Es gibt wenig Musik diesmal, nur einmal, nach dem Pakt mit dem Teufel, den Song "Child in Time" von Deep Purple; Faust tanzt ein bisschen, die Musik dient seiner Initiation, und man erlebt, wie er ein anderer Mensch wird, auch ohne Auerbachs Keller oder Hexenküche. Das ist nicht das geschwätzige Seelendrama eines unbefriedigten Geistes oder Tatmenschen, und schon gar nicht jene Tragödie, die als Schullektüre den Goetheschen Gedankenhorizont abzuschreiten versuchte, indem sie ihn zwangsläufig verkleinerte. Thalheimer hat auch diesen Text stark reduziert, aber im Gegensatz zu Kleists "Familie Schroffenstein", die er zuletzt für Köln inszenierte, ihm keine Gewalt angetan.
Thalheimer hat den Individualisierungsgedanken Goethes weiter zugespitzt und gibt diesem Faust die Gesten der Egomanen unserer Tage. So dass Ingo Hülsmann das ganze Register ziehen kann, von monotoner Verzweiflung und Weltekel über die große Geste des Popstars bis hin zur Sprache einer nicht ganz unbekannten deutschen Führerfigur, die hier anklingt:
"Du Erdgeist bist mir näher...."
Dieser Mann leidet weniger an der Welt als er aus sich heraus eine Welt erschafft. Von lähmender Verzweiflung bis zum Größenwahn ist es die narzisstische Grunddisposition, die hier zuerst als Hybris, dann als Wille zur Macht erscheint. Dazu passt auch, dass Mephisto nicht der schlaue Schmeichler ist, sondern mit Sven Lehmann ein eher derber Kraftmensch, der Faust umpolt, indem er ihm eine Hand an die Stirn legt. Das ist, was Faust berührt.
Das Gretchen ist der Schwachpunkt dieser Inszenierung, das manierierte Thalheimersche Sprechen wirkt bei ihr aufgesagt, Menschen unter Druck haben es damit leichter als eine naive Unschuld. Am Schluss ist sie eindeutiges Opfer, und Faust und Mephisto das männerbündlerische Gespann, das ungerührt über sie hinweggeht. Das ist der Preis der Freiheit.
Ganz am Ende stehen einige Zeilen aus "Faust II", ein hoffnungsfrohes Glühen, das noch offen lässt, ob die Fackel des Lebens zum alles vernichtenden Feuer wird. Mit diesem Schluss hat Thalheimer noch einmal seine Sicht auf den Faust unterstrichen und gleichzeitig auf den zweiten Teil, den er im nächsten Jahr inszenieren wird, verwiesen. Der Text aus "Anmutige Gegend" und diese zwei Männer, Faust und Mephisto, gestützt auf ein blutverschmiertes Gretchen, machen das Stück aber auch zu einer Parabel über den Herrschaftsanspruch des Menschen mit unbekanntem Ausgang. Und damit ist dieser Faust nicht mehr so deutsch, aber ziemlich zeitgemäß.