Botschafter. Als Deutschland 2011 und 2012 zuletzt und zum bereits fünften Mal im Sicherheitsrat sitzt, ist Heusgen noch außenpolitischer Berater der Kanzlerin. Der Außenminister heißt Westerwelle und sorgt vor allem mit einer Entscheidung für Aufsehen: Er enthält sich bei der Abstimmung für eine Flugverbotszone in Libyen "zum Schutz der Bevölkerung" - ganz so wie Russland und China. Erklärungsnot.
    "Es gibt Teile in dieser Resolution, die wir nachhaltig unterstützen. Wir unterstützen die erhebliche Verschärfung der Sanktionen gegen das Regime von Oberst Gaddafi. Wir sind aber in Abwägung auch der Risiken zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns mit deutschen Soldaten an einem Krieg, an einem militärischen Einsatz in Libyen nicht beteiligen werden, und deshalb hat sich Deutschland auch bei der Abstimmung enthalten."
    Guido Westerwelle
    Als Bundesaußenminister enthielt sich Guido Westerwelle 2012 bei der Abstimmung über eine Flugverbotszone in Libyen (Julien Warnand, dpa picture alliance)
    "Nein" zu mehr deutschen Blauhelmen
    Nur der Sicherheitsrat kann rechtlich bindende Resolutionen erlassen. Kann Blauhelme entsenden und Truppenkontingente beschließen. Mit dem Vertrauen in Deutschland steigen auch die Erwartungen. Etwa auf mehr militärisches Engagement. Deutschlands UN-Botschafter Christoph Heusgen sagt dazu, man sei vor allem in Mali bereits so engagiert wie nie zuvor. Es ist sein - wenn auch diplomatisches - Nein zu mehr deutschen Blauhelmen.
    "Die Rolle Deutschlands hier im Sicherheitsrat oder bei den Vereinten Nationen beschränkt sich nicht nur auf Blauhelme. Deutschland ist der zweitgrößte Zahler für das gesamte VN-System, dazu gehört die Finanzierung der Blauhelme, dazu gehört aber auch die Finanzierung von humanitären Organisationen, von Unicef, vom WFP und so weiter."
    Tatsache ist: Deutschland stellt nach jüngsten UN-Zahlen nur 589 Einsatzkräfte. Bitterarme Länder wie Burkina Faso dagegen über 2.100. Es ist das alte Lied und Leid der Vereinten Nationen: Arme Länder sind eher bereit, Soldaten zu schicken, die reichen geben lieber Geld. So sind die USA gerade einmal mit 51 Blauhelmen gelistet.
    Ein deutscher Vertreter der UN-Mission MINUSMA und malische Polizei in der Stadt Gao
    Ein deutscher Vertreter der UN-Mission MINUSMA und malische Polizei in der Stadt Gao eine Woche nach einem vermutlich islamistischen (SOULEYMANE AG ANARA / AFP)
    Deutschland will Impulsgeber sein
    Deutschland will die zwei Jahre im Sicherheitsrat und vor allem den rotierenden Vorsitz, das erste Mal im kommenden April, vor allem als Impulsgeber nutzen.
    "Erstens, ganz allgemein, wir wollen versuchen, dass der Sicherheitsrat sich mehr mit Konfliktverhütung, mit ‚Conflict Prevention‘ beschäftigt. Dann wollen wir gerade auch aufgrund dieser schrecklichen Ereignisse in Myanmar, aber auch bei anderen Konflikten im April das Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen auf die Tagesordnung bringen. Und das andere Thema ist das Thema Klima und Sicherheit."
    Hunderte US-Wissenschaftler schreiben einen Bericht zum Klimawandel - gesehen, teils gelesen, schon ok, so befindet Präsident Trump danach. Eine auch wirtschaftliche Bedrohung durch den Klimawandel sehe er allerdings nicht.
    Dieses "neue Amerika" ist für Deutschland eine Herausforderung, auch im Sicherheitsrat. Dort sitzen die USA als eine von fünf Vetomächten dauerhaft am Tisch - sagen sie nein, geht es keinen Schritt weiter. Das wird den deutschen Spielraum zu Themen wie Klimawandel erheblich einschränken. Als nicht-ständiges Mitglied hat Deutschland selbst kein Vetorecht. Außenminister Heiko Maas warnt vor dessen übermäßigem Gebrauch:
    "Letztlich geht es aber auch um die Zukunft multilateraler Organisationen wie den Vereinten Nationen. Wenn sie dauerhaft handlungsunfähig gemacht werden, in welchem Gremium auch immer, dann wird eine solche Organisation nicht funktionieren. Und das muss man wirklich verhindern. Denn ich glaube, bei all den Krisen und Konflikten auf der Welt brauchen wir eine Organisation wie die Vereinten Nationen mehr denn je."
    Der Appell nach dem Miteinander der Staaten greift beim US-Präsidenten allerdings nicht. Er steht für: Mittelkürzungen für Blauhelmmissionen, Unesco-Austritt, Abschied vom Pariser Klimaabkommen, Nein zum UN-Migrationspakt, Nein zum UN-Flüchtlingspakt.
    US-Präsident Trump vor der UNO-Vollversammlung in New York.
    US-Präsident Donald Trump vor der UNO-Vollversammlung in New York (AFP / Timothy A. Clary)
    "Nicht-ständige Mitglieder können viel bewirken"
    Simon Adams ist UN-Experte und leitet das sogenannte Global Centre for the Responsibility to Protect, angesiedelt an der CUNY-Universität. Auch wenn der Sicherheitsrat das Machtverhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg zementiert habe, sieht auch Adams die Stärken der eher schwächeren Mitglieder auf Zeit im Sicherheitsrat:
    "Nicht-ständige Mitglieder können viel bewirken. Denken Sie an den Völkermord in Ruanda von 1994. Da war ein gewähltes Mitglied, Neuseeland nämlich, ein winziges Land im Südpazifik, das zufällig gerade den Vorsitz im Sicherheitsrat innehatte. Und es war Neuseeland, das die Alarmglocken geläutet hat, das die ständigen Mitglieder zum Handeln gedrängt hat."
    Eine Reform des Sicherheitsrates könnte es sein, das Vetorecht wenigstens bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit auszusetzen. Für einen neuen, einen anderen Sicherheitsrat bräuchte es aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der UN-Generalversammlung und dann müsste noch der Sicherheitsrat selbst zustimmen. Wer das Vetorecht angehen will, der kann das nur mit Zustimmung der Veto-Länder. Das macht Reformversuche mühsam, räumt der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen ein:
    "Das ist ein Thema, das auf der Tagesordnung steht. Aber die Fortschritte kann man nun in Millimetern bemessen."
    Engere Zusammenarbeit der Europäer
    Die Bundeskanzlerin setzt eher auf eine informelle Reform: eine engere Zusammenarbeit der Europäer. Gemeinsam stärker sein. "Vielleicht sogar mit einer Stimme sprechen, damit Europa hier sein Gewicht zum Tragen bringt."
    Etwa mit einer Art Tandemvorsitz von Frankreich gefolgt von Deutschland mit einem gemeinsamen Programm. Und mit gemeinsamen Auftritten der Europäer. Deutschland Schulter an Schulter mit Belgien, Polen und den ständigen Mitgliedern Frankreich und dem Noch-EU-Land Großbritannien. Die Zerstrittenheit der Europäer etwa beim UN-Migrationspakt hat allerdings die Grenzen dieser Idee gezeigt.
    Ruf nach mehr deutscher Verantwortung
    Detlef Dzembritzki leitet die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen - eine Art Lobby-Verein für enge internationale Zusammenarbeit. Mehr deutsche Verantwortung - ja bitte, sagt Dzembritzki. Es gebe genug Spielräume - auch jenseits von Blauhelmen:
    "Wir dürfen uns nicht wegducken vor den Problemen, das ist der entscheidende Punkt. Ein Beispiel: Wir diskutieren - zu Recht - häufig die Frage, muss eigentlich Militär überall die Lösung sein. Militär kann immer nur Zeit verschaffen, gerade im Bereich der Sicherheitspolitik. Die andere Seite der Medaille ist der zivile Aufbau. Und da ist zum Beispiel die Frage: Einsatz von Polizisten. Die Vereinten Nationen haben circa 10.000, 11.000 Polizisten unter UN-Mandat. Ich glaube die Bundesrepublik stellt 30 davon."