Zeit, als physikalisches Phänomen gedacht, kann zumindest theoretisch auch rückwärts laufen. Diese schon vor Albert Einstein gefasste Erkenntnis ist für die Quantentheorie heute von großer Bedeutung: Im vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum vermag die Zeit sogar zwischen verschiedenen Punkten vorwärts- und rückwärts zu springen – ein Gedanke, den sich die schwedische Künstlerin Sofia Hultén in ihren Werken weidlich zunutze macht.
Zirkuläre Strukturen, Zeitschleifen und paradox anmutende Wiederkehr des Immergleichen kennzeichnen ihre Installationen und Videoarbeiten seit knapp 15 Jahren, in denen sie Gitarren auf dem Boden zerschmetterte, um sie danach wieder zusammenzusetzen und sie dann erneut zu zerschmettern und immer so fort. Sie zeigte die aufwendige Restaurierung alter Möbelstücke, um diese dann wieder durch gezielte Misshandlung in den schäbigen Ausgangszustand zu versetzen oder sammelte Sperrmüll von einer Berliner Brachfläche, den sie zerschreddern ließ und anschließend sorgsam wieder an seinen jeweiligen Fundorten platzierte. Die gewissenhafte Sorgfalt, mit der diese absurd anmutenden Recyclingmaßnahmen durchgeführt wurden, verblüffte den Betrachter und verwies ihn auf die Omnipräsenz des Vergänglichen in der Gegenwart.
Dahinter stand bei Sofia Hultén aber auch immer eine Frage nach der Bedeutung von Kunst selbst, nach ihrer Rezeption und danach, was es eigentlich heißen soll, wenn so selbstverständlich von Gegenwartskunst die Rede ist. Kurzgefasst: Hat ein Künstler einen bekannten Namen, überwiegt dieser Name oft das Werk und gibt ihm eine zusätzliche Bedeutung, auch wenn es immer andere, weniger bekannte Künstler geben könnte, die vielleicht sogar bessere Lösungen vorlegen könnten. Das Auf und Ab in der ständigen öffentlichen Bewertung von Kunstwerken stellt in dieser Hinsicht tatsächlich so etwas wie die Sprünge im Raum-Zeit-Kontinuum des Kunstbetriebes dar, in der die Zeit eben auch zu springen oder rückwärts zu laufen vermag.
Die Künstlerin als Erklärerin ihrer eigenen Ansätze
Sofia Hultén wiederum ist mittlerweile keine unbekannte Künstlerin mehr, mehrfach preisgekrönt und mit internationalen Einzelausstellungen bedacht, steht sie selbst an der Schwelle zu einer größeren öffentlichen Wahrnehmung. Verändert sich dadurch ihre Arbeit, ihr Werk gegenüber früher? Kommen neue Aspekte hinzu? Heißt mehr öffentliche Bedeutung auch größere Bedeutung des Werkes für sich genommen?
Der Rundgang durch die historischen Räume des Braunschweiger Kunstvereins verläuft zirkulär, ein Loop sozusagen, passend zur Arbeitsweise Sofia Hulténs - aber anders als in ihrem Werk ist bei der Rückkehr zum Ausgangspunkt im Vestibül nicht unbedingt alles wie vorher. In den Arbeiten der letzten ein bis zwei Jahre scheint sich hier und da eine Entwicklung abzuzeichnen, die dem Werk, wenn sie sich fortsetzt, insgesamt nicht zum Vorteil gereichen würde - in Arbeiten, die jetzt mehr als heitere Illustration von naturwissenschaftlichen Phänomenen erscheinen, denn als unbekümmerte künstlerische Aktion; die eher vom Willen künden, es dem Betrachter schön zu machen, ihm die Freude schneller kunsthistorischer Assoziationen zu gönnen - wie bei "Statik Elastik", einer schon öfter gezeigten Rauminstallation des Jahres 2012, bei der Hultén benutzte Wagenheber aneinander geschweißt zu Säulen im Raum aufstellt und sie zwischen Boden und Decke verspannt werden. Fragilität und Wirkmacht dieser Konstruktion beeindrucken spontan, gebildete Betrachter werden sich vielleicht tatsächlich an Constantin Brancusis futuristische "Unendliche Säule" erinnert fühlen. Ähnlich ergeht es einem bei einigen anderen Arbeiten auch, in denen die Künstlerin mehr zu einer Erklärerin, zur Veranschaulicherin ihrer eigenen Ansätze wird. Eine Tendenz, die man schon bei ihrem inzwischen berühmten, nordischen Künstlerkollegen Olafur Eliasson beobachten konnte. Auch er begann einst in den 90er-Jahren mit kleinen, frechen Interventionen, die eher an künstlerische Lausbubenstreiche erinnerten, und wandelte sich mit wachsender Bekanntheit immer mehr zum Pädagogen und Selbsterklärer mit repräsentativer Attitüde. Möge dem bislang wunderbar unprätentiösen Werk Sofia Hulténs dieser Weg erspart bleiben.