Dirk Müller: Die Betroffenen, sie kennen es schon, so geschehen auch in Kairo, von den dortigen Sicherheitsbehörden in die Tat umgesetzt, von der Politik gebilligt, von der Politik unterstützt und auch gewollt. So weit müssen wir jetzt gar nicht gehen im nächsten Beispiel; blicken wir einfach nach St. Petersburg und nach Moskau. Dort gab es Hunderte, Tausende Razzien der Staatsanwälte bei gleich mehreren Nicht-Regierungsorganisationen, auch bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Auch die Friedrich-Ebert-Stiftung hat es getroffen, die der SPD nahesteht. Die Räume wurden durchsucht, Computer beschlagnahmt. Der Verdacht offiziell: Spionage und Agententätigkeit. Das ganze Prozedere geht zurück auf ein Gesetz, wonach sich Organisationen, die aus dem Westen, aus dem Ausland generell finanziert werden, als Agenten registrieren lassen müssen. Da werden Erinnerungen wach an finstere Szenarien zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. – Am Telefon ist nun Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Guten Morgen!
Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Ist der Putin-Staat ein Autokratenstaat?
Pöttering: Sicher ist der Staat des Staatspräsidenten Putin ein Staat, der autoritär regiert wird, und wo die Prinzipien - und das zeigen ja jetzt die Vorgänge in Moskau und in St. Petersburg und an anderen Orten -, wo die Maßstäbe der Demokratie nicht so gelten, wie bei uns in Deutschland und in der Europäischen Union.
Müller: Sagen wir das deutlich genug?
Pöttering: Ich glaube, wir sagen es deutlich und wir müssen es in diesen Tagen sehr deutlich sagen, insbesondere auch angesichts des Besuches des russischen Präsidenten in Deutschland, wenn ich das Datum richtig im Kopf habe, am 7. April, denn er kommt zur Eröffnung der Hannover-Messe, die ja in diesem Jahr Russland als Gastland hat. Und deswegen sind auch wegen dieser zeitlichen Zusammenhänge die Vorgänge in Russland nicht nur unverständlich, sondern alarmierend, und wir müssen in schärfster Form diese Vorgänge kritisieren.
Müller: Angela Merkel wird jetzt schon wieder das Lächeln üben.
Pöttering: Ich habe keinen Zweifel, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel wie auch in anderen Fällen, auch wenn es um die Verletzung von Menschenrechten geht, das Nötige sagen wird. Dafür ist sie ja bekannt, dass sie nicht kuscht vor denjenigen, die autoritär regieren oder die Diktatoren sind.
Müller: Könnte man auch sagen, bleib doch besser erst mal zuhause?
Pöttering: Nein, so weit wollen wir nicht gehen. Wir wollen ja die Situation nicht eskalieren lassen, sondern wir müssen jetzt der russischen Regierung sagen, so verhält man sich nicht, wenn man eine Demokratie ist, und man kann sich aus einer freien Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht ausklinken und man kann nicht zurückkehren zu Entwicklungen, wie wir sie im Kalten Krieg und im Kommunismus hatten. Und Sie haben ja mit Recht eben in Ihrem Bericht darauf hingewiesen, auf diese Begrifflichkeit der Agenten, und das ist die Sprache des Kommunismus, das ist die Sprache der Geheimdienste.
Müller: Sie haben gestern mehrfach mit den Mitarbeitern vor Ort, also in St. Petersburg und sonst wo, auch noch telefoniert. Wie war dort die Resonanz, wie war dort die Stimmung?
Pöttering: Natürlich sind wir sehr enttäuscht über dieses Verhalten der russischen Behörden und wir erwarten jetzt, dass Russland sich so verhält, wie man sich in einer Demokratie verhält, dass die Computer zurückgegeben werden. Und vor allen Dingen das Besorgnis erregende ist ja auf der einen Seite natürlich das Vorgehen gegen die deutschen und andere Stiftungen, aber das wirklich Bedrückende und Alarmierende ist ja das Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft in Russland selber, dass man ganz offensichtlich die Nicht-Regierungsorganisationen aus Russland, die also aus Menschen, aus Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern Russlands bestehen, dass man die kontrollieren will, dass man sie in ihren Möglichkeiten einschränken will, und das ist das eigentlich Verhängnisvolle in Russland und das zeigt eine Entwicklung, die weggeht von einer demokratischen Entwicklung. Und was Russland nicht geleistet hat - und das ist etwas geistig Moralisches und damit auch Politisches -, dass man die Hinterlassenschaft, die Verbrechen, den Totalitarismus des Kommunismus nicht wirklich aufgearbeitet hat, wie wir es ja Gott sei Dank in Deutschland getan haben mit dem Nationalsozialismus, und diese Nichtaufarbeitung der tragischen, der verbrecherischen Geschichte der Sowjetunion schafft eine geistig-moralische Grundlage, die verhängnisvoll ist, und hier hat Russland noch einen weiten Weg zu gehen, und ich hoffe, dass dieses Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft in Russland jetzt, dass das korrigiert wird. Hier müssen wir unsere Stimme erheben und ich bin dankbar für die Unterstützung der Bundesregierung, des Bundeskanzleramtes, des Außenministeriums, aber es ist auch ein Anliegen für die gesamte Europäische Union.
Müller: Herr Pöttering, Sie sind ja jetzt überaus deutlich geworden. Vermissen Sie diese Deutlichkeit – wir hatten zu Beginn des Interviews schon darüber gesprochen – manchmal ein wenig in der deutschen Politik?
Pöttering: Nein, in der deutschen Politik vermisse ich es nicht. Aber wir müssen insgesamt als Europäische Union und gerade auch jetzt bei den großen Herausforderungen, die die Europäische Union ja hat bei den Finanzen, zusammenstehen und wir müssen wissen, wir in der Europäischen Union sind eine Wertegemeinschaft, die sich gründet auf Menschenrechte, auf die Würde des Menschen, auf die Freiheit, auf die Solidarität, und wenn wir dieses deutlich machen, dann erkennen wir auch wieder die Werte, auf die sich die Europäische Union gründet, und können dann auch uns im Verhalten zu Staaten wie Russland auf unsere Werte besinnen und sie deutlich machen, und dieses fordere ich ein.
Müller: Wir fragen Sie ja auch als Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung. Haben Sie über mögliche Konsequenzen nach diesen Durchsuchungen gestern, vielleicht folgen auch noch weitere, über Konsequenzen nachgedacht? Was könnte folgen?
Pöttering: Natürlich denkt man darüber nach, wie es weitergeht. Wir können nicht akzeptieren, wenn man von uns verlangen würde, dass wir unsere Aktivitäten mit den Behörden absprechen. Das würde uns die Luft zum Atmen nehmen bei unserem Handeln. Aber wir erwarten, dass es nicht so weit kommt, sondern wir hoffen und wir drängen darauf im Verhältnis zu unseren russischen Partnern, dass wir so arbeiten können wie überall in der Welt, dass wir eine Partnerschaft aufbauen, die sich gründet auf Offenheit, auf gegenseitigen Respekt, auf Würde, auf Demokratie. Das ist die Politik des 21. Jahrhunderts, die wir auch von Russland erwarten, und nicht die Rückkehr in die Vergangenheit.
Müller: Genau das, sagen Sie ja selbst, finden Sie im Moment nicht vor. Gibt es in Russland auch für Sie möglicherweise einen Rechtsweg?
Pöttering: Das wird man prüfen müssen. Es bleibt jetzt abzuwarten, wie die russischen Behörden vorgehen. Es ist ja jetzt unsere Vertretung in St. Petersburg betroffen, unsere Vertretung in Moskau direkt nicht. Wir warten jetzt zunächst einmal ab. Und ob man in Russland den Rechtsweg beschreiten kann, das muss man sehen. Ich habe nicht ein sehr großes Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit Russlands. Aber wir wollen nicht – und das sage ich ausdrücklich -, dass die Dinge eskalieren. Deswegen wollen wir Lösungen anstreben, die es uns und anderen Stiftungen, vor allen Dingen aber den russischen Nicht-Regierungsorganisationen ermöglichen, weiter für die gute Sache, für Demokratie und Freiheit einzutreten.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, vormals Präsident des Europäischen Parlaments. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Pöttering: Ich danke Ihnen, Herr Müller. Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Razzien in Russland auch bei deutschen Stiftungen
Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Ist der Putin-Staat ein Autokratenstaat?
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Müller: Sagen wir das deutlich genug?
Pöttering: Ich glaube, wir sagen es deutlich und wir müssen es in diesen Tagen sehr deutlich sagen, insbesondere auch angesichts des Besuches des russischen Präsidenten in Deutschland, wenn ich das Datum richtig im Kopf habe, am 7. April, denn er kommt zur Eröffnung der Hannover-Messe, die ja in diesem Jahr Russland als Gastland hat. Und deswegen sind auch wegen dieser zeitlichen Zusammenhänge die Vorgänge in Russland nicht nur unverständlich, sondern alarmierend, und wir müssen in schärfster Form diese Vorgänge kritisieren.
Müller: Angela Merkel wird jetzt schon wieder das Lächeln üben.
Pöttering: Ich habe keinen Zweifel, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel wie auch in anderen Fällen, auch wenn es um die Verletzung von Menschenrechten geht, das Nötige sagen wird. Dafür ist sie ja bekannt, dass sie nicht kuscht vor denjenigen, die autoritär regieren oder die Diktatoren sind.
Müller: Könnte man auch sagen, bleib doch besser erst mal zuhause?
Pöttering: Nein, so weit wollen wir nicht gehen. Wir wollen ja die Situation nicht eskalieren lassen, sondern wir müssen jetzt der russischen Regierung sagen, so verhält man sich nicht, wenn man eine Demokratie ist, und man kann sich aus einer freien Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht ausklinken und man kann nicht zurückkehren zu Entwicklungen, wie wir sie im Kalten Krieg und im Kommunismus hatten. Und Sie haben ja mit Recht eben in Ihrem Bericht darauf hingewiesen, auf diese Begrifflichkeit der Agenten, und das ist die Sprache des Kommunismus, das ist die Sprache der Geheimdienste.
Müller: Sie haben gestern mehrfach mit den Mitarbeitern vor Ort, also in St. Petersburg und sonst wo, auch noch telefoniert. Wie war dort die Resonanz, wie war dort die Stimmung?
Pöttering: Natürlich sind wir sehr enttäuscht über dieses Verhalten der russischen Behörden und wir erwarten jetzt, dass Russland sich so verhält, wie man sich in einer Demokratie verhält, dass die Computer zurückgegeben werden. Und vor allen Dingen das Besorgnis erregende ist ja auf der einen Seite natürlich das Vorgehen gegen die deutschen und andere Stiftungen, aber das wirklich Bedrückende und Alarmierende ist ja das Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft in Russland selber, dass man ganz offensichtlich die Nicht-Regierungsorganisationen aus Russland, die also aus Menschen, aus Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern Russlands bestehen, dass man die kontrollieren will, dass man sie in ihren Möglichkeiten einschränken will, und das ist das eigentlich Verhängnisvolle in Russland und das zeigt eine Entwicklung, die weggeht von einer demokratischen Entwicklung. Und was Russland nicht geleistet hat - und das ist etwas geistig Moralisches und damit auch Politisches -, dass man die Hinterlassenschaft, die Verbrechen, den Totalitarismus des Kommunismus nicht wirklich aufgearbeitet hat, wie wir es ja Gott sei Dank in Deutschland getan haben mit dem Nationalsozialismus, und diese Nichtaufarbeitung der tragischen, der verbrecherischen Geschichte der Sowjetunion schafft eine geistig-moralische Grundlage, die verhängnisvoll ist, und hier hat Russland noch einen weiten Weg zu gehen, und ich hoffe, dass dieses Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft in Russland jetzt, dass das korrigiert wird. Hier müssen wir unsere Stimme erheben und ich bin dankbar für die Unterstützung der Bundesregierung, des Bundeskanzleramtes, des Außenministeriums, aber es ist auch ein Anliegen für die gesamte Europäische Union.
Müller: Herr Pöttering, Sie sind ja jetzt überaus deutlich geworden. Vermissen Sie diese Deutlichkeit – wir hatten zu Beginn des Interviews schon darüber gesprochen – manchmal ein wenig in der deutschen Politik?
Pöttering: Nein, in der deutschen Politik vermisse ich es nicht. Aber wir müssen insgesamt als Europäische Union und gerade auch jetzt bei den großen Herausforderungen, die die Europäische Union ja hat bei den Finanzen, zusammenstehen und wir müssen wissen, wir in der Europäischen Union sind eine Wertegemeinschaft, die sich gründet auf Menschenrechte, auf die Würde des Menschen, auf die Freiheit, auf die Solidarität, und wenn wir dieses deutlich machen, dann erkennen wir auch wieder die Werte, auf die sich die Europäische Union gründet, und können dann auch uns im Verhalten zu Staaten wie Russland auf unsere Werte besinnen und sie deutlich machen, und dieses fordere ich ein.
Müller: Wir fragen Sie ja auch als Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung. Haben Sie über mögliche Konsequenzen nach diesen Durchsuchungen gestern, vielleicht folgen auch noch weitere, über Konsequenzen nachgedacht? Was könnte folgen?
Pöttering: Natürlich denkt man darüber nach, wie es weitergeht. Wir können nicht akzeptieren, wenn man von uns verlangen würde, dass wir unsere Aktivitäten mit den Behörden absprechen. Das würde uns die Luft zum Atmen nehmen bei unserem Handeln. Aber wir erwarten, dass es nicht so weit kommt, sondern wir hoffen und wir drängen darauf im Verhältnis zu unseren russischen Partnern, dass wir so arbeiten können wie überall in der Welt, dass wir eine Partnerschaft aufbauen, die sich gründet auf Offenheit, auf gegenseitigen Respekt, auf Würde, auf Demokratie. Das ist die Politik des 21. Jahrhunderts, die wir auch von Russland erwarten, und nicht die Rückkehr in die Vergangenheit.
Müller: Genau das, sagen Sie ja selbst, finden Sie im Moment nicht vor. Gibt es in Russland auch für Sie möglicherweise einen Rechtsweg?
Pöttering: Das wird man prüfen müssen. Es bleibt jetzt abzuwarten, wie die russischen Behörden vorgehen. Es ist ja jetzt unsere Vertretung in St. Petersburg betroffen, unsere Vertretung in Moskau direkt nicht. Wir warten jetzt zunächst einmal ab. Und ob man in Russland den Rechtsweg beschreiten kann, das muss man sehen. Ich habe nicht ein sehr großes Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit Russlands. Aber wir wollen nicht – und das sage ich ausdrücklich -, dass die Dinge eskalieren. Deswegen wollen wir Lösungen anstreben, die es uns und anderen Stiftungen, vor allen Dingen aber den russischen Nicht-Regierungsorganisationen ermöglichen, weiter für die gute Sache, für Demokratie und Freiheit einzutreten.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, vormals Präsident des Europäischen Parlaments. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Pöttering: Ich danke Ihnen, Herr Müller. Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Razzien in Russland auch bei deutschen Stiftungen