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Smartphones und Social Media
Warum wir immer und überall fotografieren

Im Konzert, im Stadion, im Urlaub oder im Theater: Das Smartphone ist immer und überall dabei. Der Schauspieler Benedict Cumberbatch wehrt sich nun gegen den Trend und will das Handy aus dem Theater verbannen. Eine Haltung, die der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich nur bedingt teilt, wie er im DLF erläuterte.

Wolfgang Ullrich im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Ein Mann hält ein Smartphone in der Hand.
    Viele Menschen erleben Events nur noch durch die Linse ihres Smartphones. (picture alliance / dpa)
    Stefan Koldehoff: Der durch die BBC-Serie "Sherlock" berühmt gewordene Schauspieler Benedict Cumberbatch steht zurzeit auf der Bühne – in London, als Hamlet. Und musste dort nun feststellen, dass man ihn dort nicht nur sehen, sondern auch filmen und fotografieren will – während der Vorstellung, aus dem Zuschauerraum heraus.
    Nach der ersten Woche hat er seine und Shakespeares Fans nun gebeten, das zu lassen: mit der Begründung, solch ein Verhalten sei kränkend für einen Schauspieler, und es gebe nichts Unangenehmeres. Die Sache mit den Fotos oder Selfies ist nicht nur in Theatern und Opernhäusern, sondern auch bei Konzerten und in Museen zu einer Selbstverständlichkeit geworden.
    Künftig werde deshalb aus dem Theater rausfliegen, wer das Handy zückt. Den Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich habe ich gefragt, ob er Cumberbatch versteht, oder ob ein Medienstar mit so etwas leben muss.
    Wolfgang Ullrich: Ja! Vielleicht kann man ja doch die Trennung hier machen noch zwischen dem Medienstar, der im Fernsehen, im Kino auftritt, und dem Schauspieler, der im Theater auftritt, und kann darauf Wert legen, dass diese Differenz aufrecht erhalten wird, dass das Theaterereignis etwas Vergängliches, Einmaliges ist, was eben nicht reproduzierbar ist im Unterschied zu einem Film oder etwas, was man im Fernsehen sieht und jederzeit dort aufnehmen kann.
    Man könnte hier ganz klassisch im Sinne von Walter Benjamin mit dem Aura-Begriff kommen und sagen, auch wenn die Theateraufführung jederzeit reproduzierbar ist, verliert sie ihre Einmaligkeit und das eventuell auratische Erlebnis. Vielleicht möchte der Schauspieler ja auch dem Publikum auf den Weg geben, das auch Markante, Besondere des Theaters nicht dadurch vielleicht zum Verschwinden zu bringen, dass man jetzt auch da die ganze Zeit das Smartphone auf Aufnahme geschaltet hat.
    "Es geht darum, sich interessant zu machen"
    Koldehoff: Das sagt Herr Cumberbatch auch. "Ich kann euch nicht das bieten, was ich euch eigentlich bieten möchte, einen Live-Auftritt, den ihr in Erinnerung behaltet, hoffentlich in euren Köpfen, ob gut, ob schlecht, ob gleichgültig, aber eben nicht in euren Telefonen." Warum ist denn dieses verflixte Telefon inzwischen nötig geworden in Theatern, in Museen? Überall wird aufgenommen. Was glauben die Menschen damit zu erreichen?
    Ullrich: Ich denke schon, dass der Hauptgrund dafür ist die zunehmende Macht der Social Media, dass diejenigen, die im Theater sind, natürlich stolz ihren Freunden mitteilen wollen, schaut her, ich sehe gerade diesen berühmten Schauspieler in dieser tollen Inszenierung an diesem großartigen Ort.
    Es geht nicht so sehr darum, das unbedingt zu dokumentieren oder für die Ewigkeit festzuhalten, was man im Theater oder genauso in einem Museum oder bei einem Konzert aufnimmt, sondern es geht darum, anderen auch die Möglichkeit der Teilhabe zu geben, sich vielleicht ja auch interessant zu machen, dass man was mitzuteilen hat, was andere so nicht mitzuteilen haben.
    Koldehoff: Und da reicht die gute alte Erzählung im digitalen Zeitalter nicht mehr aus? Da braucht man den visuellen Beleg, damit etwas tatsächlich stattgefunden hat?
    Ullrich: Die Erzählung könnte ja erst nachträglich stattfinden und Social Media leben ganz wesentlich als Medium auch der Live-Kommunikation. Das heißt, das Faszinierende ist ja, ich kann jetzt nicht nur diesen Schauspieler hier live aufnehmen, sondern im selben Moment das all meinen Freunden auch mitteilen. Sie sind auch mit dabei ein Stück bei derselben Aufführung.
    Ja, das scheint doch ein ganz großes Bedürfnis zu sein bei vielen Menschen, diese Formen von Verbindung zu schaffen, indem man heute nicht nur vielleicht über Telefon live kommuniziert, sondern Bilder, Musik, ganz viele andere Dinge auch austauscht.
    "Kunstwerke könnten durch soziale Medien eine neue Form der Bedeutung bekommen"
    Koldehoff: Was ist denn jetzt, Herr Professor Ullrich, die adäquate Reaktion der Institutionen? Nehmen wir das Museum: Das van Gogh Museum in Amsterdam hat gerade uneingeschränkt (blitzen darf man nach wie vor nicht) das Fotografieren erlaubt in seinen Räumen mit dem Ergebnis, die Sonnenblumen, die Selbstbildnisse kann man eigentlich gar nicht mehr sehen. Man sieht nur noch Displays, man sieht iPads, man sieht Handys, man sieht Kameras, zum Teil sogar Selfie-Sticks, aber nicht mehr das Gemälde selbst. Ist das die richtige Reaktion?
    Ullrich: So wie Sie es beschreiben, kann man natürlich nur nein sagen. Aber ich würde es trotzdem mal nicht so negativ sehen.
    Was hier vielleicht noch ins Spiel kommt, gerade wenn wir über bildende Kunst sprechen, ist, dass, wenn verschiedene Besucher jetzt im Museum anfangen zu fotografieren und dann auf ihren Accounts bei Instagram, Facebook, Tumblr oder so diese Bilder hochladen, die Kunstwerke auch jeweils in eine andere Umgebung noch mal kommen, sie sozusagen angeschlossen werden an andere Phänomene, andere Bildsprachen, andere Ästhetiken und sie damit auch ein weiteres Leben bekommen oder eine Auffrischung erfahren und vielleicht sogar neue Bedeutungen noch zulegen können, indem sie jetzt auch in ganz anderen Kontexten als bisher auftauchen.
    Insofern würde ich das jetzt erst einmal als Phänomen sehen, dem ich mit Neugier gegenüberstehe und wo ich auch gewisse Hoffnungen habe, dass Kunst eben nicht nur die tote Museumsware ist, der man sich ehrfürchtig nähert, sondern wo man ein Stück weit auch aktiv als Rezipient etwas tun kann, indem man das Werk in seine eigenen sozialen und ästhetischen Kontexte bringt, indem man es aufnimmt im Museum.
    Eine neue Form von Aura
    Koldehoff: Und der Aura schadet es nicht?
    Ullrich: Vielleicht schafft es eine neue Form von Aura, weil heutzutage dann ja auch das, was in den Accounts der Social Media, der einzelnen User passiert, oft was sehr Einmaliges, Unwiederholbares und Schnelllebiges, Ephemeres ist. Hier, könnte man sagen, reproduziert sich die Aura.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.