"Eine unbekannte Krankheit begann sich unter uns auf die härteste Art, die je gehört oder gesehen wurde, auszubreiten. Einige verloren all ihre Kraft und konnten nicht mehr auf den Füßen stehen. Dann schwollen ihre Beine."
Aus dem Logbuch des Kapitäns Jacques Cartier 1541 bei der Erforschung des Lorenzstromes.
"Skorbut ist eine Krankheit, die auf Mangelversorgung zurückgeht." - Dr. Hans-Georg Hofer, Medizinhistoriker an der Universität Münster.
"Also keine Infektionskrankheit, sondern eine Erkrankung, die auftritt, wenn wir uns falsch ernähren. Basierend auf der Fehlernährung kann es zu dramatischen Symptomen kommen, beginnend mit Zahnfleischbluten, Blutungen im Rachenraum, dann treten Flecken auf der Haut auf in Gestalt von purpurnen Flecken über den ganzen Körper."
"Ihre Muskeln schrumpften ein und wurden schwarz wie Kohle. (...) Ihre Münder wurden stinkend. Ihr Zahnfleisch wurde so faul, dass alles Fleisch bis hin zu den Wurzeln der Zähne abfiel und diese beinahe alle ausfielen."
Des Weiteren kommen Müdigkeit und Reizbarkeit hinzu, allgemeine Schwäche und schließlich der Tod. Skorbut galt im 16. und 17. Jahrhundert als klassische Seefahrerkrankheit und rückte deshalb zunächst in den marinemedizinischen Horizont. Man hielt Skorbut für ein Spezialproblem der Entdecker und Abenteurer auf See und sah keine unmittelbare Relevanz für die Bevölkerung.
"Im 17. Jahrhundert mit der Handelsschifffahrt und dem Versuch, aus der Neuen Welt und aus Asien neue Pflanzen, Gewürze, Stoffe nach Europa zu bringen, vergrößerte sich die Dimension, auch die Dimension des Problems und es wurde zu einer Massenerkrankung auf den Schiffen."
"Limeys" und "Krauts"
Als es somit um handfeste finanzielle Interessen mit direkter Auswirkung auf die Gesellschaft ging, stieg der Druck auf die Ärzte, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Mitte des 18. Jahrhunderts kam es zu einer ersten systematischen Untersuchung durch einen britischen Marinearzt namens James Lind. Er suchte nach Therapiemöglichkeiten, ohne zunächst die Ursache der Erkrankung zu kennen.
"James Lind hat das Problem des Skorbut auf einem der Schiffe beobachtet. Ausgehend von dieser Fragestellung hat er ein Experiment in die Wege geleitet, mit zwölf erkrankten Matrosen, die er in sechs Gruppen unterteilt hat. Jeweils zwei Matrosen haben unterschiedliche Substanzen verabreicht bekommen: Apfelwein, Essig, andere Mixturen und das Entscheidende: Eine Gruppe wurde behandelt mit dem Saft aus Zitronen."
Diese Gruppe zeigte relativ rasch deutliche Besserung und war innerhalb von kurzer Zeit vollständig geheilt. Das war ein klassischer Heureka-Moment, so Hans-Georg Hofer, und zudem ein Meilenstein in der medizinischen klinischen Forschung. Doch die Reputation eines Marinearztes war damals nicht sehr hoch, dazu kam das Problem der Lagerung von Zitronen auf den manchmal monatelangen Expeditionen. Es dauerte wiederum fast ein Jahrhundert, bis sich die Lindsche Zitronentherapie durchsetzte. Aber sie setzte sich durch.
"Man nahm das auf breiter Ebene wahr und nannte die britischen Matrosen dann "Limeys" ausgehend vom Limettensaft, der ihnen systematisch und wiederholt verabreicht wurde. Das Pendant gewissermaßen sind dann die "Krauts"- auch die deutschen Matrosen wurden mit Sauerkraut und dem regelmäßigen Verzehr konfrontiert, durchaus auch gegen anfänglichen Widerstand."
Entscheidend war das Meerschweinchen
Sauerkraut hat den großen Vorteil, dass es ohne Kühlung lange haltbar ist. So gab es neben dem bislang üblichen Pökelfleisch und Schiffszwieback auch Saft und Sauerkraut an Bord. Die Therapie war gesichert, aber der Grund für die Erkrankung lag weiter im Dunkeln.
"Es gab ganz unterschiedliche Modelle und Erklärungen, wodurch Skorbut bedingt war: Ausdünstungen von Leichengiften, klimatischen Bedingungen. Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert mit systematischen Experimenten in der Medizin kam es zur Aufklärung. Entscheidend war ein Tierchen: ein Meerschweinchen, das mit uns Menschen gemeinsam hat eine biochemische Mangelausstattung."
Auch das Meerschweinchen ist auf die Zufuhr von Vitamin C von außen angewiesen, im Gegensatz zu Ratten, Kaninchen und den anderen Labortieren. Es ist also das ideale Versuchstier für die Vitaminforschung. Schon 1907 konnten die norwegischen Ärzte Holst und Fröhlich mithilfe der Meerschweinchen beweisen: Skorbut ist eine Vitamin-C-Mangelerkrankung und leicht zu therapieren. Doch es sollte noch rund 20 Jahre dauern, bis diese Erkenntnis sich durchsetzte bei Medizinkollegen und Pharmazeuten.
"Die Aufklärung, die Isolierung und letztlich auch die synthetische Herstellung fällt dann in das beginnende 20. Jahrhundert und von den 1930er-Jahren an war die pharmazeutische Industrie in der Lage, Ascorbinsäure, Vitamin C auf großtechnischem Wege herzustellen."