Berlin erlebte heute eine ungewöhnliche Vorstellung. Bundesumweltminister Norbert Röttgen kündigte am Vormittag an, die Förderung der Solarindustrie um bis zu 24 Prozent in diesem Jahr kürzen zu wollen - und stieß bei den Betroffenen, repräsentiert durch den Bundesverband der Solarindustrie, nicht etwa auf Widerstand, sondern im Gegenteil, auf Zustimmung. Mehr noch: Die Industrie selbst hatte sich angesichts der durch die Förderung der Fotovoltaik steigenden Strompreise an die Politik gewandt - um das gute Image der Blauen Zellen nicht zu gefährden, erklärte Günter Cramer, Präsident des Bundesverbandes.
"Daher haben wir intensiv und auch sehr konstruktive Gespräche mit dem Bundesumweltministerium über den weiteren Ausbau der Solarindustrie in Deutschland geführt. Und uns dabei auf eine vorgezogene, marktabhängige, dass heißt, zubauabhängige Reduzierung der Solarförderung verständigt."
Dass ein Verband ihm zukommende Subventionen kürzen will, stieß natürlich bei Norbert Röttgen auf Gegenliebe.
"Dass eine Branche selber Kürzungen mit trägt, darüber berät und Kürzungen für eigene Unternehmen, die die Branche repräsentiert, selber vorschlägt, das ist ein einmaliger Vorgang",
… konstatierte der Minister. Und bereits gestern, als die ersten Eckpunkte der Kürzungen bekannt wurden, lobten Vertreter der Regierungsparteien, der Opposition und sogar der Börse einhellig diesen Schritt.
Lange wurde die Fotovoltaik unterschätzt. Sehr unterschätzt. Noch vor kurzem waren sich fast alle Experten sicher: Solarzellen sind viel zu teuer, um im wolkigen Norden Europas jemals einen nennenswerten Beitrag zur Stromversorgung zu liefern. Ein Hobby für reiche Schwaben oder Bayern allenfalls, die die meisten Solarzellen kaufen, aber ernst zu nehmen - kaum. Das hat sich seitdem geändert. Plötzlich wurden, in nur zwei Jahren, fast 15 Gigawatt Sonnenstromleistung installiert, mehr als sieben davon allein im vergangenen Jahr. Das ist soviel Energie, wie 15 Atomkraftwerke liefern. Und plötzlich ist die Rede davon, dass Solarzellen 2020 bis zu 70 Gigawatt Strom erzeugen könnten - so viel, wie alle Atom- und Kohlekraftwerke zusammen. Angesichts des Booms in der Solarwirtschaft scheint diese Zahl auch schon wieder Makulatur zu sein: Installieren die Bürger in Deutschland in den nächsten Jahren genauso viel Solarmodule wie 2010, dürften die 70 Gigawatt schon 2015 erreicht sein. Im Schnitt würden diese Solarzellen dann etwa acht Prozent des deutschen Stromverbrauchs liefern, zumeist tagsüber, zur Mittagszeit, wenn der Strom am teuersten ist. Die Fotovoltaik rollt den Markt auf. Mit unabsehbaren Folgen.
""Was ja auch immer wieder viele Leute überrascht hat, auch aus der Branche selber überrascht hat, viele Leute haben immer wieder gesagt, der Zubau wird langsam gehen."
Philippe Welter ist einer aus der Branche. Schon vor 20 Jahren hat er sich in Aachen für die Einführung einer kostenorientierten Einspeisevergütung engagiert. Das heißt, wer Solarstrom erzeugt und ins Netz einspeist, bekommt so viel Geld dafür, dass es die Kosten für den Bau der Solarzellen deckt und vielleicht noch einen kleinen Gewinn abwirft. Seitdem beobachtet er mit seiner Zeitschrift Photon den Markt, testet die Technik und warnte bereits vor zwei Jahren vor einer Überförderung des Sonnenstroms. Die Wachstumsraten in den letzten Jahren überraschen ihn nicht.
"Es ist im Grunde genommen bis zum Ende des Jahres 2008 so gewesen, dass jedes Solarmodul, das irgendwo auf der Welt produziert wurde, auch prompt verbaut worden ist. Nichts ging in die Lager, alles ging sofort auf die Dächer. Das hat dazu geführt, dass die Preise für Solaranlagen nicht in dem Maße gefallen sind, wie die Kosten gefallen sind."
So funktioniert Marktwirtschaft eben: Obwohl die Produktionskosten für die Solarmodule fielen, konnte die Industrie die Module teuer verkaufen - weil Solaranlagen knapp waren. Das aber änderte sich 2009.
"Es hatte einfach damit zu tun, dass im selben Augenblick ( ... ) ein Solarmarkt, der damals in Spanien war und sehr groß war, zusammengebrochen ist, weil die dortige Politik die Förderung quasi beendet hat, sie hat sie gedeckelt, auf 500 Megawatt."
Die Erzeugung von Fotovoltaik-Strom darf seit dem nicht mehr als 500 Megawatt im Jahr wachsen. Das war praktisch das Ende des dortigen Marktes, damit kam es zu einer Schwemme an Solarmodulen, die auch in Deutschland ankam, die Preise für Solarmodule fielen. Sechs Monate dauerte dieser Preisverfall, bis die Solaranlagen nach etwa einem halben Jahr deutlich billiger waren.
"Die Preise waren um etwa 30 Prozent gesunken."
Und dann, so Philippe Welter:
"Und dann wurde auch in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2009 im Grunde genommen alles auf die Dächer gesetzt, was in der Zwischenzeit die ersten sechs Monate in die Lager gelaufen war, plus alles, was der Markt sonst an Produktion noch hergegeben hat, und wir haben einen sehr großen Zubau bekommen."
Das also war der wichtigste Grund für den Boom: Der Spanische Solarmarkt brach zusammen, Solarmodule waren plötzlich nicht mehr knapp und teuer, sondern ausreichend vorhanden - und konnten damit zu Preisen verkauft werden, die um 30 Prozent niedriger lagen als zuvor. Natürlich macht auch die Technik Fortschritte: Die Wirkungsgrade steigen, die Produktionskosten sinken. Letztere um etwa zehn Prozent im Jahr. Keine andere erneuerbare Energie kann da mithalten.
So groß ist die Dynamik der Fotovoltaik-Industrie, dass die Politik jetzt an einem Scheideweg steht: Fördern oder nicht mehr Fördern? Die Kritiker der Solarenergie sind überzeugt: Die Förderung sollte so schnell wie möglich eingestellt werden. Sie favorisieren eine Deckelung wie in Spanien. Denn in ihren Augen gibt es schon zu viel Sonnenenergie in Deutschland. So viel, dass die Technik darunter ächzt und die Wirtschaft stöhnt. Die Technik, sprich: die Stromnetze hat zum Beispiel Hans-Peter Villis Leiter der EnBW, der Energie Baden Württemberg, im Blick. Gegenüber den Stuttgarter Nachrichten sagte er am 27. Oktober:
Die Gefahr ist, dass bei einem weiteren sprunghaften Ausbau speziell der Fotovoltaik die Versorgungssicherheit nicht mehr wie bisher gewährleistet werden kann", es drohen "mehr Unterbrechungen in der Stromversorgung.
Und auch Stephan Kohler, Leiter der Deutschen Energie Agentur, fürchtet Stromausfälle durch Fotovoltaik. Eine Begründung für ihre Sorge liefern weder Peter Villis noch Stephan Kohler. Denkbar ist Folgendes: Die Stromnetze in Europa werden stets in einer feinen Balance gehalten. Es wird immer so viel Strom ins Netz gepumpt, wie entnommen wird. Ob das Stromnetz ausbalanciert ist, erkennen Netzingenieure anhand der Frequenz des Stroms. Diese beträgt immer 50 Hertz. Steigt sie, erzeugen die Kraftwerke mehr Leistung, als die Kunden verbrauchen, sinkt sie, verbrauchen sie mehr als Strom erzeugt wird.
Gelingt es den Netzgesellschaften nicht, dieses Ungleichgewicht wieder auszubalancieren, drohen Stromausfälle wie zum Beispiel 2005: Damals schaltete der Stromnetzbetreiber Eon in Norddeutschland eine Höchstspannungsleitung ab, um ein Kreuzfahrtschiff die Ems passieren zu lassen. Die verbleibenden Leitungen waren jedoch überlastet, schalteten sich ab. Die Frequenz sank, und um die Balance wieder auszugleichen, schalteten die Netzbetreiber in rasender Folge Teile des Stromnetzes ab - der Stromausfall verbreitete sich durch ganz Europa.
Weil Solarzellen ihren Strom ins öffentliche Stromnetz einspeisen, befürchten Villis und Kohler offenbar ähnliches: Überlastungen von einzelnen Leitungen und in der Folge Stromausfälle. Ein Argument, das unter Stromnetzexperten offenbar noch nicht diskutiert wird.
"Ich glaube aber auch, dass das übertrieben ist. Also, die Fotovoltaik führt im Moment zunehmen in den ländlichen Regionen - weil sie halt eine typisch dezentrale Erzeugungsstruktur ist, die in den Verteilnetzen eingebunden wird, zwar zunehmend zu Schwierigkeiten bei der Spannungshaltung in den Verteilnetzen, aber das zieht keinen Stromausfall nach sich."
Jochen Kreusel, Experte für Stromnetze von Asea Brown Boveri, ABB, in Mannheim und für den VDE, den Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik - und außerdem im vergangenen Jahr Präsident der Jahrestagung des VDE. Und auf der spielte der beschworene Kollaps der Stromnetze keine Rolle. Obwohl den Ingenieuren durchaus bewusst ist, dass der schnelle Ausbau der Fotovoltaik auch Auswirkungen auf das Stromnetz hat. Aber andere als befürchtet: Solaranlagen speisen ihren Strom fast ausschließlich in das 230 Volt Netz ein - das sind die Kabel, die die letzte Meile vom Stromnetz zum Verbraucher überbrücken. Die aber haben auf dem Land besondere Eigenschaften, so Jochen Kreusel.
"Grundsätzlich (sind Verteilnetze im Ländlichen Bereich) - haben sie relativ lange Leitungen, die irgendwo von einer Trafostation abgehen, und über diese Leitungen haben sie normalerweise ein Spannungsabfall. Das heißt, am Ende der Leitung haben sie eine etwas niedrigere Spannung als am Anfang."
Damit sie trotzdem möglichst genau 230 Volt haben, klemmen die Netztechniker die Leitung am Anfang, am Transformator, so an, dass eine etwas höhere Spannung auf die Reise geht. Das lässt sich nur in engen Grenzen verändern. Weil die Solarzellen, anders als ein konventionelles Kraftwerk, dezentral in die Strom-Kreisstraßen einspeisen, funktioniert diese Technik nicht mehr so gut.
"Die dezentrale Erzeugung führt jetzt dazu, dass sie in diesen Verteilnetzen einfach eine viel größere Bandbreite von Betriebszuständen haben können, die halt schwanken können nicht zwischen Null und Verbrauch, sondern die zwischen Verbrauchssituation und Einspeisesituation schwanken können."
Und das kann am Ende beim Kunden zu höheren Spannungen führen. Das belastet Kabel oder verkürzt die Lebenszeit von Geräten wie Glühbirnen.
"Aber das zieht keinen Stromausfall nach sich."
Keine große Gefahr also - trotzdem, meint Kreusel, sollten die Netze vor Ort ausgebaut werden, um die 230 Volt weiter zu garantieren. Aber auch die Stromnetze müssten technisch aufgerüstet werden.
"Was natürlich passieren wird, und auch darüber muss man reden, aber das betrifft nicht nur Fotovoltaik, das betrifft genauso Windanlagen, wir kommen jetzt natürlich immer häufiger in Situationen, wo wir einfach mehr erneuerbare Produktion haben als wir Last haben, - also als wir überhaupt im System unterbringen können, und da muss man die Anlagen - das ist ja auch gesetzlich so vorgesehen - abregeln, das ist aber technisch im Moment gar nicht möglich. Daran wird auch gearbeitet, dass man den Zugriff kriegt, aber das ist natürlich bei vielen, ja wohl Millionen kleinen Solaranlagen eine etwas größere Herausforderung als bei doch verhältnismäßig wenigen, relativ großen Windparks."
Die Techniker sehen also keinen Grund, den Ausbau zu begrenzen, wohl aber die Notwendigkeit, das Stromnetz auszubauen. Und selbst die Kritiker aus der Wirtschaft stimmen dem zu.
"Ich denke, die technischen Probleme bekommt man gelöst, es ist dann aber eine Frage der Kosten und auch einer sinnvollen Kostenanlastung."
Sagt Dietmar Lindenberger, Geschäftsführer des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln, kurz EWI. Der Physiker war vor seiner Zeit in Köln selbst in der Solarbranche tätig - und hält eine Begrenzung der Förderung oder einen Deckel wie in Spanien für volkswirtschaftlich geboten:
"Es ist einfach so, dass die Fotovoltaik eine sehr teure Erzeugungsoption ist, das gilt insbesondere dann, wenn wir nur vergleichsweise wenige Sonnenstunden zur Verfügung haben wie das in Deutschland der Fall ist, also in Südeuropa haben wir gut den Faktor zwei mehr Sonnenstunden, da sieht das Bild dann schon anders aus."
In Deutschland dagegen, rechnet der Energieexperte vor, könne Solarenergie ihren Kostennachteil nicht aufholen.
"Wenn wir mal herkömmliche Stromerzeugung, Größenordnung vom Börsenpreis von etwa sechzig Euro pro Megawattstunde beziehungsweise sechs Cent pro Kilowattstunde nehmen, dann sind wir mit der Stromerzeugung aus Fotovoltaik bei 30 Cent beziehungsweise 30 Euro pro Mw/h um den Faktor fünf teurer."
Ein Deckel oder eine Grenze der Förderung sei daher das einzig richtige, um die Belastung der Wirtschaft nicht zu hoch steigen zu lassen. Doch so ein Deckel könnte gerade das bewirken, was er vermeiden soll. Nur solange der Bedarf steigt, immer mehr Solarzellen produziert und verkauft werden, sinkt der Preis pro Kilowattstunde Solarstrom - weil immer neue Fabriken gebaut werden müssen, und in der Solarindustrie besondere Regeln gelten so Philippe Welter.
Jetzt erlebt die Fotovoltaik, was die Absenkung der Vergütung angeht, einen regelrechten Parforceritt. Sie wird, wie gesagt, in wenigen Jahren die billigste Erneuerbare sein, (...) billiger ist Klimaschutz jetzt nicht mehr zu haben.
Würde die Solarförderung jedoch gedeckelt, wird diese Entwicklung abgebrochen.
"Ein Deckel bedeutet das Ende der Kostendegression. In dem Moment, wo sie den Markt deckeln, kann ja ein neuer Produzent mit einer neuen Fabrik nichts mehr verkaufen. Dass heißt, er wird auch diese neue Fabrik nicht bauen. Die neue Fabrik ist aber die, die den Solarstrom billiger fabriziert als die alte. Das heißt, der Deckel ist das Ende der Kostendegression."
Die Solarwirtschaft selbst sucht nach einem dritten Weg: Bremsen, aber nicht deckeln. So verkündete sie im November in Berlin in ihrer Roadmap, sie wolle freiwillig den Ausbau der Fotovoltaik-Module pro Jahr auf 3,5 bis 6 Gigawatt begrenzen - was genau zu den Plänen der Bundesregierung passen würde.
"Unser Ansatz ist, die Umlage, bezogen auf die Fotovoltaik, nicht weiter als auf zwei Cent ansteigen zu lassen in den nächsten 10 Jahren. Das ist unsere Größenordnung, in diesem Korridor wollen wir uns bewegen, und das haben wir in dieser Roadmap dargestellt, wir können einen vernünftigen Ausbau machen, wir werden damit zu einer tragenden Säule der Energieversorgung schon in 2020, ohne dabei (die Belastung ) der Stromkunden mehr als zwei Cent pro Kilowattstunde zu belasten","
… beschreibt der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Solarindustrie BSW, Günter Cramer, das Ziel dieses dritten Wegs. Und weiß sich dabei in guter Gesellschaft: So hält die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin diesen Ansatz ebenso für richtig.
"Denn dadurch, dass wir jetzt so einen massiven Anstieg haben und auch einen Anstieg des Strompreises, droht natürlich die gesamte Vergütung zu kippen. In dem Moment, wo sich Politiker durchsetzen und sagen, das ist nicht mehr verkraftbar, insofern finde ich den Vorstoß der Branche da gut, zu sagen, wir geben hier ein freiwilliges Signal, um jetzt die schlimmsten Reaktionen zu verhindern."
Den Bundesumweltminister haben diese Argumente offenbar überzeugt. Er will daher die bereits im Gesetz verankerten Kürzungen der Förderung vorziehen, wenn bis Mitte des Jahres absehbar sein sollte, dass bis Dezember 2011 Solarzellen mit einer Leistung von mehr als 3500 Megawatt installiert werden. Die Kürzung soll umso größer ausfallen, je weiter die zu erwartende Leistung über dieser Zielmarke liegt.
"Das bedeutet, das jede 1000 Megawatt, die über dem Zielwert von 3500 Megawatt liegen, ein zusätzlicher Abschlag von drei Prozent erfolgen wird, und zwar maximal bis zu einem - maximal fünfzehn Prozent, also bei überschreiten von 7 500 Megawatt ein erneuter, weiterer Degressionsschritt über das bisherige Maß hinaus, so dass es zu einer maximalen, vorgezogenen Degression im zweiten Halbjahr von 15 Prozent zusätzlich kommen wird."
Zusammen mit den bereits geplanten Kürzungen könnte dann die Förderung um 24 Prozent sinken. Ob die Kürzungen jedoch tatsächlich den Boom bremsen können, ist noch offen. Auch im vergangenen Jahr wurden die Fördersätze schon stark gesenkt. Trotzdem erreichte der Ausbau der Fotovoltaik mehr als sieben Gigawatt Leistung. Ähnliches erwarten Börsenanalysten und Branchenkenner auch für dieses Jahr. Und so ist es möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass trotz der Entscheidung, die Fördersätze stärker abzusenken als geplant, die Bremse nicht funktioniert und der Solarboom anhält.
"Daher haben wir intensiv und auch sehr konstruktive Gespräche mit dem Bundesumweltministerium über den weiteren Ausbau der Solarindustrie in Deutschland geführt. Und uns dabei auf eine vorgezogene, marktabhängige, dass heißt, zubauabhängige Reduzierung der Solarförderung verständigt."
Dass ein Verband ihm zukommende Subventionen kürzen will, stieß natürlich bei Norbert Röttgen auf Gegenliebe.
"Dass eine Branche selber Kürzungen mit trägt, darüber berät und Kürzungen für eigene Unternehmen, die die Branche repräsentiert, selber vorschlägt, das ist ein einmaliger Vorgang",
… konstatierte der Minister. Und bereits gestern, als die ersten Eckpunkte der Kürzungen bekannt wurden, lobten Vertreter der Regierungsparteien, der Opposition und sogar der Börse einhellig diesen Schritt.
Lange wurde die Fotovoltaik unterschätzt. Sehr unterschätzt. Noch vor kurzem waren sich fast alle Experten sicher: Solarzellen sind viel zu teuer, um im wolkigen Norden Europas jemals einen nennenswerten Beitrag zur Stromversorgung zu liefern. Ein Hobby für reiche Schwaben oder Bayern allenfalls, die die meisten Solarzellen kaufen, aber ernst zu nehmen - kaum. Das hat sich seitdem geändert. Plötzlich wurden, in nur zwei Jahren, fast 15 Gigawatt Sonnenstromleistung installiert, mehr als sieben davon allein im vergangenen Jahr. Das ist soviel Energie, wie 15 Atomkraftwerke liefern. Und plötzlich ist die Rede davon, dass Solarzellen 2020 bis zu 70 Gigawatt Strom erzeugen könnten - so viel, wie alle Atom- und Kohlekraftwerke zusammen. Angesichts des Booms in der Solarwirtschaft scheint diese Zahl auch schon wieder Makulatur zu sein: Installieren die Bürger in Deutschland in den nächsten Jahren genauso viel Solarmodule wie 2010, dürften die 70 Gigawatt schon 2015 erreicht sein. Im Schnitt würden diese Solarzellen dann etwa acht Prozent des deutschen Stromverbrauchs liefern, zumeist tagsüber, zur Mittagszeit, wenn der Strom am teuersten ist. Die Fotovoltaik rollt den Markt auf. Mit unabsehbaren Folgen.
""Was ja auch immer wieder viele Leute überrascht hat, auch aus der Branche selber überrascht hat, viele Leute haben immer wieder gesagt, der Zubau wird langsam gehen."
Philippe Welter ist einer aus der Branche. Schon vor 20 Jahren hat er sich in Aachen für die Einführung einer kostenorientierten Einspeisevergütung engagiert. Das heißt, wer Solarstrom erzeugt und ins Netz einspeist, bekommt so viel Geld dafür, dass es die Kosten für den Bau der Solarzellen deckt und vielleicht noch einen kleinen Gewinn abwirft. Seitdem beobachtet er mit seiner Zeitschrift Photon den Markt, testet die Technik und warnte bereits vor zwei Jahren vor einer Überförderung des Sonnenstroms. Die Wachstumsraten in den letzten Jahren überraschen ihn nicht.
"Es ist im Grunde genommen bis zum Ende des Jahres 2008 so gewesen, dass jedes Solarmodul, das irgendwo auf der Welt produziert wurde, auch prompt verbaut worden ist. Nichts ging in die Lager, alles ging sofort auf die Dächer. Das hat dazu geführt, dass die Preise für Solaranlagen nicht in dem Maße gefallen sind, wie die Kosten gefallen sind."
So funktioniert Marktwirtschaft eben: Obwohl die Produktionskosten für die Solarmodule fielen, konnte die Industrie die Module teuer verkaufen - weil Solaranlagen knapp waren. Das aber änderte sich 2009.
"Es hatte einfach damit zu tun, dass im selben Augenblick ( ... ) ein Solarmarkt, der damals in Spanien war und sehr groß war, zusammengebrochen ist, weil die dortige Politik die Förderung quasi beendet hat, sie hat sie gedeckelt, auf 500 Megawatt."
Die Erzeugung von Fotovoltaik-Strom darf seit dem nicht mehr als 500 Megawatt im Jahr wachsen. Das war praktisch das Ende des dortigen Marktes, damit kam es zu einer Schwemme an Solarmodulen, die auch in Deutschland ankam, die Preise für Solarmodule fielen. Sechs Monate dauerte dieser Preisverfall, bis die Solaranlagen nach etwa einem halben Jahr deutlich billiger waren.
"Die Preise waren um etwa 30 Prozent gesunken."
Und dann, so Philippe Welter:
"Und dann wurde auch in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2009 im Grunde genommen alles auf die Dächer gesetzt, was in der Zwischenzeit die ersten sechs Monate in die Lager gelaufen war, plus alles, was der Markt sonst an Produktion noch hergegeben hat, und wir haben einen sehr großen Zubau bekommen."
Das also war der wichtigste Grund für den Boom: Der Spanische Solarmarkt brach zusammen, Solarmodule waren plötzlich nicht mehr knapp und teuer, sondern ausreichend vorhanden - und konnten damit zu Preisen verkauft werden, die um 30 Prozent niedriger lagen als zuvor. Natürlich macht auch die Technik Fortschritte: Die Wirkungsgrade steigen, die Produktionskosten sinken. Letztere um etwa zehn Prozent im Jahr. Keine andere erneuerbare Energie kann da mithalten.
So groß ist die Dynamik der Fotovoltaik-Industrie, dass die Politik jetzt an einem Scheideweg steht: Fördern oder nicht mehr Fördern? Die Kritiker der Solarenergie sind überzeugt: Die Förderung sollte so schnell wie möglich eingestellt werden. Sie favorisieren eine Deckelung wie in Spanien. Denn in ihren Augen gibt es schon zu viel Sonnenenergie in Deutschland. So viel, dass die Technik darunter ächzt und die Wirtschaft stöhnt. Die Technik, sprich: die Stromnetze hat zum Beispiel Hans-Peter Villis Leiter der EnBW, der Energie Baden Württemberg, im Blick. Gegenüber den Stuttgarter Nachrichten sagte er am 27. Oktober:
Die Gefahr ist, dass bei einem weiteren sprunghaften Ausbau speziell der Fotovoltaik die Versorgungssicherheit nicht mehr wie bisher gewährleistet werden kann", es drohen "mehr Unterbrechungen in der Stromversorgung.
Und auch Stephan Kohler, Leiter der Deutschen Energie Agentur, fürchtet Stromausfälle durch Fotovoltaik. Eine Begründung für ihre Sorge liefern weder Peter Villis noch Stephan Kohler. Denkbar ist Folgendes: Die Stromnetze in Europa werden stets in einer feinen Balance gehalten. Es wird immer so viel Strom ins Netz gepumpt, wie entnommen wird. Ob das Stromnetz ausbalanciert ist, erkennen Netzingenieure anhand der Frequenz des Stroms. Diese beträgt immer 50 Hertz. Steigt sie, erzeugen die Kraftwerke mehr Leistung, als die Kunden verbrauchen, sinkt sie, verbrauchen sie mehr als Strom erzeugt wird.
Gelingt es den Netzgesellschaften nicht, dieses Ungleichgewicht wieder auszubalancieren, drohen Stromausfälle wie zum Beispiel 2005: Damals schaltete der Stromnetzbetreiber Eon in Norddeutschland eine Höchstspannungsleitung ab, um ein Kreuzfahrtschiff die Ems passieren zu lassen. Die verbleibenden Leitungen waren jedoch überlastet, schalteten sich ab. Die Frequenz sank, und um die Balance wieder auszugleichen, schalteten die Netzbetreiber in rasender Folge Teile des Stromnetzes ab - der Stromausfall verbreitete sich durch ganz Europa.
Weil Solarzellen ihren Strom ins öffentliche Stromnetz einspeisen, befürchten Villis und Kohler offenbar ähnliches: Überlastungen von einzelnen Leitungen und in der Folge Stromausfälle. Ein Argument, das unter Stromnetzexperten offenbar noch nicht diskutiert wird.
"Ich glaube aber auch, dass das übertrieben ist. Also, die Fotovoltaik führt im Moment zunehmen in den ländlichen Regionen - weil sie halt eine typisch dezentrale Erzeugungsstruktur ist, die in den Verteilnetzen eingebunden wird, zwar zunehmend zu Schwierigkeiten bei der Spannungshaltung in den Verteilnetzen, aber das zieht keinen Stromausfall nach sich."
Jochen Kreusel, Experte für Stromnetze von Asea Brown Boveri, ABB, in Mannheim und für den VDE, den Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik - und außerdem im vergangenen Jahr Präsident der Jahrestagung des VDE. Und auf der spielte der beschworene Kollaps der Stromnetze keine Rolle. Obwohl den Ingenieuren durchaus bewusst ist, dass der schnelle Ausbau der Fotovoltaik auch Auswirkungen auf das Stromnetz hat. Aber andere als befürchtet: Solaranlagen speisen ihren Strom fast ausschließlich in das 230 Volt Netz ein - das sind die Kabel, die die letzte Meile vom Stromnetz zum Verbraucher überbrücken. Die aber haben auf dem Land besondere Eigenschaften, so Jochen Kreusel.
"Grundsätzlich (sind Verteilnetze im Ländlichen Bereich) - haben sie relativ lange Leitungen, die irgendwo von einer Trafostation abgehen, und über diese Leitungen haben sie normalerweise ein Spannungsabfall. Das heißt, am Ende der Leitung haben sie eine etwas niedrigere Spannung als am Anfang."
Damit sie trotzdem möglichst genau 230 Volt haben, klemmen die Netztechniker die Leitung am Anfang, am Transformator, so an, dass eine etwas höhere Spannung auf die Reise geht. Das lässt sich nur in engen Grenzen verändern. Weil die Solarzellen, anders als ein konventionelles Kraftwerk, dezentral in die Strom-Kreisstraßen einspeisen, funktioniert diese Technik nicht mehr so gut.
"Die dezentrale Erzeugung führt jetzt dazu, dass sie in diesen Verteilnetzen einfach eine viel größere Bandbreite von Betriebszuständen haben können, die halt schwanken können nicht zwischen Null und Verbrauch, sondern die zwischen Verbrauchssituation und Einspeisesituation schwanken können."
Und das kann am Ende beim Kunden zu höheren Spannungen führen. Das belastet Kabel oder verkürzt die Lebenszeit von Geräten wie Glühbirnen.
"Aber das zieht keinen Stromausfall nach sich."
Keine große Gefahr also - trotzdem, meint Kreusel, sollten die Netze vor Ort ausgebaut werden, um die 230 Volt weiter zu garantieren. Aber auch die Stromnetze müssten technisch aufgerüstet werden.
"Was natürlich passieren wird, und auch darüber muss man reden, aber das betrifft nicht nur Fotovoltaik, das betrifft genauso Windanlagen, wir kommen jetzt natürlich immer häufiger in Situationen, wo wir einfach mehr erneuerbare Produktion haben als wir Last haben, - also als wir überhaupt im System unterbringen können, und da muss man die Anlagen - das ist ja auch gesetzlich so vorgesehen - abregeln, das ist aber technisch im Moment gar nicht möglich. Daran wird auch gearbeitet, dass man den Zugriff kriegt, aber das ist natürlich bei vielen, ja wohl Millionen kleinen Solaranlagen eine etwas größere Herausforderung als bei doch verhältnismäßig wenigen, relativ großen Windparks."
Die Techniker sehen also keinen Grund, den Ausbau zu begrenzen, wohl aber die Notwendigkeit, das Stromnetz auszubauen. Und selbst die Kritiker aus der Wirtschaft stimmen dem zu.
"Ich denke, die technischen Probleme bekommt man gelöst, es ist dann aber eine Frage der Kosten und auch einer sinnvollen Kostenanlastung."
Sagt Dietmar Lindenberger, Geschäftsführer des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln, kurz EWI. Der Physiker war vor seiner Zeit in Köln selbst in der Solarbranche tätig - und hält eine Begrenzung der Förderung oder einen Deckel wie in Spanien für volkswirtschaftlich geboten:
"Es ist einfach so, dass die Fotovoltaik eine sehr teure Erzeugungsoption ist, das gilt insbesondere dann, wenn wir nur vergleichsweise wenige Sonnenstunden zur Verfügung haben wie das in Deutschland der Fall ist, also in Südeuropa haben wir gut den Faktor zwei mehr Sonnenstunden, da sieht das Bild dann schon anders aus."
In Deutschland dagegen, rechnet der Energieexperte vor, könne Solarenergie ihren Kostennachteil nicht aufholen.
"Wenn wir mal herkömmliche Stromerzeugung, Größenordnung vom Börsenpreis von etwa sechzig Euro pro Megawattstunde beziehungsweise sechs Cent pro Kilowattstunde nehmen, dann sind wir mit der Stromerzeugung aus Fotovoltaik bei 30 Cent beziehungsweise 30 Euro pro Mw/h um den Faktor fünf teurer."
Ein Deckel oder eine Grenze der Förderung sei daher das einzig richtige, um die Belastung der Wirtschaft nicht zu hoch steigen zu lassen. Doch so ein Deckel könnte gerade das bewirken, was er vermeiden soll. Nur solange der Bedarf steigt, immer mehr Solarzellen produziert und verkauft werden, sinkt der Preis pro Kilowattstunde Solarstrom - weil immer neue Fabriken gebaut werden müssen, und in der Solarindustrie besondere Regeln gelten so Philippe Welter.
Jetzt erlebt die Fotovoltaik, was die Absenkung der Vergütung angeht, einen regelrechten Parforceritt. Sie wird, wie gesagt, in wenigen Jahren die billigste Erneuerbare sein, (...) billiger ist Klimaschutz jetzt nicht mehr zu haben.
Würde die Solarförderung jedoch gedeckelt, wird diese Entwicklung abgebrochen.
"Ein Deckel bedeutet das Ende der Kostendegression. In dem Moment, wo sie den Markt deckeln, kann ja ein neuer Produzent mit einer neuen Fabrik nichts mehr verkaufen. Dass heißt, er wird auch diese neue Fabrik nicht bauen. Die neue Fabrik ist aber die, die den Solarstrom billiger fabriziert als die alte. Das heißt, der Deckel ist das Ende der Kostendegression."
Die Solarwirtschaft selbst sucht nach einem dritten Weg: Bremsen, aber nicht deckeln. So verkündete sie im November in Berlin in ihrer Roadmap, sie wolle freiwillig den Ausbau der Fotovoltaik-Module pro Jahr auf 3,5 bis 6 Gigawatt begrenzen - was genau zu den Plänen der Bundesregierung passen würde.
"Unser Ansatz ist, die Umlage, bezogen auf die Fotovoltaik, nicht weiter als auf zwei Cent ansteigen zu lassen in den nächsten 10 Jahren. Das ist unsere Größenordnung, in diesem Korridor wollen wir uns bewegen, und das haben wir in dieser Roadmap dargestellt, wir können einen vernünftigen Ausbau machen, wir werden damit zu einer tragenden Säule der Energieversorgung schon in 2020, ohne dabei (die Belastung ) der Stromkunden mehr als zwei Cent pro Kilowattstunde zu belasten","
… beschreibt der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Solarindustrie BSW, Günter Cramer, das Ziel dieses dritten Wegs. Und weiß sich dabei in guter Gesellschaft: So hält die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin diesen Ansatz ebenso für richtig.
"Denn dadurch, dass wir jetzt so einen massiven Anstieg haben und auch einen Anstieg des Strompreises, droht natürlich die gesamte Vergütung zu kippen. In dem Moment, wo sich Politiker durchsetzen und sagen, das ist nicht mehr verkraftbar, insofern finde ich den Vorstoß der Branche da gut, zu sagen, wir geben hier ein freiwilliges Signal, um jetzt die schlimmsten Reaktionen zu verhindern."
Den Bundesumweltminister haben diese Argumente offenbar überzeugt. Er will daher die bereits im Gesetz verankerten Kürzungen der Förderung vorziehen, wenn bis Mitte des Jahres absehbar sein sollte, dass bis Dezember 2011 Solarzellen mit einer Leistung von mehr als 3500 Megawatt installiert werden. Die Kürzung soll umso größer ausfallen, je weiter die zu erwartende Leistung über dieser Zielmarke liegt.
"Das bedeutet, das jede 1000 Megawatt, die über dem Zielwert von 3500 Megawatt liegen, ein zusätzlicher Abschlag von drei Prozent erfolgen wird, und zwar maximal bis zu einem - maximal fünfzehn Prozent, also bei überschreiten von 7 500 Megawatt ein erneuter, weiterer Degressionsschritt über das bisherige Maß hinaus, so dass es zu einer maximalen, vorgezogenen Degression im zweiten Halbjahr von 15 Prozent zusätzlich kommen wird."
Zusammen mit den bereits geplanten Kürzungen könnte dann die Förderung um 24 Prozent sinken. Ob die Kürzungen jedoch tatsächlich den Boom bremsen können, ist noch offen. Auch im vergangenen Jahr wurden die Fördersätze schon stark gesenkt. Trotzdem erreichte der Ausbau der Fotovoltaik mehr als sieben Gigawatt Leistung. Ähnliches erwarten Börsenanalysten und Branchenkenner auch für dieses Jahr. Und so ist es möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass trotz der Entscheidung, die Fördersätze stärker abzusenken als geplant, die Bremse nicht funktioniert und der Solarboom anhält.