Am 20. März entfallen Großteil der bundesweiten Coronaschutzmaßnahmen. Das sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der heute (17. März) auch auf der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beraten wird und am Freitag im Bundestag verabschiedet werden soll. Angesichts erneut steigender Covid-Infektionszahlen regt sich jedoch breiter Widerstand gegen die Gesetzesnovelle, die nur noch wenige allgemeine Schutzregeln mit Masken- und Testvorgaben etwa in Kliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen sowie im öffentlichen Personennah- und -fernvehr vorsieht.
Neben der Aufhebung der allgemeinen Maskenpflicht für Innenräume, etwa auch für Schulen, steht vor allem die sogenannte Hotspot-Regelung in der Kritik. Diese soll es den Bundesländern ermöglichen, in Gebieten, in denen "die konkrete Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage besteht", weitergehende Maßnahmen anzuordnen - etwa Vorgaben zum Tragen von Masken, Abstandregeln sowie Test- und Hygienevorschriften. Voraussetzung dafür ist die Feststellung einer besonders kritischen Lage durch einen Beschluss des jeweiligen Landesparlaments. Unklar ist allerdings, wann die Voraussetzungen für einen solchen Beschluss erfüllt sind.
Söder bezeichnet Gesetzenwurf als „Sprung ins Unbekannte“
Dies ist auch einer der Hauptkritikpunkte von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, die der CSU-Politiker vor dem Bund-Länder-Treffen am Donnerstag im Deutschlandfunk äußerte. Wenn die Definition nicht geklärt sei, werde keine dieser Regeln vor Gericht Bestand haben, sagte Söder in den Informationen am Morgen und kündigte an, der Gesetzesnovelle im Bundesrat nicht zuzustimmen.
Den Entwurf der Regierung bezeichnete er als „Sprung ins Unbekannte“. Obwohl Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ständig vor neuen Corona-Wellen warne, setze mitten in einer Phase rasant steigender Zahlen den Wegfall nahezu aller Schutzregeln um. Das Konzept sei „Kubicki pur“, meinte Söder unter Verweis auf den FPD-Politiker Wolfgang Kubicki, der sich in der Pandemie immer wieder für weniger Schutzmaßnahmen stark gemacht hat.
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Jasper Barenberg: Sie haben die Pläne der Regierung für das neue Infektionsschutzgesetz heftig kritisiert. Werden Sie die Pläne, wie sie jetzt auf dem Tisch liegen, am Freitag im Bundesrat denn ablehnen?
Markus Söder: Ja, die sind nicht zustimmungsfähig. Die Gründe sind eigentlich schon relativ klar beschrieben worden. Erstens einmal ist es ein relativ seltsamer Stil. Auch heute auf einer MPK wird einem einfach nur ein Ergebnis präsentiert, bei dem die Ampel selber gar nicht dahintersteht. Der Bundesgesundheitsminister hofft auf die Länder, nimmt ihnen aber jede rechtliche Möglichkeit, dann in einer Notsituation zu reagieren.
Das zweite Problem ist: Tatsächlich während Corona steil ansteigt, steigt die Politik quasi aus. Wir haben jetzt die Situation: Die FDP freut sich. Das ist jetzt wahrscheinlich das Kubicki-Pur-Konzept. Aber viele der Dinge, beispielsweise Schutz in der Schule wie Maske, ist nicht mehr möglich. Da droht auch die Gefahr einer Durchseuchung.
Und das dritte: Die Hotspot-Regel selbst hat keine effektive Wirkung. Zum einen ist das relativ unpraktisch. Man muss für jeden einzelnen Landkreis und jede Stadt künftig erst mal die Hotspot-Lage durch einen Landtagsbeschluss feststellen. Zum zweiten sieht es so aus - das wurde im Beitrag auch richtig erwähnt -, dass es völlig unbestimmt ist, nach welchen Kriterien das geht. Das heißt, es wird bei Klagen keine Chance geben, erfolgreich zu sein.
Und das dritte: Die Maßnahmen sind – man verzeihe mir die Formulierung – lauwarm, denn man kann dann wieder das machen, was jetzt zwar geht, Maske, 2G, 3G, aber im Dezember, wie wir eine schwere Mutation wie Delta erlebt haben, da mussten wir andere Maßnahmen treffen zum Schutz der Bevölkerung. All das fehlt und insofern ist das Ganze, ehrlich gesagt, nicht zustimmungsfähig.
"Dies ist einfach ein Sprung ins Unbekannte"
Barenberg: Herr Söder, viele Punkte. Das heißt, ich kann schon mal mitnehmen, ablehnen können Sie es nicht, es ist nicht zustimmungspflichtig, aber Sie können Einspruch erheben und das werden Sie am Freitag im Bundesrat auch tun und auf der Ministerpräsidentenkonferenz heute auch deutlich sich in dieser Weise zu Wort melden, habe ich jetzt mal für mich mitgenommen. Sie haben selber in der Vergangenheit gesagt, ein schrittweiser Ausstieg aus den Beschränkungen sei richtig. Gilt das jetzt nicht mehr?
Söder: Doch. Sie haben es völlig richtig formuliert: schrittweise. Dies ist kein schrittweise, sondern dies ist einfach ein Sprung ins Unbekannte. Es ist auch nicht mehr „Team Augenmaß“, sondern es ist schon ein bisschen „Team Blindflug“. Schauen Sie: Der Bundesgesundheitsminister warnt jeden Tag vor neuen gefährlichen Wellen. Gleichzeitig erklärt er die größte Lockerung, die wir je hatten. Das passt doch nicht zusammen. Das greift doch die Glaubwürdigkeit letztlich an.
Er muss sagen, entweder ist es gefährlich und es bleibt noch gefährlich; dann muss ich Schutzmaßnahmen machen, muss eine begleitende Infrastruktur entwickeln, um entweder die Erleichterung zu ermöglichen, oder im Zweifelsfall bei sehr schweren Verläufen dann auch wieder Möglichkeiten haben zu reagieren. Oder ich erkläre das Ganze für beendet, und das tut de facto dieses Gesetz. Es erklärt es für beendet und übergibt es einfach den Ländern. Das ist ja auch der Grund, warum ein grüner Ministerpräsident sich beschwert, ein SPD-Ministerpräsident Stephan Weil sich beschwert und ärgert darüber, und warum auch Unions-Leute sagen, das ist so vom Stil, aber auch von der Wirksamkeit nicht in Ordnung.
Söder: Hotspot-Regelung juristisch unsauber und unpraktisch
Barenberg: Und Sie als ein Vertreter der Länder trauen sich diese Verantwortung, das in Eigenregie zu behandeln, nicht zu?
Söder: Wenn jemand in den letzten Jahren bewiesen hat, dass er die Verantwortung übernehmen muss in solchen Situationen, und dafür bereit ist, auch harte Diskussionen zu führen, sind das doch die Länder. Die haben das ja gemacht. Der Unterschied ist nur folgender: Es gab eine rechtlich einwandfreie Basis durch den Bund. Die fehlt jetzt. In dem Beitrag vorhin sagte Herr Lauterbach, er hofft, dass die Länder irgendwie einen Weg finden, sich auf irgendwelche Kriterien zu einigen für die Hotspot-Regel. Dies ist rechtlich nicht möglich. Die Rechtsbasis für so einschneidende Maßnahmen wie eine Hotspot-Regel muss letztlich der Bund treffen.
Wenn die Definition nicht geklärt ist, dann wird vor den Klagen keine dieser Regeln vor Gerichten Bestand haben, und deswegen ist das juristisch unsauber, es ist unpraktisch, und das dritte: die Hotspot-Regel verdient den Namen nur bedingt, weil wir im Grunde genommen nur das machen könnten, was jetzt gerade im Moment am Ende einer Ausgangsphase einer pandemischen Entwicklung möglich ist. Aber wenn wirklich eine neue gefährliche Mutation käme, die den Impfschutz völlig aushebelt zum Beispiel, dann stehen wir völlig schutz- und wehrlos da, und da kannst Du als Land nichts machen, weil hier die Rechtsbasis fehlt.
"Mir macht vor allem das Thema Schulen Sorge"
Barenberg: Dann sagt der Bundesgesundheitsminister, dann sagt Karl Lauterbach, diese Regelung, die jetzt ins Auge gefasst ist, ist ja auch zeitlich befristet. Und wenn sich Änderungen ergeben, dann kann man auch wieder neue Regelungen miteinander vereinbaren. Das ist, soweit ich weiß, bis September befristet. Da bliebe ja genügend Zeit, dann noch mal nachzubessern, wenn jetzt unerwarteter Weise wieder, sagen wir, eine viel gefährlichere Mutante auftauchen würde.
Söder: Ich verstehe, was Sie sagen, und auch, was der Bundesgesundheitsminister meint. Es ist im Endeffekt zwar tatsächlich möglich. Die Ampel hat sich ja mehrfach bei Corona korrigiert - mehrfach. Schon im Dezember musste ein kompletter Neustart gemacht werden - mehrfach. Und in dem Beitrag wurde auch angesprochen, im Prinzip tut sich die Ampel schwer, überhaupt eine einheitliche Linie und Mehrheit zu finden. Bei uns im bayerischen Landtag haben die Grünen heftig polemisiert gegen die FDP, weil sie die Regeln eigentlich nicht mittragen wollen. Das zeigt nur letztlich, in einer solchen nach wie vor Krise neben der Krise - wir haben ja in der Tat zwei ganz große Krisen, Ukraine und auf der anderen Seite auch noch nach wie vor Corona - müssen wir doch Verlässlichkeit und Planbarkeit und Stabilität machen. Das ist in diesem Gesetz nicht der Fall.
Es ist auch letztlich so: In solchen Krisen dient eine MPK dazu, einen Austausch zu finden und dann gemeinsam zu beschließen. Wenn eine MPK als Ziel dient, informiert zu werden über das, was in einer Bundesregierung beschlossen wird, am Tag zuvor in den Medien steht, dann erschließt sich nicht so richtig der Sinn, wie man gemeinsam auf Augenhöhe arbeiten will. Es geht hier nicht um Profilierung von Parteien. Das hat in Corona sowieso keinen Sinn. Niemand hat da irgendeinen Profit. Im Gegenteil: Es geht um den Schutz der Bürger und gleichzeitig eine wirklich gute und maßvolle Begleitung aus der Pandemie.
Und wenn ich das noch sagen darf: Mir macht vor allem das Thema Schulen Sorge. Die Schülerinnen und Schüler sind seit zwei Jahren in dieser großen Pandemieschleife. Jetzt stehen wieder große Abschlussprüfungen an. Wenn man gar keine Möglichkeit hat, beispielsweise Maske zu machen in der Schule, zumindest für die Abschlussklassen, dann besteht die Gefahr, dass durch reihenweise Quarantäne möglicherweise diese Abschlussprüfungen in ihrer Qualität gefährdet sind. Das kann man doch nicht den jungen Menschen antun. Deswegen wäre es besser gewesen, solche Möglichkeiten noch zu haben.
Barenberg: Herr Söder, lassen Sie mich da gerne anschließen mit dem Blick auf Bayern. Das ist sehr interessant, finde ich, denn viel ging es um die Frage der Maskenpflicht und dass das für viele Kritiker jetzt ein entscheidender Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist. Nun haben Sie in Bayern ja beschlossen, dass in Grund- und Förderschulen ab Montag die Maskenpflicht komplett entfällt, eine Woche später auch in den fünften und in den sechsten Klassen - bei einer sehr hohen Inzidenz. Bei Schülerinnen und Schülern in dem Alter liegt sie, soweit ich mich erinnere, bei zirka 3.000 im Moment. Erklären Sie uns den Widerspruch zu der heftigen Kritik einerseits und den Beschlüssen, die Sie für Bayern schon gefällt haben, andererseits, dass zum Beispiel die Maskenpflicht wegfällt.
Söder: Ja, kann ich gerne machen. In den Grundschulen haben wir PCR-Testungen. Wir gehören zu den wenigen Bundesländern, die eine komplette PCR-Testung in den Grundschulen haben. Dadurch ergibt sich ein hohes Maß an Sicherheit, wenn da einmal die Woche ein PCR-Test stattfindet. In den weiterführenden Schulen finden aufgrund auch der Kapazitäten, die da sind - die meisten Länder haben überhaupt keine PCR-Tests in keiner Form der Schule -, Schnelltests statt. Wir wissen alle um die Sicherheit der Schnelltests. Dort bleiben die Masken bestehen.
"Ein Widerspruch, den man nicht auflösen kann"
Barenberg: Das Maskenproblem ist gar nicht das zentrale Problem bei dieser ganzen Debatte?
Söder: Das ist ein Problem. Ich habe auch beispielsweise gesagt, es geht mir um Abschlussklassen. Natürlich ist in einem normalen Schulunterricht ein normaler Quarantänefall schon eine Herausforderung. Aber in den Abschlussklassen - dort ist übrigens die Inzidenz, nehmen wir mal den Abiturbereich bei den 16- bis 19-Jährigen, mit am höchsten, zum Teil über 4.000 – da muss doch eine maximale Form von Schutz gegeben werden. Es ist etwas anderes, ob man freiwillig in eine Gastronomie-Einheit geht, ob man ins Theater geht oder ins Stadion geht. Da gibt es keine Pflicht. Aber in der Schule schon. Deswegen ist bei Schule ein höherer Schutzfaktor. Deswegen sagen die Lehrerverbände ja uni sono, dass das sinnvoll wäre, plädieren dafür.
Übrigens auch der Expertenrat der Bundesregierung, viele Mediziner finden die jetzigen Regelungen einfach überstürzt. Nicht der grundlegende Pfad, nicht der grundlegende Pfad. Omikron ist weniger gefährlich. Deswegen ist auch die Relation eine andere als bei Delta. Aber wie man den Weg beschreitet, wenn man plötzlich erklärt, am Zeitpunkt der höchsten Inzidenz, alles ist vorbei, das ist ein Widerspruch, den man nicht auflösen kann.
Aufnahme von Kriegsflüchtlingen muss von Bund koordiniert werden
Barenberg: Nehmen wir uns noch kurz Zeit für ein weiteres Thema, das heute bei der Besprechung mit dem Bundeskanzler eine wichtige Rolle spielen wird: der Umgang mit den vielen Kriegsflüchtlingen, von denen Tag für Tag mehr nach Deutschland kommen, viele auch in nächster Zeit nach Bayern kommen werden. Sind Sie gerüstet für die Betreuung dieser Menschen?
Söder: Ja, wir sind gerüstet. Wir haben auch mit allen Kommunen uns abgestimmt. Da wird unglaublich geholfen und gut gearbeitet. Allerdings braucht das auch noch eine Koordinierung durch den Bund. Der Bund hat sich jetzt ja bereit erklärt, mehr zu machen. Am Anfang gab es von der Bundesinnenministerin die Aussage, da kann man nichts machen, jeder soll sich selbst organisieren. Das war natürlich ein Fehler. Jetzt muss es eine Bundeskoordinierung geben. Es muss eine Registrierung aller Schutzsuchenden geben, auch durch den Bund, um die Verteilung gut zu organisieren, die in ganz Deutschland stattfinden muss auch nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel der Länder.
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Und der Bund muss finanziell sich massiv beteiligen. So war es übrigens auch in den Jahren 2015 fortfolgende. Dort gibt es bislang noch kein Signal. Das wird heute ein zentrales Thema sein. Der Bund kann Länder und Kommunen nicht alleine lassen. Länder wie Bayern, wir haben schon mal eine Milliarde, eine Milliarde jetzt zur Verfügung gestellt zur Finanzierung. Wir können manches vorstrecken. Viele Bundesländer haben das nicht. Der Bund muss dort an der Stelle deutlich Ländern und Kommunen unter die Arme greifen.
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