Es fängt alles mit einem Push an, sagt Tony Hawk, Übervater des Skateboardens, in einem Werbeclip für die Olympischen Spiele. Der Push: Das ist im Skateboarden die Bewegung, sich mit dem Fuß vom Boden abzustoßen. Eine einfache Bewegung, die aber doch so viel mehr ist.
Von der Subkultur in den Mainstream
Rampen im Hinterhof und gebrochen Knochen: Wenn die Sportart etwas nie wollte, dann Mainstream sein. Skateboarder wollten keine Regeln, keine Trainingszeiten und keine zugewiesenen Sportplätze. Skater hörten Punk und Hip-Hop - Punks und Hip-Hopper fuhren Skateboard. Aus einer Sportart wurde eine Jugendbewegung.
Genau diese rebellische Attitüde kam aber bei vielen gut an. Sehr vielen. Videospiele, Markenklamotten und MTV-Serien machten aus der Sub- eine Mainstreamkultur. Und spätestens jetzt bei Olympia verabschiedet sich die Sportart von dem Außenseiter-Image auch ganz offiziell.
Hochleistung und Wettbewerb statt Freiheit und Kreativität?
Tony Hawk sagt es selbst: Früher haben sich Skateboarder als "Misfits" angesehen, also als unangepasst, als Außenseiter. Diese Selbst- und Fremdwahrnehmung ist im Wandel. Aus den jugendlichen Rebellen von einst sind olympische Hochleistungssportler geworden. Einer der Top-Gold-Favoriten bei den Männern ist der Japaner Yuto Horigome.
"Mein Ziel ist es, jeden Trick perfekt zu landen. Als ich Anfang des letzten Jahres keine Wettbewerbe gewann, war ich am Boden zerstört. Alles was ich dann tun kann, ist zu üben und mich darauf zu fokussieren, jeden Trick perfekt auszuführen", sagt Horigome in einem Werbespot des japanischen Uhrenherstellers Seiko. Das passt gut. Denn Horigomes Skate-Stil ähnelt einem Uhrwerk. Jede Bewegung ist präzise, die Tricks sind perfekt einstudiert, das Timing gelingt auf die Sekunde genau.
Und an genau dieser Form des Hochleistungs-Skateboarding entzündet sich auch viel Kritik. Für Teile der Szene verkümmert Skaten bei Olympia zu einer reinen Choreographie. Zu einer Choreographie für ein fachfremdes Publikum, die nichts mehr mit dem anarchischen und kreativen Ursprung der Skatekultur zu tun hat. "Ich stecke gerade in diesem… moralischen Dilemma, wo ich mir meiner eigenen Ziele bewusst werden muss…"
Leistungsorientierter Wettbewerb oder spielerische Kreativität? Diese Frage stellt auch den Kanadier Andy Anderson vor ein Dilemma. Anderson gilt für viele als einer der originellsten und kreativsten Profi-Skateboarder zurzeit. Im Interview mit der kandadischen CBC hadert er mit seiner Rolle als olympischer Wettbewerber – kommt aber zu dem Schluss: Kreativität ist wichtiger als Medaillen.
"Was ist der Grund warum ich dort teilnehme? Ist es, um Skateboarding zu helfen, um Kreativität durch Skateboarding zu verbreiten? Das ist der Grund, den ich sehe, um teilzunehmen. Oder nehme ich teil, um Erster zu werden und besser als alle anderen zu sein?"
Angst vor Professionalisierung und Kommerz
Jürgen Horrwarth war früher auch mal Profi. Heute ist er Skateboarding-Bundestrainer und betreut das deutsche Zweierteam in Tokyo. Die Vorbehalte der Skateszene gegenüber dem Wettbewerb kann er prinzipiell verstehen.
"Die sind auch relativ schnell laut geworden, als dann das IOC verkündet hat, das Skateboarding dabei sein soll. Das ist auch alles nachvollziehbar, weil Skateboarder natürlich selfmade sind. Also alles, was wir bisher erreicht haben, haben wir aus eigener Kraft geschafft, ohne irgendwelche Fremdeinwirkung von großen Sportartikelherstellern, wie wir sie jetzt im Game haben, sagen wir mal Nike, Adidas und so weiter. Von daher kann ich das natürlich auch nachvollziehen, weil immer so eine gewisse Angst mitschwingt, dass uns was weggenommen wird."
Auch wenn er die Angst der Szene vor mehr Professionalisierung und Kommerz durch Olympia ein Stück weit nachvollziehen kann: Im Endeffekt hält Jürgen Horrwarth sie aber für unbegründet.
"weil dieses ganze DIY-Skaten, Lifestyle-Skaten und alles, was einfach Skateboarding an sich ist - also das Core-Skaten, was auf der Straße passiert, was in selbstgebauten Rampen passiert: Das wird nicht darunter leiden. Das wird sogar eher vielleicht noch gestärkt daraus hervorgehen, weil es einfach jetzt ganz klar zwei Lager gibt."
Koexistenz statt Konflikt
Und die lauten: Skaten als Hochleistungssport. Und Skaten als Lifestyle. Durch Olympia wird ein klar definierter Raum für beide Strömungen geschaffen, meint Horrwarth.
"Skateboarding als Leistungssport wäre dann eben alles zwischen einem lokalen Contest, bei dem du dann aufsteigen kannst bis hin zu höherrangigen Sachen, wie den X-Games. Und dann eben bis zu den Olympischen Spielen, für die du dich qualifizieren kannst. Es ist halt ein Ziel, worauf du hinarbeiten kannst. Das ist jetzt möglich. Und dann hast du im Endeffekt die anderen Lager, die im Core-Bereich stattfinden. Also alles, wo selbstgebaute Rampen im Garten gefahren werden oder Streetskaten, wo man einfach mit seinen Kumpels rausgeht und irgendwelche Spots in der Stadt fährt. Und die werden auch nicht sterben."
Skateboarding bei Olympia muss also in keinem Konflikt zum ursprünglichen Skaten liegen. Eine friedliche Koexistenz ist auch möglich.