Eine Seitenstraße der Essener Fußgängerzone: Viel ist hier morgens noch nicht los – nur der Aus- und Eingang eines Geschäftshauses wird schon rege benutzt – vorwiegend von jungen Paaren.Mit angespannter Miene steigen sie in den zweiten Stock – in die Klinik Novum, dem Essener Zentrum für Reproduktionsmedizin: "Das ist der OP-Raum, in dem die Eizellen gewonnen werden."
Franz B. Kolodziej leitet das IVF-Labor der Klinik – IVF steht für: In-vitro-Fertilisation, die Befruchtung von Eizellen im Glas: "Wir kultivieren dann diese Eizellen, diese befruchteten Eizellen, und nach spätestens fünf Tagen transferieren wir diese Embryonen dann in die Patientin zurück. Das ist so die Routine hier."
Im Labor ist es warm. Kleine und große Inkubatoren – Brutschränke – stehen in einer Reihe an der Wand. Die größeren haben in etwa die Maße eines kleinen Kühlschranks. Sie sind älteren Baujahres, in ihnen stehen Petrischalen – darin: Tropfen von Nährlösung. Eine Nacht lang werden sie vorbereitet, damit sie am folgenden Tag bereit sind für die Eizellen, die sie schützen und nähren sollen: "Wir haben hier zunächst einmal 37 Grad, die Körpertemperatur. Und dann eine spezielle Atmosphäre: Reduzierten Sauerstoff. Wir haben dort nur fünf Prozent und wir haben sechs Prozent CO2."
Erfolgsquote zwischen 30 und 40 Prozent
Die befruchteten Eizellen kommen dann in die neueren, kleinen Inkubatoren, die an Werkzeugkästen erinnern. Kinderwunschbehandlung, das ist auf den ersten Blick eine sehr technische Angelegenheit – individuell ist es aber immer ein Wendepunkt im Leben der Patienten, oft verbunden mit emotionalen Krisen: "Wenn wir sagen, die Erfolgsquote, sagen wir mal bei den Reagenzglasbefruchtungen, liegt zwischen 30 und 40 Prozent. Das heißt von drei Frauen, bei der das gemacht wird, klappt es bei Zweien nicht – und die fallen in ein tiefes Loch."
Thomas Katzorke ist der ärztliche Leiter der Klinik Novum und kennt die Hoffnungen, mit denen Männer und Frauen in seine Praxis kommen: dass es doch endlich klappt mit der Schwangerschaft. Dass irgendwann mal der richtige Partner zum Kinderwunsch dazu kommt. Dass eine Krebskrankheit überwunden wird und das Kinderkriegen dann immer noch möglich ist. Für Katzorke stehen diese individuellen Schicksale im Vordergrund. Die gesetzlichen Regelungen empfindet er als zu streng.
Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wird der Umgang mit Embryonen konservativer gehandhabt als in anderen europäischen Ländern wie Belgien oder Spanien: "Im Ausland können Embryonen eingefroren werden. Das ist hier in Deutschland eigentlich nur im Notfall möglich. Deshalb wurde in Deutschland auch eine Methode entwickelt, die sonst im Ausland kaum existiert", erläutert Laborleiter Kolodziej die praktischen Konsequenzen des Embryonenschutzgesetzes.
"Wir frieren Eizellen – und zwar sogenannte penetrierte Eizellen, Vorkernstadien. Das ist ein ganz spezieller deutscher Weg. In diese Eizelle, in die gelangt ein Spermium, die ist noch nicht befruchtet, weil die Befruchtung definiert ist als die Verschmelzung von einem weiblichen und einem männlichen Vorkern. Aber bevor diese Verschmelzung stattfindet, können wir diese Eizellen einfrieren, weil sie dem Embryonenschutzgesetz nicht unterliegen." Gelagert werden diese Eizellen in einem gesonderten Raum: "Das ist unser Kryolabor und damit betreten Sie auch die Firma Cryostore."
Hier ist es gleich ein paar Grad kühler. Auf dem Boden stehen Behälter, die an große Gaskartuschen erinnern: Die kniehohen Zylinder, etwa 40 Zentimeter im Durchmesser, laufen oben zu einer tassengroßen Öffnung zusammen: "Das sind alles stickstoffgefüllte Behälter, in denen eine Temperatur von minus 190 Grad herrscht und dadrunter. Diese Behälter sind vakuumisolierte Behälter, sogenannte Dewargefäße, die also dann, wenn man den Stickstoff einfüllt, so ähnlich wie eine Thermoskanne funktionieren."
"Wir feiern jedes Mal, wenn eine schwanger geworden ist"
Nur dass in ihnen kein Tee warm-, sondern menschliche Spermien, Eizellen oder auch Eierstockgewebe kaltgehalten werden. Der Biologe Kolodziej hat eine Doppelfunktion – er leitet das IVF-Labor und ist gleichzeitig der Geschäftsführer des Cryostore – so heißt die Gewebebank, die zum Kinderwunschzentrum gehört. Der Cryostore ist aber eine ausgegliederte GmbH – denn die Lagerung von Spermien oder Eizellen ist keine ärztliche, sondern eine gewerbliche Tätigkeit.
Diese spezielle Aufgabe wird unter ein betont nüchternes Motto gestellt: "Keeping Life cool." Die Essenz des Kinderwunsches, eine Dienstleistung – knapp 300 Euro im Jahr für einen Platz in der Lagerhalle des Lebens. So nüchtern und technisch es auch zugeht bei der Kälte-Konservierung – Kolodziej ist voller Begeisterung für seinen Beruf, den er seit 30 Jahren ausübt: "Wenn Sie eine Eizelle gesehen haben oder eine wunderschöne Embryo, eine Blastocyste, das ist wirklich ein toller Anblick. Wir haben noch den Vorteil vielleicht hier in unserem Labor, wir arbeiten sehr patientenorientiert. Es sind unsere Patientinnen, es sind unsere Embryonen. Und wir feiern jedes Mal, wenn eine schwanger geworden ist."
Das könnten bald auch Patientinnen sein, die ihre Eier nicht aus medizinischen, sondern sozialen Gründen in der Eizellen-Bank gelagert haben – Social Freezing heißt dieses Phänome: "Wir haben viele Anfragen und es sind auch einige Patienten jetzt bereits in der Vorbereitung. Aktuell haben wir Eizellen von zehn Patientinnen –also es gibt keine medizinische Indikation, es ist mehr eine soziale Entscheidung."
Im Vergleich zur Eizelle, die wegen der Karriereplanung in die Kältekammer wandert, ist die Samenbank das weitaus etabliertere Geschäftsmodell. Kein Wunder, legt die Biologie die Hürden da auch deutlich tiefer.