Das erste Klischee geht so: Der Ermittler, hier der dänische, ist traumatisiert. "Ja, was haben wir hier?", fragt der Kommissar am Tatort. Fragen wir zurück: "Was hat der Kommissar?"
"Was ist mit dir, Carl?"
"Wieso?"
"Weil ich dich noch nie lächeln gesehen habe."
"Meine Frau hat einen anderen, mein Partner ist tot. Und mein bester Freund gelähmt. Ich habe leider nichts zu lachen."
"Wieso?"
"Weil ich dich noch nie lächeln gesehen habe."
"Meine Frau hat einen anderen, mein Partner ist tot. Und mein bester Freund gelähmt. Ich habe leider nichts zu lachen."
Ein Skandinavien-Krimi-Klischee, eines von Dutzenden.
"Würdest du deinen schwerbehinderten Bruder mitnehmen, wenn du vorhättest, über Bord zu springen?"
Klar, Carl Mørck findet zusammen mit seinem Kollegen Assad in der ersten Jussi-Adler-Olsen-Verfilmung "Erbarmen" heraus, dass die Politikerin nicht Selbstmord begangen hat, sondern fünf Jahre lang bei steigendem Überdruck in einer Druckkammer gefangen gehalten wird. Bis sie zu platzen droht. Spannend! - Spannend! Spannend? Man muss wohl eher sagen, dass "Erbarmen" von 2014 sich an einem Folterbild delektiert. Weil es so schockiert.
Die "Millenium-Trilogie" nach den Bestsellern von Stieg Larsson hat dem Skandinavien-Krimi einen kräftigen Schub verpasst. Aber - egal ob im Kino oder im Fernsehen - bei den Verfilmungen all dieser Geschichten eines Henning Mankell, Jo Nesbö, Arne Dahl, Jens Lapidus, Jan Guillou oder jetzt im dritten Adler-Olsen-Film türmen sich inzwischen vor allem Klischees und bizarre Brutalität. Es gibt sie wohl noch, die grasenden Elche hinter den rot-weißen Holzhäusern, aber gleichzeitig ist die Welt standardmäßig bevölkert zwischen Malmö, Helsinki und Oslo, bevölkert von massakrierten alten Ehepaaren, vergewaltigten Schülerinnen und zynischen Politikern und Wirtschaftsbossen.
Reflex auf die verkommene Moral?
Die Kommissar-Beck-Krimis von Per Wahlöö und Maj Sjöwall wie auch Stieg Larssons Lisbeth-Salander-Thriller verstanden sich als Gesellschaftskritik. Diesen Blickwinkel nimmt der aktuelle Skandinavien-Krimi lange nicht mehr ein.
"Bist du gefoltert worden? Solche Geschichte kennt man eigentlich nur vom Film."
"Nein, Roger, so etwas gibt es in einem Film nicht."
"Nein, Roger, so etwas gibt es in einem Film nicht."
Aber natürlich gibt es das im Film - wie in der Jo-Nesbö-Verfilmung "Headhunters". Aber ist die Gewalt, die in diesen skandinavischen Geschichten explodiert, im Kern nicht doch ein Reflex auf die verkommene Moral und immer brutaler werdende Kriminalität in Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland und Island? Schön wäre es.
"Nichts berührt, nichts geht unter die Haut, nichts entfaltet Wirkung."
Wiglaf Droste hat einmal den Vergleich zwischen Georges Simenons Mordgeschichten und den "Schwedenkrimis", wie er sie nennt, gezogen. Georges Simenon. Dessen Nicht-Maigret-Romane von Claude Chabrol, Bertrand Tavernier oder Patrice Leconte grandios verfilmt worden sind, Simenon, so Wiglaf Droste, habe "Expeditionen in die menschliche Seele" unternommen, bei denen "der Mensch sich und seine Spezies" kennenlernen:
"Nach dem Lesen Simenons weiß man auch, was an den sogenannten Schwedenkrimis so öde ist, an ihrem sozio- und psychopathischen Personal und ihren Blutrünstigkeitsexzessen, mit denen das Publikum gleichermaßen aufgepeitscht und abgestumpft wird. Nichts berührt, nichts geht unter die Haut, nichts entfaltet Wirkung."
Es geht nur um den Schockeffekt
Und die Exzesse brauchen immer extremere Bilder, die jenseits der Motive der Figuren ein Eigenleben führen, sich vollkommen verselbständigt haben.
"Hier, ein Fall für das Sonderdezernat Q. Könnt bestimmt nur ihr lösen."
Beispiel: "Erlösung", die dritte Verfilmung eines Jussi Adler-Olsen-Romans. Der Serienmörder ermordet Kinder aus einer Sekte. Beim Showdown ertränkt er einen Jungen, während seine Schwester und der gefesselte Kommissar - und wir natürlich - dies anschauen müssen. Ewig lange hält die Kamera auf die Hand, die den Jungen unter Wasser drückt. Ein abstoßendes Bild, das absurderweise darin gipfelt, dass der Kommissar den Jungen nach ewiger Zeit aus dem Wasser zieht und - erfolgreich, natürlich - beatmet. Das hat natürlich nichts mehr mit Realität zu tun.
Vielmehr geht es wie im handelsüblichen Hollywood-Thriller nur noch um Schock und Effekt. Exemplarisch zeigt diese Szene, dass - um Wiglaf Droste noch einmal zu zitieren -, dass es im Skandinavien-Krimi nur noch darum geht "aufzupeitschen" und gleichzeitig "abzustumpfen".