Er hat die Veranstaltung nicht organisiert, aber er steht ganz natürlich im Mittelpunkt: Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens:
"Kommen bestimmt auch noch Politiker… Jetzt sind sie schon da! Sogar mit bunter Kippa! Kommt man sich als Jude ganz bescheiden vor!" (lacht)
Er hat Bodo Ramelow entdeckt, den Ministerpräsidenten, mit einer kunstvoll bunt bestickten Kippa.
"Du hast eine schönere Kippa als ich!"
"Die hat meine Frau gemacht! Deswegen habe ich die aufgesetzt!"
Neben Ramelow sind noch andere Landes- und Kommunalpolitiker da, von allen großen Parteien außer der AfD, Minister, Abgeordnete, Oberbürgermeister. Sie haben sich an der mittelalterlichen Mikwe, dem jüdischen Ritualbad, im Erfurter Zentrum versammelt. Mit Ihnen ungefähr 300 Menschen. Viele tragen eine Kippa, mitgebrachte oder die, die hier ausgegeben werden – aus Solidarität mit in Deutschland lebenden Juden, die sich zunehmend Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt sehen.
"Ach, ich gehöre zu den Menschen, die glauben, dass alles Menschen von Gott ist. Und daraus schließe ich, alle Menschen zu achten, so wie ich auch gerne selbst geachtet werden möchte", sagt diese Teilnehmerin. Eine andere:
"Ich denke, ich bin hier, weswegen alle hier sind: Sich solidarisch zu zeigen; NEIN zu sagen gegen Rassismus, Antisemitismus und JA zur Vielfalt – also einfach solidarisch zu sein!"
"Also, ich bin evangelischer Theologe und habe von dorther zum Judentum eine spezielle, und zwar positive, Beziehung. Denn es ist ja immerhin, wie Paulus gesagt hat, der Wurzewlstamm, aus dem das Christentum hervorgegangen ist. Also, das ist so die Motivation."
"Zeit, die nicht schön ist für jüdische Gemeinden in Europa"
Reinhard Schramm von der mit knapp 800 Mitgliedern kleinsten Jüdischen Landesgemeinde Deutschlands dankt allen, die gekommen sind:
"Ich denke, es tut einfach gut, wenn man Solidarität spürt in einer Zeit, die nicht schön ist für die jüdischen Gemeinden in Europa. Wenn wir sehen, wie traurig die letzten Monate waren, auch in Thüringen: Die Grabschändungen in Gotha, in Jena, dazwischen dieses furchtbare Konzert in Themar, was uns insgesamt doch als Komplex alles erscheint, und vielen Juden auch Angst macht, dann ist das auch schmerzhaft."
Schramm weist immer wieder darauf hin, dass er die Gefahr des Antisemitismus in Deutschland von drei Seiten sieht: von Rechtsextremen, aber auch von manchen Linken und von muslimischen Zuwanderern. Ausdrücklich warnt er vor "französischen Verhältnissen" in Deutschland. Da sei Deutschland in der Verantwortung, Menschen wirklich zu integrieren und durch Bildung gegen Rassismus zu immunisieren.
"Wenn wir sagen: Was war denn nun das Schlimmste? Waren das die Schulen, wo die jüdischen Kinder gemobbt wurden? Oder war es in Berlin, wo jemand geschlagen wurde, weil er eine Kippa trug? Das tut weh! Hätte man nach sechs Millionen Opfern nicht geglaubt. Noch schlimmer für mich ist das Ereignis in Berlin: Das ungestrafte Verbrennen des Davidsterns und der Israel-Fahne. Das ist ja nichts anderes als die Verweigerung des Existenzrechts des jüdischen Staates. Das hat besonders wehgetan, weil viele Juden wissen: Hätte es nicht vor 70 Jahren den Staat Israel gegeben, sondern vor 80 Jahren, hätten manche, auch meine Verwandten, vielleicht überlebt. Es kann sich Tragisches wiederholen. Und dann wollen die Juden nicht wieder betteln, um wieder Visa zu bekommen. Wir wollen nicht, dass Juden irgendwo in der Welt im Stich gelassen werden von den angeblichen Demokraten dieser Welt. Deswegen ist für mich die Nichtanerkennung des Existenzrechts Israels die schärfste Form des Antisemitismus."
Demonstrieren mit Kippa überm Kopftuch
Nach den Ansprachen setzt sich ein Demonstrationszug in Bewegung, durch die Erfurter Innenstadt, zur Synagoge der Gemeinde. Auch Benjamin Kochan, der orthodoxe Landesrabbiner, läuft mit. Er trägt immer eine Kippa, aber in Deutschland selten offen. Erst vor Kurzem ist er von einem Araber als Jude beschimpft worden.
"Ich trage das, aber unter einer Mütze. Nicht nur aus Sicherheitsgründen, das ist es eher weniger oder war weniger, aber das Kippa-Tragen ist eigentlich hier noch ein bißchen fremd oder unbekannt. Daher will man nicht gleich die ganze Aufmerksamkeit auf der Straße auf sich ziehen, sondern ganz normal gehen. Deswegen mache ich das mit einer Mütze."
Hinter ihm läuft eine junge Muslima. Yamous Iman ist seit 4 Jahren in Erfurt. Über dem Kopftuch trägt sie eine Kippa.
"Das wollten wir wirklich heute zeigen, dass wir keine Probleme mit Juden haben als Muslime. Es gibt ja Leute, die glauben, wir sind gegen Juden – ja, gibt es! Aber wir sind hier, um die andere Seite zu zeigen."