Ralf Krauter: Die chinesische Staatsführung baut gerade eines der leistungsfähigsten digitalen Überwachungssysteme. In einem ersten Schritt soll das Verhalten der Bürger komplett erfasst und bewertet werden. Ab dem Jahr 2020 soll für jeden Chinesen ein individueller Verhaltenswert, ein Social Score, in Echtzeit ermittelt werden. Wir haben darüber ja bereits berichtet. Mit einfließen in diesen Social Score soll auch das Online-Verhalten der Bürger. So erwartet die Parteiführung, dass Videos und Botschaften des Vorsitzenden der KP eifrig kommentiert und gelobt werden. Aber das ist offenbar nicht so einfach. Warum, Peter Welchering?
Peter Welchering: Die Chinesen haben da zu viel mit Copy und Paste gearbeitet und zum Beispiel Videos mit Ansprachen von Xi Jinping gar nicht so richtig aufmerksam verfolgt. Deshalb soll die Akademie der Wissenschaften nun Prüfalgorithmen erarbeiten, mit denen das Online-Verhalten der Bürger besser bewertet und gepunktet werden kann.
Krauter: Was sollen diese Algorithmen genau prüfen?
Welchering: Also ein Entwurf sieht vor, dass Kommentare, die einfach mit Copy & Paste eingefügt werden, zu Punktabzug beim Social Score führen sollen. Die Bürger sollen sich da schon Mühe geben. Geprüft wird deshalb, die Ergebnisse einer Forschungsgruppe, die über Mustererkennung gearbeitet hat, bei der Punktvergabe fürs Social Scoring mit einzubeziehen. Punkte gäb es dann für enthusiastische Kommentare und Likes, die von Herzen kommen.
Mimikauswertung beim Liken
Krauter: Weiß man schon, wie die Software herausbekommen soll, wie enthusiastisch ein chinesischer Internet-Nutzer eine Ansprache von Xi Jiping gelikt hat?
Welchering: Eine Möglichkeit ist da die Mimikauswertung. Das Liken und Kommentieren passiert ja in der Regel auf Smartphones und Tablets. Bei denen ist eine Kamera eingebaut. Die könnte dann zum einen die Identität des Kommentierenden ermitteln. Das ist auch so ein Punkt. Da liken einfach Ehemänner für ihre Frauen die Reden des Vorsitzenden, damit das Punktekonto der Dame des Hauses auch stimmt. Das soll ausgeschlossen werden. Deshalb muss überprüft werden, dass der Smartphone-Besitzer auch wirklich vor dem Smartphone sitzt und kommentiert. Und wenn das Smartphone ohnehin das Gesichtsfoto des Kommentierenden an den Server schickt, damit seine Identität überprüft werden kann, dann kann auch noch schnell eine Software für die Mimikerkennung drüber gehen. Und die kann ermitteln, wie begeistert der Kommentierende denn wirklich ist.
Krauter: Kann ich einer Software für die Mimikerkennung Begeisterung nicht ziemlich einfach vorspielen?
Welchering: Das hängt davon ab, wie intensiv ausgewertet wird. Mit der Smartphone-Kamera kann ja auch etwa der Blutdruck ermittelt werden. Das funktioniert über eine Auswertung der Hautäderchen auf dem Gesichtsbild. Und wenn ich da jetzt in die Kamera lächle und Begeisterung vortäusche, aber mein Blutdruck auf Normalniveau bliebt, erkennt auch die Software, dass diese Begeisterung gespielt ist. Ob der Blutdruck wirklich analysiert werden muss, ist dann noch die Frage. Denn schon die bisherige Mimiksoftware bietet Ansätze, vorgespielte von echter Begeisterung zu unterscheiden. Außerdem kann noch die Tippfolge, der Tastaturanschlag ausgewertet werden. Auch da erhält die Mustererkennung Kriterien für die Bewertung von Begeisterung.
Künftiges Verhalten soll vorhersagbar sein
Krauter: Und Punkte für meinen Social Score gibt’s dann nur, wenn ich richtig begeistert bin?
Welchering: Die Punktevergabe wird noch diskutiert. Denn es geht ja schon seit längerer Zeit nicht nur um eine abstrakte Punktzahl für den Social Score, sondern darum, Bürger zu staatspolitisch einwandfreien und positiv denkenden Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen. Um die Bürger hier – aus Sicht der Regierung - vor Fehltritten zu bewahren, soll auf der Grundlage der für das Social-Score-System erhobenen Daten das künftige Verhalten eines jeden einzelnen Bürgers berechnet und vorhergesagt werden. Denn nur dann kann die Staatsmacht rechtzeitig einschreiten und Menschen effektiv davon abhalten, eine Straftat zu begehen. Bei sehr linientreuen Bürgern ist die Wahrscheinlichkeit, dass die irgendwie abweichendes Verhalten zeigen oder eine Straftat begehen, gering. Deshalb sollen auch solche Mustererkennungen in die Prognose mit einfließen, wie sich der einzelne Bürger in nächster Zeit verhalten wird.