Die Hälfte der Menschen in Deutschland will sich gegen das Coronavirus impfen lassen, sobald Impfstoffe zugelassen und verfügbar sind. Gleichzeitig markiert dies einen neuen Tiefstand, denn 40 Prozent wollen erst einmal abwarten, während elf Prozent eine Impfung ganz ablehnen.
Der Psychologe Philipp Schmid von der Universität Erfurt nennt drei Gründe, warum Menschen sich tendenziell eher gegen das Impfen entscheiden: Zweifel an Sicherheit und Effektivität des Impfens, eine fehlende Wahrnehmung für die Gefahr von Krankheiten sowie strukturelle Barrieren. In der Coronakrise hätten die Menschen vor allem Zweifel an der Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffes, so Schmid im Deutschlandfunk.
Philipp Schmid, der über den Umgang mit Impfgegnern in der Öffentlichkeit promoviert hat und eine Anleitung für die Weltgesundheitsorganisation dazu mitverfasst hat, sagt auch, dass Impfskeptiker nicht mit Impfgegner gleichzusetzen seien. Skeptiker aktualisierten ihr Weltbild mit evidenzbasierten Informationen, während Impfgegner sich nur die Informationen suchten, die das eigene Weltbild bestätigten. Gleichzeitig sollte man keinen Druck auf Skeptiker aufbauen. Akzeptierten diese eine Impfung nur aufgrund von Gruppendruck oder Überredung, geschehe dies aus den falschen Gründen.
Das Interview in voller Länge
Stephanie Rohde: Je näher die Impfungen kommen, desto skeptischer sind viele Menschen, wie erklärt man das psychologisch?
Philipp Schmid: Es gibt natürlich verschiedene Gründe, warum man die Tendenz haben kann, gegen das Impfen zu sein, so ganz generell, und egal, welches Modell man sich dabei anschaut, gibt es vor allem drei zentrale Gründe. Der eine Grund ist, dass man Zweifel an der Sicherheit und Effektivität von Impfungen hat, der zweite Grund ist, dass man ein fehlendes Wahrnehmungsgefühl für die Gefahr von Krankheiten hat. Der dritte Grund sind strukturelle Barrieren, dass man zum Beispiel Alltagsstress empfindet und deshalb keine Zeit findet, sich impfen zu lassen, obwohl der Impfstoff als sicher und effektiv wahrgenommen wird. Hier in dieser Zeit, in der COVID-19-Pandemiezeit, ist vor allem der Faktor der Wahrnehmung der Sicherheit und Effektivität zentral, das heißt, die Leute brauchen überzeugende Informationen darüber, dass der Impfstoff auch sicher und effektiv ist und dass er im Gegensatz zur Alternative, zum Nichtimpfen, die bessere Wahl ist. Sobald diese Informationen kommen und auch aufgearbeitet werden, sodass sie jeder verstehen kann, wird meines Erachtens die Impfintention auch steigen.
"Solange Informationslücke nicht gefüllt wird, bleiben Zweifel am Impfen"
Rohde: Darüber können wir gleich noch sprechen, aber lassen Sie uns ganz kurz bei diesem Punkt bleiben. Wieso wird das denn jetzt mehr, jetzt, wo es konkret wird? Vor einiger Zeit hat ja noch eine deutliche Mehrheit gesagt, dass sie fürs Impfen ist, jetzt gibt es mehr Skeptiker. Warum?
Schmid: Es kann natürlich daran liegen, dass die Entscheidung konkreter wird. Also wenn man in die Zukunft berichtet und sagt, wie man sich denn da entscheiden würde, dann neigen Menschen auch dazu, eher Risiken einzugehen als bei ganz konkreten Handlungen, die vor der Haustür stehen, und das kann natürlich diesen Zeitfaktor mit beeinflussen, den wir gerade empfinden. Ich glaube, es liegt aber natürlich auch einfach an einem Mangel an Informationen, den die Leute jetzt empfinden und auch jetzt konkret haben wollen, und solange diese Informationslücke nicht gefüllt wird, bleiben auch weiterhin Zweifel.
"Stärke des Impfens ist die Evidenzlage"
Rohde: Es gibt da ja so eine Zweiteilung, die ja durchaus umstritten ist, von Emotion und Information oder seine Gegenüberstellung, ein Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite sieht man, dass sich Skeptikerinnen und Skeptiker häufig beziehen auf Einzelschicksale, dass sie zum Beispiel gehört haben, dass jemand Nebenwirkungen hatte oder einen Impfschaden hatte. Auf der anderen Seite steht die Aufklärung mit Kampagnen, Impfkampagnen, die sehr abstrakt sind, faktenbasiert, nüchtern, wo eben keine einzelnen emotionalen Geschichten erzählt werden. Ist das Ihrer Meinung nach Teil des Problems, dass die Aufklärung größtenteils über Information passiert und die, sagen wir mal, Skepsis sich größtenteils über Emotion vermittelt?
Schmid: Ich glaube, dass das die zentrale Stärke von evidenzbasierten Maßnahmen ist, dass sie diese Evidenz auch hat im Hintergrund und dass sie Information als Möglichkeit der Aufklärung mit sich bringt. Viele Alternativansätze, die nicht evidenzbasiert sind, haben genau diese Stärke nicht. Darauf müssen wir aufbauen und eben auch den Menschen zeigen, dass das die große Stärke des Impfens ist, dass es eben Evidenzlagen gibt, die aufzeigen, was generell und allgemein gesprochen das Risiko der Krankheit oftmals das Risiko der Impfung übersteigt. Diese Evidenzlage ist tatsächlich etwas, was wir als Wissenschaftler wie eine Fahne vor uns hertragen müssen und auch nicht davon abweichen sollten und nur noch emotionale Geschichten erzählen sollten. Das heißt allerdings nicht, dass man nicht auch Narrative, also einzelne Anekdoten und Geschichten, nutzen sollte, um bestimmte Sachverhalte klarzumachen, denn viele Informationen werden erst verständlich, wenn wir sie in Geschichten einbetten. So kann es zum Beispiel für viele Leute, die das Risiko der Krankheit derzeit nicht wirklich wahrnehmen, entscheidend sein, ihnen einzelne Schicksale von Patienten auch aufzuzeigen, die COVID-19 leiden.
"Man muss Impfen nicht emotionalisieren"
Rohde: Also würden Sie sagen, man muss Impfen emotionalisieren, damit sich mehr Menschen dafür entscheiden?
Schmid: Nein, das ist eine zielgruppenspezifische Fragestellung. Ganz generell, nein, man muss es nicht emotionalisieren, sondern Menschen empfinden allgemein gesprochen ein großes Informationsbedürfnis, was die Impfung angeht, und das muss man stillen mit Informationen, die sachlich dargelegt werden. Wenn man aber findet, dass in bestimmten Gruppierungen auch Zweifel bestehen bezüglich der Gefahr der Krankheit, kann man hier mit Geschichten und Narrativen arbeiten, das zentrale Argument sollte aber immer Information bleiben.
Rohde: Es gibt natürlich aber auch Studien oder Ansätze, wie beispielsweise die "Moral Foundations Theory", die eben zeigen, dass Menschen Urteile intuitiv fällen und dann rückwirkend mit bestimmten rationalen Argumenten absichern. Wenn man das jetzt mal annimmt, müsste man dann nicht doch sagen, dass man das Impfthema emotionaler machen muss?
Schmid: Es ist natürlich die Frage, was Menschen am Ende tun und was sie als Informationsangebot präsentieren wollen. Es geht ja vielmehr darum, die Leute davon zu überzeugen, dass es eine gute Wahl ist, sich impfen zu lassen, als sie zu überreden mit Gefühlen oder sonstigem, sondern die Faktenlage so zu präsentieren, dass eine informierte Entscheidungsfindung möglich ist, wenn das Individuum, der Zuhörer, der Zuschauer das denn machen möchte. Was das Individuum dann am Ende tut, ob es emotional handelt und es sich dann rational erklärt, oder ob es eher rational handelt und es sich emotional ausschmückt, ist die nachgelagerte Frage, die für die Informationsgeber aber zweitrangig ist. Wichtig dort ist, ich muss ein Informationsangebot präsentieren, damit eine informierte Entscheidungsfindung möglich ist.
"Skepsis ist nicht dasselbe wie Impfgegner sein"
Rohde: Lassen Sie uns schauen auf das Verhältnis von denjenigen, die Impfungen befürworten, und die, die skeptisch sind. Wenn jetzt, sagen wir mal, Menschen den Eindruck bekommen, ihre Sorgen rund um die Impfung würden nicht ernst genommen, besteht dann nicht die Gefahr, dass sie sich gegen eine Impfung entscheiden, und zwar aus Trotz?
Schmid: Ich glaube, hier gibt es zwei Dinge, die wichtig und zentral sind. Skepsis ist nicht dasselbe wie Impfgegner sein. Eine Skepsis ist sogar die Grundlage jeder Wissenschaft, also quasi Zweifel an Dingen zu haben, die man beobachtet, und dann mit den Daten, die man aufarbeitet, die eigenen Überzeugungen über die Welt aktualisieren. Das ist eigentlich Skepsis. Impfgegner machen genau das nicht, sie aktualisieren ihr Weltbild nicht, sondern sie suchen sich nur die Information, die das eigene Weltbild bestätigt. Wenn Leute also skeptisch sind gegenüber zum Beispiel einer Impfung, ist das generell erst mal eine gute Sache. Sie hinterfragen die Dinge und sie suchen nach Evidenz, und sie berichten natürlich auch über ihre eigenen Sorgen und Ängste, und die muss man ernst nehmen und auch wahrnehmen. In der Praxis oder im Gespräch mit Experten machen wir Experten oft den Fehler, dass sobald jemand Sorgen und Ängste berichtet, wir sofort mit Fakten gegenhalten. Wir fangen sofort an zu sagen, nein, das stimmt doch überhaupt nicht, das ist eigentlich so, ich kann dir die Studien zeigen und so weiter und so fort. Das Gegenüber fühlt sich dann aber nicht wirklich wahrgenommen, ist auch nicht mehr Teil dieses Diskurses, es geht da nur noch um einen Monolog. Da müssen wir als Experten einen Schritt zurücktreten und sagen, warum hast du denn Angst, was für Informationen hast du denn gelesen. Und wenn man das verstanden hat, was die Gefühlswelt der anderen Person ist, dann kann man das Angebot machen, aus Sicht eines Arztes, aus Sicht eines Experten Informationen einfließen zu lassen. Vielleicht führt das dann eher zu der Überzeugung, sich impfen zu lassen.
"Impfakzeptanz aufgrund von Normdruck vermeiden"
Rohde: Das heißt, Sie würden da befürworten, dass man die Skepsis erst mal ernst nimmt, um eben auch zu verhindern, dass es zu einer Trotzreaktion kommt, zu einer Abschottung bei der Impfentscheidung. Schauen wir auf die andere Seite noch, und zwar, wie die Impfbefürwortenden auftreten. Da gibt es ja durchaus Schilderungen, dass Leute sich bevorteilt fühlen, weil sie das Gefühl haben, ich bekomme diese Impfung und ich bin auf dem richtigen Weg, und möglicherweise auch einen Druck ausüben auf andere. Ist das psychologisch problematisch, wenn Leute sehr, sagen wir mal, pro Impfen sind und so auftreten?
Schmid: Ich denke, dass pro Impfen in den meisten Fällen bedeutet, pro evidenzbasierte Maßnahmen zu sein, und das ist generell ja erst mal eine Haltung, die jeder haben kann, und es ist auch nichts Negatives. Das kann natürlich auch einen enormen Druck erzeugen, das heißt, es kann auch andere Leute beeinflussen, dann auch eben sich impfen zu lassen, und hier muss man gucken, warum diese Leute es dann tun. Was wir vermeiden sollten, ist, dass Leute nur aufgrund von Normdruck oder von Überredungskünsten anfangen, die Impfung zu akzeptieren. Dann hat man vielleicht, was die öffentliche Gesundheit angeht, ein relativ gutes Schutzergebnis erreicht, aber man hat es eigentlich aus den falschen Gründen. Worauf man eigentlich abzielen sollte, ist, zu überzeugen mit Informationen auf eine Art und Weise, wie man sie dann eben auch gut darstellen kann und vermitteln kann. Und da spielen Normen beziehungsweise Fürsprecher von Impfungen nur insofern eine zentrale Rolle, wenn sie diese Informationen auch sinnvoll in einen ordentlichen Rahmen gießen.
Rohde: Gibt es psychologische Erkenntnisse dazu, dass es so etwas wie einen Herdentrieb auch beim Impfen gibt, also wenn sich jetzt einige anfangen lassen zu impfen, dass dann andere sehr viel bereitwilliger sind, das auch zu tun?
Schmid: Ja, Normen spielen in der Psychologie bei jeder Entscheidung eine Rolle. Das heißt, wenn andere es tun und es eine große Menge an anderen Leuten auch tut, dann wirken zwei Mechanismen: Zum einen fühlt man den Druck, dass man es dann auch tun sollte, sogenannte Peer- Pressure also einen enormen Druck, und zum anderen sieht man das Verhalten der anderen auch als Nachweis dafür, dass das eine angebrachte und rationale Entscheidung sein kann, das zu tun. Das heißt, es hat zwei Wirkmechanismen, und das wird natürlich auch einsetzen, aber es ist die Frage, ob das der zentrale Mechanismus sein sollte, über den man überzeugt. Da bin ich der Meinung, braucht es einfach Informationen, um die Einstellung gegenüber Impfen basierend auf Wissen zu verbessern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.