Es ist verrückt und Ausdruck menschlicher Hybris. Das finden David Keith und Frank Keutsch selbst, als sie anfangen, über das solare Geoengineering nachzudenken: Sollen wir das Klima der Erde bewusst manipulieren? Können wir die Folgen und Nebenwirkungen überschauen? Oder bleibt uns am Ende vielleicht gar nichts anderes übrig, als den immer heißer werdenden Planeten künstlich zu kühlen?
Weil beim Klimaschutz nicht viel vorangeht und schon die heutigen CO2-Konzentrationen für eine langanhaltende Erwärmung sorgen werden, entschließen sich erst der kanadische Physiker David Keith und dann auch der deutsche Chemiker Frank Keutsch, die Möglichkeiten und Gefahren des solaren Geoengineerings genauer zu erforschen. Beide arbeiten an der Harvard-University im Solar Geoengineering Research Program.
Einmal planetare Sonnencreme, bitte!
Ideen, wie man einen Teil des Sonnenlichts von der Erde abschirmen oder ablenken könnte, gibt es einige. Die einfachste Idee funktioniert wie eine Art Sonnencreme oder Schutzschicht: In der Erdatmosphäre werden kleine Partikel ausgebracht, die einen Teil der Sonneneinstrahlung reflektieren. Dass das ziemlich gut funktioniert, weiß man von Vulkanausbrüchen. Als 1991 etwa der Pinatubo ausbrach, schleuderte er so viel Schwefel in die Atmosphäre, dass die Temperaturen auf der Nordhalbkugel im Schnitt um ein halbes Grad sanken. Was man aber ebenso weiß: Die Schwefelteilchen zerstören in der Atmosphäre das Ozon – unsere natürliche Schutzschicht vor krankmachender UV-Strahlung.
Forscher, die sich mit dieser Art des solaren Geoengineerings beschäftigen, sind daher auch auf der Suche nach der richtigen Art und Größe der Partikel. Sie versuchen abzuschätzen, welche Nebenwirkungen die Partikel in der Atmosphäre verursachen könnten, wie sie sich dort verteilen und wie lange sie dort bleiben.
Info-Film der Harvard University zu Scopex
Ein erster Testballon
All das lässt sich teilweise im Labor untersuchen. Doch Keith, Keutsch und ihre Kollegen wollen ihre Erkenntnisse aus dem Labor nun auch in der echten Atmosphäre überprüfen. Sie planen das erste echte Freiluft-Experiment zum Solar Geoengineering: das Stratospheric Controlled Pertubation Experiment SCoPEx. Fürs erste soll ein Ballon aufsteigen und zwei Kilogramm winzigster Kalkteilchen in die Stratosphäre pusten – das ist weniger, als eine Boeing 747 in einer Minute an Partikeln ausstößt. Messgeräte sollen aufzeichnen, wie sich diese Partikel verteilen und verhalten - ein Experiment in kleinstem Maßstab.
Notbremse für den Klimawandel
Dass das solare Geoengineering als Option überhaupt in Betracht gezogen wird, liegt nicht zuletzt an Nobelpreisträger Paul Crutzen. Der Atmosphärenchemiker schrieb 2006 einen viel beachteten Essay, in dem er die Methode als Notbremse für den Klimawandel zumindest erforscht wissen wollte. Als Gründe für diese Forderung führte er wie auch Keith und Keutsch die Erfolglosigkeit der Klimapolitik an und die bereits erfolgte Erwärmung des Planeten.
Alle drei Wissenschaftler betonen, dass die Reduktion der CO2-Emissionen alternativlos sei und immer oberste Priorität haben müsse. Dennoch glaubt David Keith: "Irgendwann wird es eine Regierung geben, die solares Geoengineering in Betracht zieht: Vielleicht China, nachdem ein Monsun für Ernteausfälle gesorgt hat. Vielleicht Indonesien, nachdem eine Hitzewelle 100.000 Menschen getötet hat. Vielleicht die Vereinigten Staaten, nachdem ein Hurrikan der Kategorie fünf eine Stadt getroffen hat." Solche Entscheidungen, so Keith, bräuchten ein angemessenes Verständnis der Risiken und ein Wissen, wie sich diese Risiken reduzieren lassen. Denn dass die Technologie Risiken birgt, bestreitet niemand.
Deep Science - Alle Folgen des Wissenschaftspodcasts
- Episode 1: Kommunikation zwischen Mensch und Tier | Mit Schimpansen sprechen
- Episode 2: Hirnforschung | Stierkampf mit Fernsteuerung
- Episode 3: Psychometrie | Dein Gesicht verrät deine politische Überzeugung
- Episode 4: Mischwesen | Kann man Mensch und Affe kreuzen?
- Episode 5: Solar Geoengineering | Verdunkeln wir doch die Sonne!
Die Erde als Partikel-Junkie
Neben möglichen Auswirkungen auf die Ozonschicht stellt sich auch die Frage, inwieweit die Teilchen die Stratosphäre erwärmen und so unser Wettersystem beeinflussen. Zudem würde die Erde quasi süchtig werden nach Partikeln, warnt Frank Keutsch. Habe man erst einmal damit begonnen, die Erde mit Partikeln von der Sonne abzuschirmen, gebe es so schnell kein Zurück. Man muss den Schirm immer wieder erneuern. Würde er plötzlich wegfallen, wäre das wie ein kalter Entzug: Der Planet würde sich schlagartig erwärmen – mit allen absehbaren Folgen für Ökosystem und Lebewesen.
Neben den physischen Nebenwirkungen des Geoengineerings gibt es auch erhebliche Zweifel, ob die Menschheit überhaupt in der Lage ist, ein solch mächtiges Instrument zu händeln: Könnte man sich auf diesem Planeten überhaupt einigen, wann und wo wie viele Partikel ausgebracht werden? Auf welche Temperatur der Planet eingestellt werden soll? Und nicht zuletzt: Würde das Geoengineering nicht dazu führen, dass zumindest einige Länder und Regierungen den Klimaschutz nicht mehr ernst nehmen und lieber den bequemen Weg einer technologischen Lösung wählen? "Ich sage ja gar nicht, dass das eine Lösung des Problems ist", entgegnet Frank Keutsch, "sondern eher eine Art Schmerzmittel, das man bestenfalls temporär einsetzen könnte."
Der Podcast: Opium für Planet Earth
Im Sommer 2021 soll SCoPEx von Schweden aus starten. In der Gegend leben die Samen. Als die Pläne der Harvard-Forscher publik werden, mischt sich der Rat der Indigenen ein. Aus dem Testballon wird ein Politikum.