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Sokrates, die Buchstaben und überforderte Redakteure

Debatte.- Im November trat FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in der ARD-Sendung "Beckmann" auf, um sein neues Buch "Payback" vorzustellen. Der Untertitel: "Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen".

Von Maximilian Schönherr |
    Frank Schirrmachers Buch "Payback" ist ein sympathisches Eingeständnis der Hilflosigkeit eines leitenden Redakteurs angesichts der Flut von Informationen, die via Internet und Mobiltelefon auf ihn einströmen. Viele fühlen sich in ihren Unsicherheiten dadurch angesprochen, andere erinnert das Buch an eine vor 175 Jahren weit verbreitete Kritik renommierter Wissenschaftler und Ärzte – an der Eisenbahn. Die Passagiere würden verrückt werden, der Kopf explodieren, ob der enormen Geschwindigkeit von 30 km/h! Schirrmacher ist kein Verfechter der Langsamkeit; er spricht von einer Explosion der Information:

    "Die Informationsexplosion wird unser Gedächtnis, unsere Aufmerksamkeit und unsere geistigen Fähigkeiten verändern, unser Gehirn physisch verändern, vergleichbar nur den Muskel- und Körperveränderungen der Menschen im Zeitalter der industriellen Revolution. Kein Mensch kann sich diesem Wandel entziehen."

    Seine eher anekdotenhaft als wissenschaftlich begründeten Ängste führen ihn in ein orwellsches Horrorszenario:

    "Auf der ganzen Welt haben Computer damit begonnen, ihre Intelligenz zusammenzulegen und ihre inneren Zustände auszutauschen."

    Ganz so, als würden Computer sich selbst vernetzen, als seien sie eine übergeordnete Intelligenz. Der Google-Gott. Die Informationen flattern dem zwischen Mobiltelefon, Facebook und Twitter eingeklemmten, fast 50-jährigen Medienstar so sehr um die Ohren, dass er quasi den Griffel abgibt:

    "Wir werden das selbstständige Denken verlernen, weil wir nicht mehr wissen, was wichtig ist und was nicht."

    In ARD und Spiegel schoss einer zurück, der immer gut ist für positive Internetthesen, der im Übrigen auch nicht mehr ganz junge Blogger Sascha Lobo, Mitte 30. Lobo ist erklärter Web-2.0-Fan und erwiderte in der Zeitschrift "Der Spiegel" scharfzüngig, wie es sich für einen Blogger gehört.

    "Die Gesellschaft braucht schon immer Filtermechanismen"

    Und dieser Filter, der den Massen sagt, das ist wichtig, das ist unwichtig, war bis vor wenigen Jahren das, was Schirrmacher den ganzen Tag tut und lebt:

    "Die Redaktion. Der Redakteur als Torwächter hat jedoch mit dem Internet Konkurrenz bekommen",

    schreibt Sascha Lobo.

    "Alle sozialen Netzwerke von Twitter über Facebook bis zur Gesamtheit der Weblogs basieren auf der Empfehlung: Schau her, was ich hier Interessantes habe! Kein Wunder, dass sich ein Journalist wie Schirrmacher stellvertretend für die Redaktionen bedroht fühlt vom Internet."

    Doch keine Angst, denn das Internet ist gut zu allen und auch zu Redakteuren wie Frank Schirrmacher:

    Sascha Lobo:

    "Der Redaktion steht hier das Kollektiv gegenüber, nicht die Maschine."

    Mit lockeren Zitaten, etwa Platons aus dessen unterhaltsamen Phaidros-Dialog, wo Sokrates auf die Erfindung der Buchstaben schimpft, streichelt er den Web-Pessimisten über das schütter werdende Haupthaar:

    "Die Buchstaben verhinderten, dass die Menschen überhaupt noch auswendig lernten. Sokrates hält diejenigen für einfältig, die glauben, dass aus Buchstaben etwas Deutliches und Zuverlässiges entstehen könnte."

    Während Schirrmacher eine vage Hoffnung in der jungen, mit dem Internet aufgewachsenen Generation sieht, wenn sie denn eine neue Art zu lernen lernt:

    "Schulen müssen Computer als Instrumente integrieren, die Schüler nicht nur benutzen, sondern über die sie nachdenken müssen."

    ... wird Sascha Lobo nur noch unsachlich:

    "Im Kern der Debatte handelt es sich um wärmende Heizdecken-Kommunikation von alten Männern für alte Männer, die sich gegenseitig bestätigen, dass früher alles besser war."

    Und weil ihm, dem Web-2.0-Chamäleon, das sofort leid tut, er es aber nicht weglöschen kann, denn das Internet vergisst ja nicht, schreibt Lobo hinzu:

    "Es tut uns, der digitalen Generation, vielleicht gut, von unserem hohen Ross herabzusteigen und auf die Bedürfnisse der Elterngeneration einzugehen. Erklären wir ihnen, dass die Gleichzeitigkeit bei uns in erster Linie die Wirkung von medialer Zerstreuung hat."