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Social Freezing
"Jede Frau muss für sich entscheiden"

Es ist eine Entwicklung auf zahlenmäßig niedrigem Niveau, aber sie ist eindeutig: Immer mehr Frauen in Deutschland lassen sich Eizellen einfrieren. Dafür, den Kinderwunsch zu verschieben, gebe es unterschiedliche Gründe, sagte die Tübinger Ärztin Melanie Henes im DLF. Nur einer dürfe es niemals sein.

Melanie Henes im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.12.2014
    Die Eizell-Konservierung, auch Social Freezing genannt, ist eine Methode zur Vertagung des Kinderwunsches.
    In einem Stickstoffbehälter lagern Kassetten mit eingefrorenen Eizellen in einem Labor im Universitätsklinikum in Tübingen. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Das sogenannte Social Freezing "sollte auf keinen Fall als Druckmittel verwendet werden", so Melanie Henes, Leitende Oberärztin Kinderwunsch/Endokrinologie der Frauenklinik Tübingen, im Deutschlandfunk: "Jede Frau sollte selbst bestimmen können, wann und wie sie Kinder kriegen will."
    Nach Angaben des wissenschaftlichen Netzwerkes Fertiprotekt nutzten im Jahr 2013 in Deutschland 134 Frauen das Angebot zum sogenannten Social Freezing, 2012 waren es erst 22 gewesen. Auch sie habe an ihrer Klinik eine wachsende Nachfrage festgestellt, im Schnitt seien die Frauen zwischen 35 und 40 Jahren Jahren alt. Bei einigen sei die berufliche Karriere die Motivation, andere hätten noch keinen Partner gefunden und festgestellt: "Jetzt wird es knapp, meine Uhr tickt." Die Methode sei aber nicht für alle als Regel zu empfehlen.
    Die anschließenden Schwangerschaften seien zwar "risikohafter", sie könnten aber "gemanaget" werden, so Henes. Das genetische Risiko entspreche dem des Zeitpunkts der Einfrierung, das der Schwangerschaft bleibe allerdings, deshalb würde auch nur Schwangerschaften bis zum Alter von 50 Jahren ermöglicht. Vor allem sei die Methode für Frauen entwickelt worden, die an Krebs erkrankt sind.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Das Jahr 2014 hat eine neue Wortschöpfung gebracht, das Social Freezing – bedeutet, dass eine Frau sich Eizellen entnehmen und einfrieren lässt, um irgendwann später doch noch mal ein Kind bekommen zu können. Gestern hat ein wissenschaftlicher Arbeitskreis mitgeteilt, dass schon in 2013 das Social Freezing regelrecht explodiert ist, um das Sechsfache auf 300 Frauen – in absoluten Zahlen noch nicht so viel, aber zeichnet sich da ein sozialer Trend ab: Eizellen spenden heute, Kinder kriegen, später? Melanie Henes ist leitende Oberärztin für die Kinderwunschsprechstunde an der Uni-Frauenklinik Tübingen. Guten Morgen, Frau Henes!
    Melanie Henes: Guten Morgen!
    Meurer: Haben Sie in diesem Jahr mehr Frauen als früher gefragt, ob sie sich Eizellen bei Ihnen entnehmen lassen können?
    Henes: Absolut. Wir haben dieses Jahr deutlich mehr Patientinnen gehabt, die sich damit vorgestellt haben, als im Vergleich zum Vorjahr.
    Meurer: Wie alt sind die Frauen im Schnitt?
    Henes: Im Schnitt sind die Frauen zwischen 35 und 40 Jahre. Leider kommen die Frauen doch deutlich später, als man sich das natürlich wünschen würde, damit man wirklich eine sehr gute Chance auf eine Schwangerschaft im späteren Leben hat.
    Meurer: Was ist denn sozusagen das Wunschalter, das Sie empfehlen?
    Henes: Also im Prinzip hätten wir die Frauen am liebsten um die 30 Jahre oder sogar noch früher, bis 35 sieht man eigentlich noch eine gute Chance, danach wird es einfach doch schon etwas schwerer.
    Meurer: Warum kommen die Frauen zu Ihnen, Frau Henes?
    Henes: Also die Frage nach diesem Social Freezing, nach dem Einfrieren von Eizellen für die spätere Schwangerschaftsplanung wird häufig bei Frauen gemacht, die entweder beruflich sehr eingespannt sind, Karriere verwirklichen wollen und sich deshalb sozusagen das aufsparen wollen, oder, was wir leider auch sehr häufig sehen, dass Frauen einfach keinen Partner bis dato gefunden haben und deswegen sich dann bei uns vorstellen. Und gerade die Frauen sind meistens einfach älter, die dann merken: Jetzt wird es knapp, meine Uhr tickt.
    Meurer: Wenn die Frauen zu Ihnen in die Sprechstunde kommen an der Uni-Frauenklinik Tübingen, erfüllen Sie dann immer deren Wunsch?
    Henes: Also wir beraten die Frauen erst mal ausführlich, wir gucken natürlich: Gefährde ich die Frau mit einer Stimulationstherapie? Das ist ja ein ganz wichtiger Punkt. Wir gucken: Was macht die aktuelle Eierstockreserve? Sehe ich überhaupt wirklich, dass das bei der Patientin zu einem guten Erfolg führen wird? Und dann wird nach ausführlicher Aufklärung gegebenenfalls die Therapie durchgeführt.
    Meurer: So, und über den Daumen gepeilt, in wie vielen Fällen sagen Sie ja, in wie vielen Fällen nein?
    Henes: Also dass wir jetzt wirklich nein sagen, das wäre wirklich nur, wenn ich die Patientin damit gefährde. Also wenn ich sie durch eine Stimulationstherapie gefährde, dann würde ich tatsächlich nein sagen. Bei allem anderen kann man, je nach Risikosituation sozusagen, nach ausführlicher Aufklärung das natürlich durchführen.
    Meurer: Das Ganze geht ja dann weiter, Eizellen-Entnahme ist das eine, der nächste Schritt ist ja, dass die Eizellen tiefgefroren werden müssen, in Stickstoff, glaube ich, geschieht das. Wer macht das? Bieten Sie das an an der Uniklinik?
    Henes: Selbstverständlich. Das muss ja sozusagen auch hier bei uns laufen. Wir haben hier direkt ein IVF-Labor, in dem wir ja auch für die Routine, für die normale Kinderwunschpatientin Eizellen eingefrieren, und da gefrieren wir dann eben auch diese Eizellen ein, also es ist direkt hier bei uns in der Kinderwunschsprechstunde in unserem eigenen Labor.
    Meurer: Warum, glauben Sie eigentlich, hat das so sehr zugenommen, um das Sechsfache insgesamt? Um wie viel hat es bei Ihnen zugenommen?
    Henes: Also diese Zahl könnte ich, denke ich, auch so befürworten.
    "Die Frauen sind selbstbewusster geworden"
    Meurer: Warum ist das so?
    Henes: Schwierige Frage. Ich denke, die Aufklärung, die zunehmende Aufklärung ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Frauen sind selbstbewusster geworden, sie möchten sich auch ihre Karriere verwirklichen, sie möchten sich trotzdem das Offenhalten, Kinder zu bekommen. Also ich denke, das sind alles Faktoren, die da eine große Rolle spielen.
    Meurer: Für viele Schlagzeilen in diesem Jahr hat ja das Angebot von US-Konzernen wie Apple und Facebook gesorgt, dass sie den Frauen in ihren Unternehmen anbieten, Social Freezing plus die Einfrierkosten zu bezahlen. Da war von 20.000 Dollar die Rede. Ist das so teuer?
    Henes: Also Sie müssen sich ja vorstellen: Sie machen einen Zyklus. Je jünger die Frau ist, desto mehr Eizellen können Sie eingefrieren mit deutlich niedrigeren Kosten für die Stimulation. Da kommen Sie pro Zyklus sicher nicht auf diese immensen Summen.
    Und dann muss man aber auch noch sehen: Später muss man diese Eizellen auch wieder auftauen, man muss sie der künstlichen Befruchtung zuführen und muss sie dann wieder einsetzen. Also ich denke, ein Zyklus insgesamt – da sind Sie eher bei 2.500 Euro. Also das ist doch ein sehr, sehr hoch gegriffener Betrag.
    Meurer: Es gibt ja ziemlich viele Argumente gegen das Social Freezing, nehmen wir schon mal eins: Social Freezing führt dazu, dass das Alter bei der Schwangerschaft noch mehr gesteigert wird und jetzt 45-, 50-jährige oder noch ältere Frauen ein Kind bekommen. Eine gefährliche Entwicklung?
    Henes: Also insgesamt muss man immer, wenn man einer Patientin später die Eizellen zurückgibt, natürlich einen Gesundheitscheck machen. Man muss sie auch da wieder aufklären und gut betreuen.
    Also ich würde sicher nicht jeder Patientin, wenn sie sehr krank ist, dann die Eizellen zurückgeben. Und wir haben im deutschen Raum im Rahmen des Netzwerks FertiProtekt gesagt: Wir geben nicht über 50 Jahren zurück, um einfach da nicht in eine gefährliche Situation zu kommen.
    Meurer: Sind solche späten Schwangerschaften nicht immer Risikoschwangerschaften?
    Henes: Sie sind risikohafter, das ist sicher richtig, aber sind nicht alle jetzt mit so einem hohen Risiko behaftet, dass man das nicht managen kann. Und man muss natürlich auch sehen, dass die Eizellen ja jung eingefroren werden, und damit eben das genetische Risiko ja dem entspricht, was die Eizelle bei Alter des Eingefrierens entsprochen hätte.
    Meurer: Also habe ich das jetzt richtig verstanden: Das Risiko ist beim Social Freezing, ich sage mal, bei einer 45-Jährigen niedriger, als wenn Sie das auf natürlichem Wege tut mit 45?
    Henes: Nicht für die Schwangerschaftskomplikationen, aber wenn Sie zum Beispiel an das Risiko für genetische Auffälligkeiten denken, ist die Eizelle ja mit zum Beispiel 30 Jahren eingefroren worden.
    Meurer: Spielt das Alter des Mannes eigentlich bei der Gelegenheit auch eine Rolle?
    Henes: In dem Fall nicht so.
    "Es ist für die Patientinnen gedacht, die einfach im Moment keine Chance haben"
    Meurer: Insgesamt, wenn ich mal die Vorbehalte zusammenfasse, Frau Henes: Ist das nicht eine furchtbare Entwicklung, dass man auf so eine Idee jetzt kommt, um die Phase des Gebärens noch weiter hinauszuzögern?
    Henes: Also ich sehe es eigentlich nicht so, dass man das macht, um die Phase des Gebärens herauszuzögern, sondern man muss ganz einfach sagen: Es ist für die Patientinnen gedacht, die einfach im Moment keine Chance haben, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen.
    Wir machen das ja vor allem eigentlich bei Patientinnen, die eine Krebserkrankung haben, vor einer Chemotherapie. Aus dem heraus kommt es ja auch, also wirklich mit einem sehr guten Ansatz. Und ich denke, für eine Frau, die vielleicht im Moment wirklich es nicht verwirklichen kann, sollte es eine Option sein. Das ist sicher nicht so, dass wir das für alle Frauen und immer als Regel empfehlen würden.
    Meurer: Im Falle einer krebskranken Frau nach einer Krebstherapie – das wird jeder verstehen. Aber ist das nicht so was wie die totale Ökonomisierung des Lebens, dass zwischen 30 und 40 die Karriere es nicht zulässt, ein Kind zu kriegen?
    Henes: Das sind jetzt philosophische Fragen. Ich denke, es muss jede Frau für sich entscheiden. Das muss sie mit sich selber ausmachen oder ein Paar mit sich selber ausmachen.
    Henes: Man muss "die Frauen einfach in Schutz nehmen"
    Meurer: Sie hatten ja zwei Gründe genannt jenseits dieser Krebstherapie, von der das alles herkommt. Einmal, die Frau hat keinen Partner, und dann das andere Mal, sie ist beruflich zu eingespannt. Wie häufig ist das berufliche Argument zu finden in Ihrer Sprechstunde?
    Henes: Also ein deutlich höherer Ansatz ist wirklich das Problem: Ich hätte eigentlich gerne jetzt eine Familie, aber ich finde keinen Partner. Also ich habe ganz wenig Frauen tatsächlich hier bei mir gehabt, die wirklich jetzt gesagt haben: Ich möchte es beruflich im Moment nicht. Also muss man einfach auch die Frauen tatsächlich in Schutz nehmen.
    Meurer: Sagen die Frauen zu Ihnen, um Gottes Willen, das muss hier alles absolut diskret sein, ich habe Angst davor, wenn das rauskommt, dann werde ich stigmatisiert?
    Henes: Also Kinderwunsch ist immer ein Thema, worüber die Frauen sehr ungern sprechen, und beim Social Freezing noch extremer. Also auf gar keinen Fall möchten die Patienten damit an die Öffentlichkeit gehen.
    "Jede Frau sollte selbst bestimmen können, wann und wie sie Kinder kriegen möchte"
    Meurer: Die einen sagen, das gibt den Frauen mehr Freiheit, die biologische Uhr wird nach hinten sozusagen gedreht, die anderen sagen, Frauen werden zu Arbeitsbienen degradiert, Job ist wichtiger, später irgendwann mal Kinder kriegen. Was meinen Sie selbst?
    Henes: Also ich denke, es kann vielleicht eine kleine Versicherung, vielleicht eine einfache Beruhigung für die Frau sein, es sollte auf gar keinen Fall als Druckmittel verwendet werden, dass man als Firma vielleicht sagen kann: Mache doch Social Freezing, anstatt Kinder zu bekommen. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Jede Frau sollte selbst bestimmen können, wann und wie sie Kinder kriegen möchte.
    Meurer: Sollte dann die Krankenkasse das bezahlen, damit der Druck wegfällt?
    Henes: Ich denke, das sollte schon eine Option wirklich in Spezialsituationen sein, und da wäre natürlich in erster Linie vielleicht mal schön, wenn die Krankenkassen es wirklich bei Krebspatientinnen bezahlen würden. Ich denke, das sollte der erste Schritt auf jeden Fall sein.
    Meurer: Melanie Henes ist leitende Oberärztin an der Universitäts-Frauenklinik Tübingen, leitet dort die Sprechstunde für Hormon- und Kinderwunschbehandlung. Frau Henes, danke schön und auf Wiederhören nach Tübingen!
    Henes: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.