Jule Reimer: Der Grünen-Politiker und ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin heute morgen im Deutschlandfunk zu den neuesten Entwicklungen im Diesel-Abgasskandal: "Und die nächste Frage, die sich natürlich stellt: Was tut eigentlich der Staat in Deutschland dazu? Wir haben ja gerade erlebt, dass in den USA die Rechte der Verbraucher und übrigens die Umwelt besser, effizienter geschützt werden als in Deutschland. In Deutschland haben wir eine Kommission eingesetzt durch Herrn Dobrindt, von der man lange nicht wusste, wer da drinsitzt und nun feststellt, die gibt es zwar, aber was die rausbekommen haben, das ist bis heute der Öffentlichkeit vorenthalten worden."
Bundesverkehrsminister Dobrindt hat vorhin bekannt gegeben, dass er die brisanten Messergebnisse des Kraftfahrtbundesamtes, die vermutlich auch Tricksereien anderer deutscher Automobilkonzerne zutage gefördert haben, heute Nachmittag endlich veröffentlichen wird. Wir halten Sie in den nachfolgenden Sendungen natürlich auf dem Laufenden.
In Hannover wird morgen gegen das Freihandelsabkommen TTIP demonstriert. Auch die Grünen gehören zu den Gegnern. Ska Keller ist Mitglied im Handelsausschuss des Europäischen Parlaments und Vizevorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament.
Frau Keller, ich erreiche Sie in Istanbul. Sie beobachten dort den Prozess gegen kritische Wissenschaftler, die ein Ende der Militäraktion im Südosten der Türkei und eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses gefordert haben. Jetzt gibt es da einen ehemaligen Grünen-Umweltminister; der gibt zu, dass Verbraucher und Umwelt in den USA besser geschützt werden als hier. Mal ehrlich: Zeichnen Sie bei TTIP nicht ein bisschen zu sehr schwarz-weiß, gerade beim Umweltschutz?
"Es geht nicht darum, EU gegen USA auszuspielen"
Ska Keller: Das denke ich nicht, denn wir haben ja nie gesagt, dass es darum geht, EU gegen USA auszuspielen. In der Tat ist es in einigen Bereichen so, dass die USA bessere Standards haben als die EU, und dann gibt es anderswo Sachen, wo die EU bessere Standards haben als die USA, zum Beispiel bei der Frage, welche Pestizide darf ich einsetzen.
Aber in der Tat gibt es Bereiche wie auch in Finanzdienstleistungen, wo die USA zum Beispiel mehr aus der Finanzkrise gelernt haben als wir leider, aber darum geht es nicht. Die Frage ist bei TTIP nämlich nicht so sehr die, wer hat die höheren Standards und passen wir uns vielleicht daran an, sondern es wird nach unten gehen. Es wird also sowohl für die USA als auch für die Europäer nach unten gehen, und das ist das Problem, dass es bei diesem Handelsabkommen darum geht, die Standards nach unten anzugleichen.
Reimer: Aber das ist jetzt einfach eine Behauptung von Ihnen. Das muss ja gar nicht rauskommen und der Diskussionsprozess der letzten zwei Jahre hat ja gezeigt, dass es wirklich auch Verbesserungen gab.
"Die Standards müssen runter"
Keller: Was wir wissen - in der Tat gibt es das Abkommen noch nicht und wir haben als Abgeordnete Zugang zu einigen Verhandlungstexten, aber darüber darf ich ja leider nicht öffentlich berichten; deswegen kann ich Ihnen daraus nichts Interessantes erzählen -, aber die Diskussion zeigt ganz klar: Immer wenn es hohe Standards gibt, dann soll es nach unten gehen.
Zum Beispiel der Bereich Finanzdienstleistung, der ja sehr wichtig ist und wo in den USA tatsächlich höhere Standards sind, da hat die Kommission vorgeschlagen, dass man diese Standards absenken soll. Es soll also von den USA-Standards abgesenkt werden.
Im Bereich der Pestizide ist es so, dass die USA mit ihren Produkten bei uns auf den Markt wollen. Das heißt, die Standards müssen runter. Es zeigt sich ganz, ganz klar die Richtung, in die es geht. Wie es genau dann ausgestaltet wird, das muss man in der Tat gucken, aber die Richtung, die ist glasklar.
Reimer: Moment! Chemiepolitik zum Beispiel ist ausgeklammert, weil da die Unterschiede zu groß sind. Man könnte ja auch sagen, bestimmte Bereiche klammern wir aus.
"Audiovisuelle Medien ... was ist das eigentlich?"
Keller: Bisher ist nichts wirklich ausgeklammert. Es heißt, dass audiovisuelle Medien ausgeklammert sind. Da stellt sich aber noch die Frage, was ist das eigentlich. Das ist ziemlich unterschiedlich definiert in den USA und in der Europäischen Union.
Und vieles, was jetzt auch nicht vielleicht im Abkommen selbst drinstehen wird, denn wie gesagt, das gibt es ja auch noch nicht, das könnte durch die sogenannte regulatorische Kooperation auch noch hinten herum geregelt werden, nachdem das Abkommen bereits unterzeichnet ist. Das wissen wir dann noch gar nicht, was wir da genau unterschreiben, weil hinterher noch einiges dazukommen wird.
Reimer: Noch eine Frage zum Schluss. Rechte bis rechtsextreme Parteien propagieren ebenfalls die Gegnerschaft zu TTIP. Da werden auch vermutlich bei der Demonstration einige dabei sein. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft schreibt heute: Die TTIP-Verhandlungen finden in einem demokratisch legitimierten und transparenten Rahmen statt.
Wer dies immer wieder in Zweifel zieht und Angst vor amerikanischen Produkten schürt, leistet den gleichen Kräften Vorschub, die an anderer Stelle von Volksverrätern und Überfremdung reden." Da sind Sie in nicht so angenehmer Gesellschaft mittlerweile. Tatsächlich: Gibt Ihnen das nicht zu denken?
"Wir sind für fairen Handel"
Keller: Wir propagieren keine Gegnerschaft gegen die USA. Im Gegenteil! Die Gesellschaft, in der wir uns befinden, sind, dass wir gemeinsam mit US-NGOs, US-Think Tanks, Gewerkschaften, Abgeordneten gegen TTIP kämpfen, denn wir denken, dass es für beide Seiten des Atlantiks kein guter Deal ist.
Wir sind nicht gegen Handel, wir sind für fairen Handel, und TTIP ist nicht fair, nicht für die Bürgerinnen und Bürger hier, nicht für die Bürgerinnen und Bürger in den USA, nicht für die Umwelt und erst recht nicht für den Verbraucherschutz.
Reimer: Die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller zu den TTIP-Demonstrationen morgen in Hannover. Danke nach Istanbul und die Tonqualität bitten wir aufgrund der Handy-Verbindung zu entschuldigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.