Im Bundesinnenministerium gibt man sich zerknirscht. Ein Sprecher sagte, man werde zusammen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge "jeden Stein umdrehen", um herauszufinden, wie es zu einer solchen Fehlentscheidung kommen konnte. Für eine "anlasslose Überprüfung aller Asylbescheide" gebe es allerdings keinen Grund, so der Sprecher. Die bisherigen Erkenntnisse würden nicht auf strukturelle Fehler im Asylverfahren hinweisen. Vielmehr seien "etablierte und zwingende Sicherheitsvorkehrungen" nicht befolgt worden.
Nun gilt es, die vielen noch offenen Fragen zu dem Fall zu klären. Eine davon: Wie hat es der 28 Jahre alte Deutsche geschafft, sich ohne Arabisch-Kenntnisse im Asylverfahren glaubhaft als Syrer auszugeben? Die Anhörungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden auf Französisch geführt. Das Regierungspräsidium Gießen teilte mit, dass Gespräche grundsätzlich in der Sprache geführt würden, die der Flüchtling wünsche.
Soldat hatte sich 2015 als syrischer Flüchtling registriert
Nach den bisherigen Ermittlungen hatte sich der Soldat aus Offenbach Ende 2015 in einer hessischen Erstaufnahmeeinrichtung als syrischer Flüchtling ausgegeben. Wenige Wochen später stellte er in einer Erstaufnahmeeinrichtung im bayerischen Zirndorf unter falschem Namen einen Asylantrag und bezog anschließend finanzielle Leistungen. Danach war der Soldat nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in einer Erdinger Flüchtlingsunterkunft registriert. Die Wohnung war demnach von privat vermietet. Der Oberleutnant habe sich aber nur selten dort aufgehalten. Mit anderen Flüchtlingen habe er nur englisch oder französisch gesprochen. Als der Vater der Vermieterin wegen Problemen mit ihm reden wollte, habe er sich stumm gestellt.
Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums übten am Freitag harsche Kritik, nachdem sie über Hintergründe des Falls informiert worden waren. Der Vorsitzende Binninger (CDU) sagte, die "Qualitätsmechanismen" im BAMF hätten versagt. Niemand habe die offenkundig fingierte Geschichte des Soldaten hinterfragt. Der SPD-Abgeordnete Lischka kritisierte, der Soldat habe nicht einmal seinen Namen auf Arabisch schreiben müssen. Der CDU-Obmann im Bundestags-Innenausschuss, Schuster, forderte im DLF, bei Anhörungen im BAMF künftig Verfassungsschützer und Bundespolizisten als "Sicherheitsfilter" hinzuzuziehen.
Der Verdächtige wurde in seinem Asylverfahren auch erkennungsdienstlich behandelt - das heißt, dem Mann wurden unter anderem Fingerabdrücke abgenommen. Ein Abgleich mit den Datenbanken der Sicherheitsbehörden ergab laut Innenministerium aber keine Treffer.
Motiv war vermutlich Fremdenfeindlichkeit
Die Ermittler gehen davon aus, dass der Mann womöglich als Flüchtling getarnt eine schwere staatsgefährende Gewalttat vorbereiten wollte - als Motiv vermuten sie Fremdenfeindlichkeit. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums war der Mann seit acht Jahren bei der Bundeswehr. Ein Sprecher von Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) sagte, die Ministerin habe den Generalinspekteur angewiesen, das militärische Umfeld des Beschuldigten zu beleuchten, um extremistische und fremdenfeindliche Tendenzen aufzuklären.
Der Mann war gestern nach zweimonatiger Ermittlungsarbeit festgenommen worden. Auf die Spur gekommen waren ihm die österreichischen Behörden: Ende Januar hatte der Mann versucht, am Flughafen Wien-Schwechat eine geladene Pistole auf einer Toilette zu deponieren. Beim Versuch, die Waffe wieder an sich zu nehmen, wurde er von der österreichischen Polizei vorübergehend festgenommen.
Fassungslosigkeit im politischen Berlin
Skurril und seltsam - das sind noch die harmloseren Vokabeln, die zu dem Fall im politischen Berlin die Runde machen. Die Linkspartei wirft den Behörden schwere Versäumnisse vor, das Migrationsbundesamt (BAMF) habe "sträflich versagt",
sagte der Linken-Abgeordnete Hahn vor der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums
. Es sei unbegreiflich, wie der deutsche Soldat als Flüchtling anerkannt werden konnte. Den Nachrichtendiensten warf Hahn vor, viel zu spät gehandelt zu haben. Ohne den Fund seiner Pistole auf dem Wiener Flughafen wäre der 28-jährige Soldat nie aufgefallen.
Scharfe Kritik gab es auch von SPD-Generalsekretärin Barley. Sie sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Herr de Maizière und Frau von der Leyen haben ihre Läden nicht im Griff". Beide Minister seien "ein Sicherheitsrisiko". Die SPD-Spitze forderte, der für die Flüchtlingspolitik und Geheimdienste zuständige Kanzleramtsminister Altmaier (CDU) müsse die Abläufe lückenlos aufklären.
Forderung nach Prüfung aller Asylbescheide
Bayerns Innenminister Herrmann (CSU) forderte eine Überprüfung von Asylbescheiden. Der Fall sei "ein makabrer Beleg", dass Asylbewerber zeitweise "ohne ernsthafte Prüfung ihrer Identität anerkannt wurden", sagte Herrmann der Tageszeitung Die Welt. Für den
SPD-Politiker Lischka gilt es jetzt herauszufinden
, ob es sich um die Tat eines Einzelnen handelte oder ob ein Netzwerk dahintersteckt.
Das sieht auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, so. Das Vorgehen des Bundeswehr-Soldaten rieche streng nach einer Strategie, an der auch weitere beteiligt gewesen sein könnten, sagte Mihalic der "Mitteldeutschen Zeitung". Sie forderte: "Es muss dringend geklärt werden, ob in der rechten Szene gezielt Anschläge geplant werden, um sie Geflüchteten in die Schuhe zu schieben.
Zweiter Mann aus Offenbach festgenommen
Ebenfalls festgenommen wurde ein 24-jähriger Student aus Offenbach. Er soll mit dem Hauptverdächtigen per Handy über mögliche Anschlagspläne gesprochen haben. In seiner Wohnung fanden die Ermittler unter anderem Gegenstände, die unter das Waffen- und Sprengstoffgesetz fallen.
Der beschuldigte Soldat schweigt zu den Vorwürfen. Nach Auskunft der Frankfurter Staatsanwaltschaft hat der 28-Jährige beim Haftrichter keinerlei Angaben gemacht. Der zweite festgenommene Mann hat laut Staatsanwaltschaft Angaben zu der Munition gemacht, die bei ihm gefunden worden war. Er habe die Patronen von dem Bundeswehrsoldaten erhalten.
(rm/mw/vic/hba)