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"Small is beautyfull"

Die österreichische Grenzgemeinde Oberndorf ist die Heimat des Philosophen Leopold Kohr, der unter anderem als geistiger Vater der Grünen-Bewegung gilt. Berühmt gemacht hat ihn sein Wahlspruch "Small is beautyful".

Von Stefan May |
    Oberndorf in Österreich, Heimat des Philosophen Leopold Kohr.
    Oberndorf in Österreich, Heimat des Philosophen Leopold Kohr. (Stefan May)
    Die neunte Sinfonie, "Aus der Neuen Welt", von Antonin Dvorak spielt das Austrian Festival Symphony Orchestra beim Festkonzert für Leopold Kohr in der Stadthalle von Oberndorf. Der Philosoph hatte lange Zeit in der Neuen Welt gelebt, auf der zu den USA gehörenden Insel Puerto Rico an der Universität gelehrt. Dort entwickelte er seine Thesen, die heute durchaus modern wirken: Vom Rückbau der Städte, von der Eindämmung des Verkehrs, von kleinen Einheiten. Schon vor Jahrzehnten regte er so etwas wie ein Europa der Regionen an und sagte den Zerfall der Sowjetunion voraus. Später holten die Walliser ihn nach Wales, wo er für sie größere Eigenständigkeit, Regierung und Parlament, von Großbritannien erstritt.

    Damals entstand der Kontakt zu Salzburg. Alfred Winter, Landesbeauftragter für kulturelle Sonderprojekte in Salzburg, stellte 1980 eine große Keltenausstellung in Hallein auf die Beine. Der bis dahin in seiner Heimat kaum bekannte Leopold Kohr stand plötzlich bei ihm in der Tür und bot ihm an, den Erzdruiden von Wales für die Veranstaltung zu organisieren, was dann auch geschah, erzählt Winter.

    "Gegen Ende der Keltenausstellung kam er wieder zu mir, hat er mich besucht und gesagt, ja, er müsse jetzt zurückfahren nach Wales, wo er ja in Aberystwyth viele Jahre gelehrt hat und ein Haus hatte, und eine Wahrsagerin habe ihm, dem völlig unabergläubischen Menschen, gesagt, er müsse nach vier Wochen wieder nach Salzburg kommen, um hier zu sterben. Und hat mir zehn, zwölf englischsprachige Bücher zurückgelassen, die ich in der Schnelle gar nicht lesen konnte. Aber ich habe die Vorwörter gesehen und vor allem die Autoren der Vorwörter. Und das waren doch die Heroes des vorigen Jahrhunderts: Ivan Illich, der große Zivilisationskritiker oder der afrikanische Staatspräsident Kenneth Kaunda oder Fritz Schuhmacher, der Autor von "Small is Beautiful" und viele andere mehr haben geschrieben: Leopold Kohr ist der größte Philosoph des Jahrhunderts, unser großer Lehrmeister und so weiter. Und ich denke mir: Um Gottes Willen, in vier Wochen kommt dieser Leopold Kohr zurück und stirbt hier und wir kommen im Nachhinein drauf, dass wir wieder einen bedeutenden Menschen übersehen hätten, und habe relativ panisch alle meine Medienkontakte mobilisiert und habe ihn angerufen in Wales und habe gesagt: Ja, sie können zurückkommen, aber mit dem Sterben wird nichts. Jetzt geht´s erst richtig an, Sie zu entdecken."

    Ab da wurde Kohr auch in seiner Heimat bekannt, reiste von Vortrag zu Vortrag und erhielt den alternativen Nobelpreis. Dennoch blieb er unakademisch und bescheiden, erzählt Alfred Winter:

    "Er ist immer ein Oberndorfer, ein Salzburger geblieben, er hat scherzhaft gesagt, er ist ein Provinzler geblieben, was für ihn aber keine Beleidigung war, sondern eben eine Art Belohnung, weil er meinte, in der Provinz würden die besonderen Dinge erfunden und erdacht, wovon die Stadt dann etwas hat."

    Kohrs Vater war Gemeindearzt. Das blassgelb gestrichene Elternhaus mit grünen Fensterläden liegt in einer ruhigen Gasse im Zentrum. Zur Zeit des Austrofaschismus verließ Kohr Oberndorf, gründete in Paris mit Otto von Habsburg eine Widerstandsgruppe und verließ Europa 1938 Richtung Amerika, wo er gleichzeitig für Österreich warb und sich öffentlich gegen Hitler wandte.

    Ein paar Schritte vom Elternhaus entfernt wohnte Kohr nach seiner Rückkehr in die Heimat. Im Salzachhof, einem mächtigen grauen Altbau, der früher ein Hotel gewesen war, direkt an der Grenzbrücke, auf der hoch über dem Fluss die österreichische Kaiserkrone und die Wittelsbacher Königskrone prangen. Jenseits steigen die Mauern der bunten Fischerhäuser der bayrischen Stadt Lauffen aus dem Wasser der Salzach, die um die Stadt eine Schleife zieht.

    Der Salzachhof gehört dem Maler Hannes Ploner, der nach Aufenthalten in aller Welt in das Haus seiner Familie zurückgekehrt ist. Er kennt Leopold Kohr von Kindesbeinen an und hatte ihm hier für seine Österreichaufenthalte ein Zimmer eingerichtet.

    "In jedem Erdteil, auf dem er gewirkt hat, hat er eine große Schar von Freunden und Bewunderern gewonnen. Und das war, glaube ich, sein Hauptcharakteristikum, dass er einfach gerade, ehrlich, wunderbar verschmitzt teilweise und einfach von einer bewundernswerten Rhetorik war. Und seine Philosophie und seine Gedankenwelt zum Wertvollsten des 20. Jahrhunderts gehört."

    22 Kilometer liegt Oberndorf von der Landeshauptstadt Salzburg entfernt. "Ein Kohr" hatte der österreichische Philosoph einst diese Distanz genannt und damit seine Vorstellung für ein menschliches Maß gegeben, für überschaubare Größenordnungen, die die große Welt im Lot halten könnten. 1994 starb Leopold Kohr in England, kurz vor seiner geplanten endgültigen Rückkehr nach Oberndorf.