In schwarzem T-Shirt, grauen Jeans und Turnschuhen steht Harvey Weinstein vor dem Haus seiner Tochter in Los Angeles und lässt sich kurz von den anwesenden Paparazzi fotografieren. Gehts Dir gut, fragt einer - nein, mir gehts nicht gut, antwortet der 65-Jährige, ich brauche Hilfe.
Danach macht sich Weinstein auf dem Weg zum Flughafen und fliegt im Privatjet nach Arizona, wo er sich in Behandlung begeben will, heißt es.
Hat es schon einmal einen so rapiden und schnellen Abstieg eines Mächtigen gegeben - fragt die "Los Angeles Times". Das "Time Magazin" hat ein Schwarz-Weiß-Bild von seinem Gesicht auf dem Titelblatt, daneben drei Worte: "producer, predator, pariah" - was so viel bedeutet wie "Produzent, Sexualverbrecher, Geächteter".
New Yorker und Londoner Polizei ermitteln
Innerhalb weniger Tage ist aus einem der mächtigsten Männer Hollywoods ein Außenseiter geworden. Unzählige Frauen haben von Begegnungen mit ihm berichtet, in denen er ihnen zu nahe kam, sie sexuell belästigte, auch von Vergewaltigung ist die Rede. Inzwischen hat die New Yorker Polizei bekannt gegeben, eine eigentlich bereits abgeschlossene Ermittlung gegen Weinstein aus dem Jahr 2004 erneut aufrollen zu wollen. Britische Medien berichten, dass auch die Londoner Polizei Ermittlungen erwäge.
Eine immer wieder gestellte Frage in dieser Woche: Wenn es so viele Betroffene gibt - warum melden sie sich jetzt erst zu Wort? Jodi Kantor ist eine der Reporterinnen der "New York Times", die den Skandal recherchierte und veröffentlichte. Gegenüber slate.com sprach sie zu den Beweggründen der Frauen, die sie für ihren Artikel interviewte:
"Sie hatten das Gefühl, dass sich in der Gesellschaft etwas verändert hat, dass man mit solchen Vorwürfen an die Öffentlichkeit gehen kann, ohne dafür in den Dreck gezogen zu werden. Dazu kommt: Der Weinstein von vor zwei Wochen war weniger mächtig als noch vor ein paar Jahren - viele hatten zwar immer noch Angst vor ihm, aber es gab auch das Gefühl, er habe seinen Zenit überschritten."
System Weinstein habe andere Dimensionen
Wichtig sei ihr vor allem gewesen, dass es neben den Aussagen betroffener Frauen auch anderes belastendes Material gibt - Nachweise über Geld, das möglicherweise geflossen ist oder interne Memos aus der Firma. Klar, sagt Kantor, die sogenannte Besetzungscouch, die gibt es in Hollywood - hier mal ein Produzent, der einen anzüglichen Spruch macht, da ein Vorgesetzter, der eher nicht aus Versehen Brust oder Hintern begrapscht. Aber das System Weinstein, so die Journalistin, habe völlig andere Dimensionen:
"Wir haben nachgewiesen, dass es ihm leicht gemacht wurde. Er hat Frauen in der Regel in Hotelzimmer gelockt unter den Vorzeichen eines Arbeitstreffens. Um ein Drehbuch zu besprechen, oder die Strategie für die Oscar-Kampagne, zum Beispiel. Ihre Agentur hat ihr diesen Termin mitgeteilt - alles ganz offiziell. Und wenn er mit ihnen allein war, hat er sie bedrängt."
Oscar-Akademie berät über Ausschluss
Am Wochenende kommt die Oscar-Akademie zusammen, um zu besprechen, ob Weinstein ausgeschlossen werden soll. Der britische Filmverband BAFTA hat seine Mitgliedschaft wegen der Vorwürfe bereits ausgesetzt.
Das von Weinstein mitbegründete Filmstudio teilte mit, von den Vorfällen nichts gewusst zu haben. Die "New York Times" berichtet dagegen, dass der Vorstand bereits seit 2015 Kenntnis davon gehabt habe, dass Weinstein mehreren Frauen Geld gezahlt hatte, um sich ihr Schweigen zu erkaufen.