Archiv

Social Freezing
Ideale Lösung oder gefährliche Falle?

Beim Social Freezing lassen Frauen ihre Eizellen einfrieren, um im höheren Alter mittels künstlicher Befruchtung ein Kind austragen zu können. Doch das Verfahren, den Kinderwunsch auf Eis zu legen, ist ethisch hoch umstritten.

Von Burkhard Schäfers |
    Das Monitorfoto zeigt das Einbringen einer Samenzelle in eine Eizelle mittels Mikropipette unter dem Mikroskop.
    Das Monitorfoto zeigt das Einbringen einer Samenzelle in eine Eizelle mittels Mikropipette unter dem Mikroskop. (Hubert Link, dpa)
    "Eizellen einzufrieren, ermöglicht Frauen den beruflichen Aufstieg und wird das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern verringern."
    So jubilieren die einen.
    "Social Freezing verbreitet falsche Hoffnungen. Es fördert soziale Kälte", warnen die anderen. Hartmut Kreß, Professor für evangelische Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik an der Universität Bonn, hält Social Freezing für akzeptabel. Es stärke die Persönlichkeitsrechte von Frauen.
    "Eine Frau hat das Recht, über Fortpflanzungsfragen eigenständig, eigenverantwortlich zu entscheiden. Das heißt, es erhöht die Wahlmöglichkeit von Frauen, von daher wird das Selbstbestimmungsrecht unterstützt und gestärkt. Generell: Gesellschaftlich, rechtlich ist dieses Verfahren vertretbar. Es ist kein Fall für den Gesetzgeber und schon gar nicht ein Fall für ein gesetzgeberisches Verbot."
    Beim Social Freezing werden der Frau Eizellen entnommen, eingefroren, zu einem späteren Zeitpunkt aufgetaut und im Reagenzglas künstlich befruchtet. Die Gründe dafür können mit der Karriereplanung zusammen hängen oder damit, dass eine Frau im gebärfähigen Alter nicht den richtigen Partner gefunden hat. Manche Kritiker wenden ein, das Verfahren sei ethisch nicht vertretbar, weil es einen willkürlichen Eingriff in die Natur darstelle.
    "Es ist schon ganz richtig, wenn man sich an natürlichen Gegebenheiten orientiert. Aber das was die Natur vorgibt, ist nicht als solches normativ verbindlich. Das wäre ein naturalistischer Fehlschluss, also aus dem Sein der Natur auf ein Sollen, auf das Gebotene zu schließen, das greift zu kurz. Wie der Mensch handeln soll und kann, das hat er je eigenverantwortlich zu entscheiden. Und das trifft auch auf diese konkrete Handlungsmöglichkeit des Social Freezing zu."
    Das sieht Kathrin Braun, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Hannover anders. Sie warnt vor den Folgen die es hat, wenn Schwangerschaften durch "Social Freezing" hinausgezögert werden.
    "Man kann natürlich sagen, dadurch wird eine Wahlmöglichkeit mehr geschaffen. Wenn man das rein individualistisch betrachtet, ist es so. Dabei wird aber unterschlagen, dass die reellen Chancen, ein Kind zu bekommen, wenn ich statt mein Kind bis Mitte 30 normal zu kriegen, das Schwangerwerden aufschiebe und es dann mit eingefrorenen Eizellen versuche, dass diese Chancen niedriger sind im Vergleich zum herkömmlichen Weg. So gesehen ist es eine Illusion, die da erzeugt wird, keine Wahlfreiheit."
    Wahrscheinlichkeit liegt bei rund 20 Prozent
    Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen nach einer künstlichen Befruchtung schwanger werden, liegt pro Anwendungs-Zyklus bei rund 20 Prozent. Wer sich Eizellen entnehmen lässt, wird zuvor zehn bis zwölf Tage lang mit Hormonen behandelt, um die Zahl der Eizellen zu erhöhen.
    "Das ist sehr unangenehm, oft auch schmerzhaft. Das ist mit aufgeblähtem Magen verbunden, mit Völlegefühl und Übelkeit. Und es gibt auch ein schweres Überstimulationssyndrom, das kann zu Lungen- oder Nierenversagen führen. Das Risiko ist nicht so groß, bei circa einem Prozent, aber es besteht. Dieses Risiko gehen Sie schon mal ein."
    Das jetzt so heftig diskutierte Verfahren ist erst seit gut zwei Jahren auf dem Markt, mögliche Langzeitfolgen sind deshalb noch gar nicht bekannt. Dennoch betrachten die Befürworter Social Freezing als einen Beitrag zu mehr Geschlechter-Gerechtigkeit. Kathrin Braun widerspricht:
    "Das ist ein Beispiel dafür, dass einmal mehr das Defizit aufseiten der Frauen gesucht wird. Wenn wir schlechtere Berufschancen, schlechtere Aufstiegschancen und schlechtere Löhne haben, liegt das angeblich in der Biologie der Frau."
    Mit Social Freezing, so die Politikwissenschaftlerin, verschiebe sich die Debatte: weg vom sozialen Problem – den Arbeitsbedingungen – hin zu einem biologischen Problem. Das aber gehe an den eigentlichen Ursachen, warum Frauen tendenziell später Kinder bekämen, vorbei.
    "Der Grund ist, dass die Kinderbetreuung nach wie vor mangelhaft ist, dass die Erwerbsarbeit nicht darauf eingerichtet ist, dass Menschen auch noch Kinder haben. Und dass es nicht wirklich ernsthafte Bemühungen gibt, das zu ändern."
    Die Unternehmen Apple und Facebook in den USA haben angekündigt, junge Mitarbeiterinnen finanziell zu unterstützen, die ihre Eizellen einfrieren lassen wollen. Ein insgesamt gutes Angebot, um Frauen Karriere und Kinder zu ermöglichen, meint Sozialethiker Kreß – wenn auch mit Einschränkungen:
    "Wenn sich ein Unternehmen engagiert für soziale Belange oder für gesundheitliche Belange von Mitarbeitern eintritt, auch Kostenerstattungen anbietet, über die Krankenkassenerstattung hinaus, das ist im Prinzip zu begrüßen. Aber auf jüngere Mitarbeiterinnen direkt oder indirekt Druck auszuüben, den Kinderwunsch auf spätere Jahre zu vertagen, das sollte nicht sein."
    Eben dies fürchtet Kathrin Braun, die politische Folgen der Biomedizin erforscht. Ihre Prognose: Künftig müssten Frauen zwischen 20 und 30 die schwierige Abwägung treffen, ob sie ihre Eizellen einfrieren lassen – in einer Situation, in der viele noch gar nicht überblicken könnten, wie sich ihr Leben in den nächsten Jahren entwickelt. Social Freezing sei daher eine gesamtgesellschaftliche Falle:
    "Es kann eine neue Norm, eine neue Erwartung damit verbunden sein. Für die Gesellschaft gesehen kann ein großer Druck erzeugt werden auf junge Frauen, dieses Angebot auch wahrzunehmen, um nicht selber verantwortlich dafür zu sein, dass sie eben doch schwanger werden zu einem Zeitpunkt, wo es dem Arbeitgeber eben nicht so passt."
    In Israel wird die Methode bejaht
    Von dem neuen Verfahren würden weniger die Frauen, als vielmehr in erster Linie Arbeitgeber und Anbieter profitieren, sprich die Reproduktionsmedizin, so Braun. Eine weitere offene Frage: Wie ist es um das Wohl der Kinder bestellt, die künstlich gezeugt werden und deren Eltern deutlich älter sind. Vertreter der christlichen Kirchen hierzulande betrachten Social Freezing skeptisch bis ablehnend. Interessant sei daher der Blick nach Israel, sagt Hartmut Kreß. Dort werde die Methode bejaht.
    "Israel ist ein sehr kinderfreundliches Land. Der Pro-Natalismus hat im Judentum eine lange und tief verwurzelte Tradition. Das wirkt sich auf den Umgang mit der Fortpflanzungsmedizin aus. Und dieses Social Freezing wird in Israel akzeptiert."
    Bleibt Social Freezing eine Option für den Einzelnen – oder wird es die gesamte Gesellschaft nachhaltig verändern? In einem wesentlichen Punkt sind sich Politikwissenschaftlerin Braun und Sozialethiker Kreß einig: Betroffene müssten sich mit den vielschichtigen Dimensionen des Themas auseinandersetzen.
    "Das Verfahren ist kostenträchtig, darüber hinaus belastend. Ich finde es ganz wichtig, dass sich eine Frau in einer solchen Situation auch behandlungsunabhängig beraten lässt, das heißt eine psychosoziale Beratung: Soll ich diese Option nutzen oder nicht."