Nicht etwa die Massenüberwachung durch britische und US-Geheimdienste sorgt im Mutterland des Parlamentarismus für erhitzte Debatten, sondern deren Aufdeckung. Vor vier Wochen beklagten sich Sir John Sawers, Chef des Auslandsgeheimdienstes MI 6 öffentlich:
"Die Lecks von Snowden waren sehr schädlich und gefährden unsere Operationen. Es ist klar, dass sich unsere Gegner vor Schadenfreude die Hände reiben und Al Kaida das begierig aufsaugt."
Ins gleiche Horn stieß Premierminister David Cameron: Durch die Veröffentlichung der Dokumente des US-Informanten Edward Snowden im linksliberalen Guardian sei es sehr viel schwieriger, das Land zu schützen:
"Was Snowden macht und die Zeitungen, die ihm dabei helfen, ist offen gesagt, Leuten, die uns Böses wollen, zu signalisieren, wie sie den Geheimdiensten entwischen können."
Weswegen die Regierung auch darauf bestanden habe, im Keller des Guardian einen Laptop zerstören zu lassen, auf dem sich das Snowden-Material befand. Das war zwar ein symbolischer Akt, weil der Guardian in seiner Not eine Kopie des Materials bei der New York Times deponiert hatte; im Parlament aber interpretierte Cameron den Zwangsakt kühn als Beleg dafür, dass die Zeitung ihre Missetat damit eingeräumt habe
Cameron droht, Pressefreiheit einzuschränken
"Wir haben uns dafür entschieden, mit der Presse zu reden und ihr klarzumachen, wie schädlich Dinge sein können, weswegen ja auch der Guardian tatsächlich einige der Informationen zerstört hat. Ich möchte keine einstweiligen Verfügungen, sondern halte es für besser, an das soziale Verantwortungsgefühl der Zeitungen zu appellieren. Und wenn sie das nicht zeigen, dann wird es für die Regierung sehr schwer, sich zurückzuhalten und nicht zu handeln."
Camerons unverhohlene Drohung, die Pressefreiheit einzuschränken, hat die Reputation des Landes beschädigt. In Königreich selbst aber forderten Konservative ein Verfahren gegen den Guardian.
Nun musste dessen Chefredakteur vor dem Innenausschuss des Parlaments erscheinen, dessen Vorsitzender Keith Vaz sich beeilte zu versichern, dass er nicht zwangsweise, sondern auf Einladung hier sei.
Es sei ihm nicht klar gewesen, dass er hier freiwillig sei, aber er freue sich, das zu hören, antwortete Alan Rusbridger. Von den 58.000 Dateien, die Edward Snowden an mehrere Medien weltweit weitergab, habe der Guardian erst ein Prozent veröffentlicht, sagte der Chefredakteur. Man habe sehr sorgsam ausgewählt und kein Leben riskiert. Der konservative Abgeordnete Michael Ellis fuhr ihn an:
Michael Ellis: "Sie haben Dokumente autorisiert, die von Snowden gestohlen wurden, die die Namen von Geheimdienstlern enthalten und an andere übermittelt wurden, ja oder nein?"
Alan Rusbridger: "Es ist seit sechs Monaten bekannt, dass diese Dokumente Namen enthielten und ich das Wissen mit der New York Times teile."
Ellis: "Akzeptieren Sie, dass es sich dabei um eine Straftat handelt?"
Rusbridger: "Sie mögen das wissen, Mr. Ellis, ich nicht und überlasse es Ihnen."
"Guardian"-Chef: Einige Elemente des Geheimdienstes sind außer Kontrolle geraten
Die Daten seien in sicherer Verwahrung, und der Guardian habe keine Namen von Geheimdienstmitarbeitern veröffentlicht. Die Vorwürfe, er habe seinem Land geschadet, seien sehr vage – ohne jeden konkreten Beleg oder Bezug zu einem Artikel:
"Ja, wir sind Patrioten – und wir sind patriotisch für die Art unserer Demokratie und der Freiheit der Presse und dass man in diesem Land über solche Dinge diskutieren und berichten kann."
Rusbridgers 80minütiger Auftritt wurde zum Heimspiel, an dessen Ende ihn einige Abgeordnete sogar um Rat ersuchten, wie man die Geheimdienste an die Leine nehmen könne. Der gegenwärtige parlamentarische Kontrollausschuss mit seinem Etat von gerade einmal 1,5 Millionen Euro sei jedenfalls überfordert, meinte Rusbridger:
"Es ist offensichtlich, dass einige Elemente der Geheimdienste – nicht notwendigerweise unsere – ein wenig außer Kontrolle sind. Das ist gefährlich. Wo ist also das Gremium, was sie kontrolliert, mit Menschen, die technisches Verständnis haben, die finanziell angemessen ausgestattet sind und die auch die weitergehenden Interessen der Zivilgesellschaft begreifen, die von solchen Fragen berührt sind."