Der französische Hersteller Poly Implant Prothèse (PIP) hatte seine Brustimplantate statt mit Spezialsilikon mit billigerem Industriesilikon befüllt. Weltweit ließen sich zehntausende Frauen die Implantate einsetzen. Französische Behörden stoppten 2010 den Vertrieb der Implantate, nachdem es immer mehr Berichte über geplatzte oder undichte Silikonkissen gegeben hatte.
Anfang 2012 hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte betroffenen Frauen in Deutschland empfohlen, die Implantate entfernen zu lassen. Bei fast jeder zweiten Frau, die diesem Aufruf folgte, hatte laut Behörde zumindest ein Silikonkissen Risse - oder das Implantat schwitzte Silikon in den Körper aus.
EuGH-Generalanwältin: Auch Prüfstellen könnten haften
Zwar ist vor allem der Hersteller für die Produktsicherheit zuständig, Prüstellen sind nach Ansicht von EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston aber nicht ausgenommen. In Deutschland hatte der TÜV Rheinland die Implantate aus Frankreich zertifiziert. Nach Ansicht der Generalanwältin darf sich die Prüfstelle zunächst darauf verlassen, dass sich das Unternehmen auch an die Vorgaben der Qualitätssicherung hält. Der TÜV Rheinland war also nicht von vornherein dazu verpflichtet, zum Beispiel Geschäftsunterlagen zu sichten, die Produkte zu prüfen oder unangemeldete Kontrollen vor Ort durchzuführen.
Sobald der TÜV aber von möglichen Mängeln erfährt, sei er ab diesem Moment auch dazu verpflichtet, zu klären, ob seine Zertifizierung weiter gelten kann. Die Haftung hängt demnach vor allem davon ab, ob der TÜV Rheinland wußte, dass die Implantate fehlerhaft sein könnten und wie er dann darauf reagierte - also beispielsweise, ob er seine Zertifizierung ohne neue Produktprüfung aufrechterhielt.
Der TÜV Rheinland teilte auf Anfrage mit, er habe nach Bekanntwerden des Skandlas Ende März 2010 die Zertifikate für den Hersteller PIP ausgesetzt.
Bisher kein Schadenersatz
Die Klägerin aus Deutschland hatte sich die Silikonbrustimplantate im Jahr 2008 einsetzen und 2012 auf Anraten ihres Arztes wieder entfernen lassen. Vom TÜV Rheinland fordert sie 40.000 Euro Schmerzensgeld, weil dieser ihrer Meinung nach das französische Unternehmen nicht ausreichend überwacht hat. Den Hersteller PIP selbst kann sie nicht verklagen - die Firma ist längst bankrott und war sowieso nur gegen Schadensfälle in Frankreich versichert. Insgesamt sind in Deutschland nach Schätzungen etwa 6.000 Frauen betroffen. Bisher bekamen sie keinen Schadenersatz. Auch Klagen gegen Ärzte blieben ohne Erfolg.
Der TÜV Rheinland selbst sieht sich in dem Skandal wie die Frauen als Opfer. Das Kölner Unternehmen hatte ab 1997 im Auftrag von PIP die Produktion der Implantate zertifiziert. Dabei wurden Unterlagen und Qualitätssicherung geprüft, nicht aber die Implantate selbst. Der TÜV hatte dazu bereits mitgeteilt, bei den regelmäßigen (angekündigten) Kontrollen seien stets das korrekte Silikon und die korrekten Dokumente präsentiert worden.
Grundsätzliche Bedeutung
Der EuGH soll in dem Verfahren auf Antrag des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe klären, welche Pflichten bei der Kontrolle von Medizinprodukten bestehen. In den meisten Fällen folgen die Richter dem Rat ihres Gutachters. Sie entscheiden hier aber nicht im eigentlichen Fall, das muss der BGH tun.
In diesem Fall dürfte das in einigen Monaten erwartete Urteil auch von grundsätzlicher Bedeutung sein. Nach Ansicht der Gutachterin sollen Stellen, die - wie der TÜV Rheinland - das Qualitätssicherungssystem von Medizinproduktherstellern überwachen, für die Verletzung von Prüfpflichten gegenüber geschädigten Patienten grundsätzlich haften.
Unklar bleibt, wieviele Frauen auf Schmerzensgeld vom TÜV Rheinland hoffen dürfen. Sharpston schlug wegen der womöglich "schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen" ihrer Anträge vor, dass der Gerichtshof "die zeitliche Wirkung seiner Entscheidung" begrenzt. Möglich ist, dass die Entscheidung vor allem für zukünftige Fälle gelten soll - und die Prüfstellen nicht rückwirkend in die Pflicht genommen werden.