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Slowakei fünf Jahre nach Journalistenmord
Das Erbe von Jan Kuciak

Am 21. Februar 2018 wurden der Investigativ-Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte ermordet. Die Tat verbesserte den Blick auf den Journalismus in der Slowakei. Doch nun kehren mit der aktuellen Wirtschaftskrise auch wieder alte Feindbilder zurück.

Von Marianne Allweiss |
Jill Biden legt vor einem Gebäude einen Kranz ab und kniet nieder dabei
In Bratislava gibt es eine Gedenkstätte für Jan Kuciak und Martina Kusnirova - hier ehrte Jill Biden, die Frau des US-Präsidenten, im Mai 2022 die beiden Ermordeten (IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / U.S. Embassy Slovakia / State Depa)
Pavla Holcova fängt mit dem Positiven an: „Natürlich können unsere Texte nicht mit Artikeln über Prominente oder Kätzchen konkurrieren, aber ich denke, dass die Gesellschaft erkannt hat, welchen Beitrag Journalisten für sie leisten.“
Die tschechische Investigativ-Journalistin hat an Großprojekten mitgewirkt, wie den „Panama Papers“, und sie hat mit Jan Kuciak zusammengearbeitet. Nach dessen Tod setzte die 42-Jährige dessen Recherchen fort – sie hatte Zugriff auf seine Festplatte. „Vor fünf Jahren war das System, das die Slowakei beherrschte, so weit, dass einige Leute glaubten, sie könnten mit Mord davonkommen. Sie ließen Jan zusammen mit seiner Verlobten Martina Kusnirova erschießen – in ihrem Haus am 21. Februar nach sieben Uhr abends.“
Fotos des ermordeten Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova stehen mit Kerzen auf einem Tisch
An der Gedenkstelle erinnern auch Bilder an Jan Kuciak und Martina Kusnirova (Deutschlandradio/ Kilian Kirchgeßner)
Auf dem Küchentisch in dem kleinen Ort in der Nähe von Bratislava finden Ermittler zwei Laptops. Martina hatte nach Brautkleidern für die geplante Hochzeit gesucht, Jan die Aktivitäten der kalabrischen 'Ndrangheta' im Osten der Slowakei und ihre Verbindungen zu den politischen Eliten beschrieben.

Mord schockiert Gesellschaft

„So etwas hatten wir nicht in unseren bösesten Träumen angenommen. Wir sagten immer: Wegen unserer Arbeit kann man uns drohen, man kann uns zusammenschlagen. Aber wir haben nie angenommen, dass man uns umbringen könnte“, sagt Peter Bardy, der Chef des Internetportals 'Aktuality', für das Kuciak gearbeitet hatte.
Sein Mord schockiert die Gesellschaft. Zum ersten Mal seit der Samtenen Revolution steht das Land wieder zusammen. Die größten Massenproteste seit fast 30 Jahren fordern eine „anständige“ Slowakei. Sie fegen den linkspopulistischen Premierminister Robert Fico aus dem Amt, für viele das Gesicht eines korrumpierten Staates. Mit ihm fallen viele seiner Getreuen in der Politik, der Polizei und der Justiz, erinnert sich der Schriftsteller Michal Hvorecky.
„Mein Gefühl war, es war extrem intensiv. Und ich dachte, dieses Land, da ändert sich gerade was. Das war die Grundstimmung, die mich das ganze Jahr 2018 geprägt hat und ich glaube, die ganze Atmosphäre im Land.“

Ermittlungen werden neu aufgerollt

Der geständige Mörder wird verurteilt, doch der mutmaßliche Auftraggeber, der slowakische Geschäftsmann Marian Kocner mit besten Kontakt in die Politik, wird aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Für viele eine Überraschung, auch für die Präsidentin Zuzana Caputova, eine liberale Bürgerrechtsanwältin, die im Jahr nach dem Mord ins Amt gewählt wird: „Heute kennen wir die Gesichter der Täter, aber für die Gerechtigkeit in der Slowakei ist es nötig, dass auch die Auftraggeber verurteilt werden. Ich hoffe sehr, dass wir das erleben werden.“
Kocner sitzt inzwischen wegen Betrugs für 19 Jahre im Gefängnis. Der Mord-Prozess wird nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gerade neu aufgerollt. Beobachter sprechen von einem konsequenter geführten Verfahren. Ermittelt wird auch gegen andere einflussreiche Schlüsselpersonen, die bis vor fünf Jahren als unantastbar galten, lobt Zuzana Petkova, die Leiterin einer bekannten slowakischen Anti-Korruptions-Stiftung. „Gegen Oligarchen, die Verbindungen zu Parteien hatten, sogar gegen Spitzenvertreter der Politik wie Fico und seinen früheren Innenminister. Aber viele Verfahren wurden eingestellt oder laufen irgendwie ins Leere.“ 

Politische Krise bringt alte Sorgen zurück

Dabei war Igor Matovic, der Chef der stärksten Koalitionspartei, bei den Wahlen 2020 mit dem Versprechen angetreten, mit Filz, Vetternwirtschaft und Mafia-Strukturen in Wirtschaft und Politik zu brechen. Doch er brachte keine Regierungserfahrung mit. Nach zahlreichen Skandalen inmitten der Pandemie und nach internen Machtkämpfen musste er seinen Posten mit dem Finanzminister tauschen. Seit Dezember ist die Koalition nach einem Misstrauensvotum nur noch geschäftsführend im Amt und kämpft ums politische Überleben.
Das drücke enorm auf die Stimmung, meint die frühere Investigativ-Journalistin Petkova. „Die Menschen erleben eine ernste Energiekrise, und die Maßnahmen dagegen reichen nicht aus. Die soziale Situation in der Slowakei wird sich verschlechtern. Wir befinden uns in einer ernsten Krise. Nicht nur in einer Regierungskrise, sondern auch in einer Krise der Demokratie.“

"Es könnte schlimmer werden als vor dem Mord"

Nach Neuwahlen im Herbst könnte die alte politische Elite zurückkehren. In den Umfragen führt die Partei von Ex-Premier Fico hinter einer Abspaltung seiner linkspopulistisch Smer. Bisher wurden slowakische Medien zwar angefeindet, konnten aber unabhängig arbeiten, sagt Holcova.
Seit Kuciaks Ermordung und den Enthüllungen sei allen klar, dass sie wirklich eine mächtige Säule im Staat sind. Und das könnten Ficos Leute ändern wollen. „Ich denke, dass die Slowakei in diesen fünf Jahren einen Kreis beschrieben hat. Am Anfang war die Hoffnung groß. Und die Gesellschaft hat verstanden, dass sie die Macht hat zu bestimmen, wer regiert. Aber jetzt ist die Sorge groß, dass es noch schlimmer werden könnte als vor dem Mord.“