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Slow TV
Die Wiederentdeckung der Langsamkeit

Dem hektischen Bildwechsel und der Schnelllebigkeit unserer Zeit will der Bildungskanal ARD Alpha etwas entgegensetzen: Was früher entspannende Bilder von Bahnfahrten oder Deutschlands schönsten Landschaften waren, hat jetzt einen Namen: Slow TV. Dabei wird Menschen aus vier Perspektiven bei der Arbeit zugeschaut.

Von Julia Batist |
    Szene einer 134 Stunden Nonstop-Übertragung unterwegs mit Hurtigruten, der traditionellen norwegischen Postschifflinie, von Bergen nach Kirkenes
    Szene einer 134 Stunden Nonstop-Übertragung unterwegs mit Hurtigruten, der traditionellen norwegischen Postschifflinie, von Bergen nach Kirkenes (picture alliance / dpa / NRK)
    - "Geht's jetzt darum, dass man das vier Mal aus verschiedenen Dimensionen sieht, oder um was geht's jetzt? Man weiß ja erst mal gar nicht, wo man hingucken soll. Und dann ist das ja wie so ein Puzzle. Man sieht's aus verschiedenen Perspektiven. Ich find's eigentlich ganz spannend."
    - "Passiert da überhaupt noch was? Scheinbar passiert da nichts weiter, als dass man eben diesen Arbeitsschritt beim Bau eines Cellos weiter verfolgt. Die Geigenbauerin oder Cellobauerin, was die jetzt en Detail da betreiben, das würde mich jetzt nicht weiterhin interessieren, weil das wäre jetzt nicht so mein Ding."
    Erste Reaktionen auf ein gewagtes Fernsehformat. Eine junge Frau sitzt an einem Holzschreibtisch vor einem großen Fenster. Über ihr eine Arbeitsleuchte, sie feilt, justiert, konzentriert sich. Warme Farben prägen das Arbeitszimmer, kaum Bewegung, keine Schnitte, keine Musik. Aber der Bildschirm ist in vier Bilder unterteilt, jedes zeigt eine andere Perspektive. So funktioniert Slow TV beim Sender ARD Alpha. Daniel Schrenker ist Autor und Regisseur des neuen Formats MORA.
    "Wir wollten uns mit dem Thema Entschleunigung auseinandersetzen. Und wir hatten uns eben überlegt, wie man am besten medial damit umgehen kann. Dann haben wir natürlich auch wahrgenommen, dass in Norwegen dieses Slow-TV-Format relativ erfolgreich ist."
    Vorbild Norwegen
    Ungeschnittene Bahnfahrten bis hin zu 134 Stunden Live-Übertragung der Fahrt eines Postschiffes – zur besten Sendezeit. Die Norweger schalten ein, teilweise bis zu drei Millionen Menschen. Auch bei ARD Alpha hofft man jetzt auf entspannungswillige Zuschauer.
    "Man bleibt kurz hängen, weil man sieht, aha, ok, das sind jetzt vier Bilder und da macht irgendjemand irgendwas. Wenn sich nach zehn Sekunden kein Bildschnitt ergibt oder niemand etwas sagt und man keine Musik hört, dann muss die Bereitschaft einfach da sein, dran zu bleiben und dieses Format so anzunehmen, wie es ist. Was das Format nicht leisten wird, ist die Leute mit Ruhe zu überraschen."
    Die Motive und der geteilte Bildschirm kommen nicht von ungefähr und sind ein klares Alleinstellungsmerkmal, erklärt Daniel Schrenker.
    "Wir wollten ursprünglich auch nur mit einer Kamera arbeiten, aber haben dann schnell festgestellt, dass es ein Alleinstellungsmerkmal sein könnte. Wir haben hart daran gearbeitet, dass wir das nicht genauso umsetzen wie die Norweger das machen. Das war uns eigentlich zu langweilig."
    - "Ich würde jetzt zum Beispiel den Schnitt vermissen. Dass man wieder auf eine Gesamtperspektive geht. Auf Dauer finde ich es ein bisschen anstrengend."
    Menschen bei der Arbeit zusehen
    Menschen eine Stunde lang bei der Arbeit zuzusehen – das erfordert Konzentration oder einfach Ruhe. Die Motive der drei ersten Folgen: ein Altbauatelier, eine Uhrmacherwerkstatt und ein Weinberg. Gezeigt werden eine Cellobauerin, ein Trockenmauerbauer und ein Uhrmacher. Die Auswahl war Daniel Schrenker sehr wichtig.
    "Das steht und fällt mit der Person, der man da zusieht, weil eben das auch der Unterschied ist zu einem Sonnenuntergang, den man sich sehr lange ansieht oder so. Das sind alles Personen, die ihren Lebensmittelpunkt oder ihren Arbeitsmittelpunkt in der Tätigkeit gefunden haben. Und ich glaube, dass das über diese 60 Minuten auch deutlich wird in den einzelnen Folgen.
    Nach Folge eins sind die Meinungen geteilt. 15 Minuten ohne Kommentar, Musik oder Schnitt – schon da ist bei manchem das Interesse weg.
    - "Die innere Ruhe würde mir jetzt fehlen, um hier weiter beiwohnen zu wollen. Die Bilder, die man hier sieht, die wirken wie ein Beruhigungsmittel. Wenn sie tatsächlich den Zuschauer entschleunigen sollen, dann sollten diejenigen, die sich das angucken, lieber was anderes machen, was Vernünftiges. Einen Kuchen backen oder mit ihrem Hund vor die Tür gehen."
    - "Dann würde ich wahrscheinlich eher einen Film in den Bergen drehen oder auf dem Wasser. Wo man dann selber mit seinen eigenen Fantasien sich ein bisschen entspannen könnte, das würde mir mehr Spaß machen als das jetzt hier."
    - "Ich bin skeptisch. Aber irgendwie finde ich es auch witzig. Dass man sich überhaupt die Gedanken macht, Fernsehen als Entschleunigung zu nehmen, warum nicht. Finde ich nicht uninteressant, sagen wir es mal so."
    Daniel Schrenker: "Wir wissen nicht, wie die Leute darauf reagieren und sind bestimmt diejenigen, die am gespanntesten sind, wie das funktioniert. Ob das jetzt nur ein Medienthema ist oder ob es da tatsächlich einen Bedarf gibt. Grundsätzlich richtet sich das an alle, die den Fernseher zur Entspannung einschalten. Und ich glaub durchaus, dass es da Bedarf gibt."